Ausschreitungen nach WM-Spiel in Belgien:Zerstörung um der Zerstörung willen

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Flagge vor brennenden Autos: In Brüssel eskalierte die Lage nach der WM-Partie zwischen Belgien und Marokko in Katar. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Jugendliche marokkanischer Herkunft nehmen den Erfolg ihres Teams zum Anlass, in Brüssel zu randalieren, es brennen Autos und E-Roller. Doch was den größten Schaden nimmt, ist der gesellschaftliche Zusammenhalt.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Es war keine Siegesfeier im eigentlichen Sinn, die junge Männer mit marokkanischen Wurzeln da am Sonntagnachmittag in Brüssel veranstalteten. Sie strömten schon zur Halbzeit des WM-Spiels der marokkanischen Mannschaft gegen Belgien auf die Straßen der Hauptstadt. Ihre Mannschaft führte 1:0, aber das Spiel war ihnen offensichtlich egal. Worum es ihnen ging: Zerstörung um der Zerstörung willen.

Es brannten Autos und E-Roller, Feuerwerkskörper flogen, Ampeln und Bänke gingen zu Bruch, Scheiben zersplitterten, ein Feuerwehrauto, von einem Steinhagel getroffen, blieb ramponiert zurück. Zwei Fernsehteams berichteten, sie seien tätlich angegriffen und ihrer Gerätschaft beraubt worden. Was aber den größten Schaden nahm an diesem Sonntag, war der gesellschaftliche Zusammenhalt in Belgien.

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Menschen marokkanischer Herkunft bilden die größte Einwanderergruppe im Land. Viele von ihnen wollten am Sonntag nach Spielschluss den 2:0-Sieg ihrer alten, respektive zweiten Heimat über die belgische Mannschaft im fernen Katar feiern. Aber auch wer mit friedlichen Absichten in Brüssel auf die Straße ging, wurde letztlich diskreditiert durch die jungen Randalierer.

Elf junge Männer wurden in Gewahrsam genommen

Die Ausschreitungen seien vorhersehbar gewesen, teilte die Polizei am Montag mit. Immer wieder würden muslimische Jugendliche Fußballspiele, oder auch das Neujahrsfest, zum Anlass nehmen, sich in der Stadt gewalttätig auszutoben. Polizeibeamte in großer Zahl versuchten am Sonntag, das Schlimmste zu verhindern. Sie drängten die Randalierer mit Tränengas und Wasserwerfern zurück, schlossen U-Bahnhöfe und riegelten den Zugang zum historischen Zentrum ab, wo sich unter dem Motto "Plaisir d'Hiver", Wintervergnügen, Menschen auf Weihnachtsmärkten drängten.

Elf junge Männer wurden am Sonntag in Gewahrsam genommen, gegen einen soll ein Strafverfahren vorbereitet werden. Philippe Close, der Bürgermeister von Brüssel, schimpfte über "Schurken und Gauner" und sagte angesichts des Alters der Randalierer: "Ich frage mich, ob die Eltern wissen, was ihre Kinder so treiben."

Vor 60 Jahren begann das Land, gezielt Arbeitskräfte in Marokko anzuwerben. Mit dem Niedergang der traditionellen Industrien in Belgien verloren viele Immigranten ihre Jobs. Mittlerweile konzentriert sich die marokkanische Gemeinschaft in Brüssel auf einige Stadtviertel mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und Gewaltproblemen - exemplarisch in Molenbeek, wo eine islamistische Terrorzelle heranwuchs, die 2015 in Paris und 2016 in Brüssel Tod und Zerstörung hinterließ.

Selbstverständlich hat die Randale vom Sonntag nichts mit Terror zu tun, aber die politische Debatte folgt nun wieder der alten Frage: Warum lassen sich muslimische Jugendliche so schwer in die belgische Gesellschaft integrieren?

Ein Video aus Antwerpen sorgt im Internet für Aufregung

"Schluss mit der Straflosigkeit", fordert in einem Tweet der liberale Spitzenpolitiker Georges-Louis Bouchez und formulierte damit den alten Verdacht, linke Regierungen in Belgien gingen nicht hart genug gegen gewaltbereite Jugendliche vor. Sozialisten twitterten am Sonntag demonstrative Solidarität mit der Polizei im Land und forderten ebenfalls harte Strafen. Ein Fest war dieser Tag für Vlams Belang, die rechtsextreme flämische Partei. Sie ließ verlauten, Belgien habe ein "Marokkanenprobleem", und forderte die Marokkaner auf, nach Marokko zurückzukehren.

Ausschreitungen gab es auch in anderen belgischen Städten, wobei vor allem ein Video aus Antwerpen im Internet für Aufregung sorgte. Es scheint zu zeigen, wie ein junger Mann eine belgische Fahne von einem Balkon reißt, gefeiert von einer großen Menschenmenge. Das nahm sogar Jordan Bardella, der neue Vorsitzende der Le-Pen-Partei Rassemblement National, zum Anlass, sich aus Frankreich mit einem Tweet zu Wort zu melden: "Wann machen wir endlich mit dieser gefährlichen Naivität gegenüber der Migrationsgefahr Schluss?"

Belgiens öffentlich-rechtlicher Rundfunksender RTBF stellte in einem Kommentar schließlich fest, Sieger dieses WM-Spieltags sei ganz klar die politische Rechte gewesen.

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