Snowboard:Salto ins Familienleben

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"Das wird schon wieder": Martin Nörl, hier (in Rot) beim nicht ganz so gelungenen Saisonstart in Les Deux Alpes. (Foto: Miha Matavz/FIS)

Der Snowboardcrosser Martin Nörl, 30, hat zweimal den Gesamtweltcup gewonnen und viel in die neue Saison investiert. Nach einem Sturz ist sie für ihn allerdings zu Ende, ehe sie richtig begonnen hat. Diesen Winter wird er also daheim verbringen - und am Comeback arbeiten. Denn er hat noch viel vor.

Von Thomas Becker

Seinen ersten Heli-Flug hat sich Martin Nörl sicher anders vorgestellt. Wobei das maximal spektakuläre Panorama ringsum - Matterhorn, Breithorn - schon gepasst hätte. Doch statt hinauf zu einem der verlockenden Tiefschneehänge flog ihn der Pilot hinab ins Tal, nach Aosta, ins Krankenhaus.

Die gut einstündige Fahrt über 50 Kilometer auf der steilen und kurvigen Landstraße von Cervinia aus wollte man ihm in seinem Zustand nicht zumuten. Denn dass ihm da auf der Startgeraden der Snowboardcross-Weltcupstrecke etwas Gröberes passiert war, das war allen Beteiligten schnell klar gewesen. Im Training zum zweiten Weltcuprennen der noch frischen Saison war der zweifache Gesamtweltcupsieger beim letzten der drei Startbuckel an der Kante hängengeblieben, "mit der Nose eingespitzelt", wie er sagt, "dann hab' ich einen Vorwärtssalto geschlagen und bin mit der Frontside-Kante in den Schnee, sodass es mir das Sprunggelenk zusammengedrückt hat - tat halt weh".

Im Krankenhaus wurde geröntgt und eingegipst, am Abend war Nörl schon wieder draußen, bevor es am nächsten Tag gut acht Stunden lang per Krankentransport heim nach München ging, im Gepäck die Diagnose des italienischen Arztes: nicht so wild. Nörl sagt: "Wir haben die Röntgenbilder an unsere Teamärzte geschickt, und denen war schon klar, dass es ein bisschen wilder ist ..." In München dann die Bestätigung: Sprunggelenkfraktur, Saisonende. Eine schöne Bescherung!

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Ramona Hofmeister hat ihre Rückenprobleme überwunden, ihr Material gewechselt und zeigt sich nach drei Gesamtweltcup-Siegen schon wieder in beeindruckender Form. Auf den üblichen Triumph beim Saisonfinale am Götschen wird sie diesmal trotzdem verzichten müssen.

Von Thomas Becker

Verletzungen sind immer ärgerlich, und weil man sie grundsätzlich nie gebrauchen kann, kommen sie in jedem Falle zur Unzeit. Im Fall von Martin Nörl ist es allerdings schon besonders schade, denn: Nie war er so gut wie heute. Der mittlerweile 30-Jährige war alles andere als ein Früh- oder Durchstarter. Im Januar 2010 hatte der für die DJK-SV Adlkofen startende Niederbayer sein Debüt im Weltcup gegeben, erst fünf Jahre und viele Rennen im zweitklassigen Europacup später gelang ihm mit Rang fünf das erste einstellige Ergebnis. Mit dem ersten Weltcupsieg sollte es noch drei weitere Jahre dauern.

Was alles kaputt ist? "Einiges, aber so ganz genau kenne ich die Fachbegriffe nicht."

Aber dann: Sechs seiner bislang sieben Weltcupsiege fuhr Nörl zwischen Januar 2022 und März 2023 ein. Zwei große Glaskugeln als Gewinner des Gesamtweltcups eroberte er, dazu kam WM-Silber im vergangenen Winter in Georgien. Der berühmte Knoten war endlich aufgegangen, Lohn für all die Jahre der beharrlichen Arbeit an sich selbst, zuweilen mit Unterstützung eines selbst finanzierten Athletiktrainers, der ihm auch dabei half, die ständigen Rückenprobleme in den Griff zu bekommen.

Bis heute gilt er im Team als der Trainingsfleißigste, der sich nichts gönnt und auch heuer, nach der "besten Saison meiner Karriere", wie er sagt, wieder eine brutal intensive Vorbereitung hingelegt hat. Der Saisonauftakt Anfang Dezember in Les Deux Alpes war ihm mit Platz zehn eher mittelprächtig gelungen - dass es zugleich sein letztes Ergebnis in diesem Winter sein sollte, ahnte er da noch nicht.

Am Dienstag vor Heiligabend wurde er in der Artemed Klinik Süd operiert, am Freitag ging's wieder nach Hause, alles Weitere muss sich zeigen. Fragt man am Telefon nach, wie es geht, sagt er: "Joo, so weit ganz gut." Was genau kaputt war, kann er gar nicht sagen: "Einiges, aber so ganz genau kenne ich die Fachbegriffe nicht."

Kein Wunder, es ist abgesehen von ein paar Rippenprellungen und Gehirnerschütterungen auch seine erste schwerwiegende Verletzung und die erste Operation, der er sich als Leistungssportler unterziehen musste. Das gebrochene Sprunggelenk wurde jedenfalls mit Platten und Schrauben fixiert. Nörl sagt: "Ich glaube, ich bin hier in sehr guten Händen." Sein operierender Arzt, Dr. Florian Dreyer, ist DOSB-Olympia-Arzt und Sprunggelenkspezialist - er kommt schließlich vom Umschnackler-Sport Handball, betreut die Drittliga-Teams von Gröbenzell und Fürstenfeldbruck. Nörl hat er statt Gips einen Plastikverband verpasst, erzählt der Patient: "Ich hab' jetzt 'nen Elefantenfuß. Weiß gar nicht, wie lang der Verband dran bleibt. Das dauert jetzt halt eine Zeit, aber das wird schon wieder."

Jammern ist nicht sein Ding: "Blöd gelaufen, aber das gehört irgendwie dazu, dass mal was passiert", sagt Nörl. "Bisher bin ich immer gut durchgekommen. Es ist nicht so, dass man sich bei uns ständig verletzt, aber dass beim Sport mal was passieren kann, ist ja klar." Und was heißt das jetzt? "Die Saison ist rum, jetzt muss ich schauen, dass ich eine ordentliche Reha mache. Und dann hoffe ich, dass zur neuen Saison alles wieder so wird, wie es war. Ich mache mir da jetzt wenig Sorgen."

Er wird nun eine Eigenschaft brauchen, die ihn so viele Jahre lang auszeichnete: Geduld

Aber ein paar Gedanken wahrscheinlich schon. So gefasst er auch wirken mag, Martin Nörl dürfte nun immer bewusster werden, was für eine schwere Verletzung das ist. Mit dem zwei Jahre älteren Teamkollegen Paul Berg, mit dem er zu Trainingszwecken mal in Sonthofen zusammen gewohnt hatte, hat er ein Beispiel vor Augen, das ihm zeigt, dass diese Reha kein Selbstläufer wird. Berg, der WM-Sechste von 2021, hatte vor zwei Jahren dieselbe Verletzung und ist weiterhin nicht komplett beschwerdefrei. Aus dem Sprunggelenk kommen für einen gelungenen Schwung auf dem Snowboard halt doch mehr Impulse als aus dem Schien- oder Wadenbein.

Nörl wird nun vor allem eine Eigenschaft brauchen, die ihn schon zu Beginn seiner großen Karriere auszeichnete: Geduld. Er hatte viel investiert in diese Saison, auch finanziell, als er wegen der schlechten Bedingungen in Europa ein eigenes Trainingslager in Australien aufzog - und zum Großteil aus der eigenen Tasche bezahlte. Alles andere als eine einfache Übung für einen Familienvater, der von seinem Sport leben muss.

Sein großes Ziel behält er jedenfalls im Blick: Olympia 2026 in Mailand und Cortina. Da fehlt ihm noch eine Medaille. Dass es ein langer, harter Weg wird bis dahin, ist ihm bewusst: "Klar muss man es dann erst mal wieder schaffen, zurück und auf ein solches Niveau zu kommen. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt keine Lust mehr habe."

Zunächst mal bedeutet sein Elefantenfuß ein Novum für die Familie: Dass Papa den ganzen Winter über daheim bleibt statt von Rennen zu Rennen zu hetzen, ist für seine Frau und die beiden kleinen Töchter eine komplett neue Erfahrung. Der stressige Spagat zwischen Sport und Familienleben fällt heuer mal aus. Und dass er am linken Fuß so einen komischen Verband tragen muss, wird die Familie in Kauf nehmen, schätzt Nörl: "Meine Tochter hatte selber schon einen Gips."

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