Deutsche Nationalmannschaft:Die neue Rolle des Mario Gomez

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  • Mario Gomez nimmt bei der WM 2018 die Rolle ein, die Per Mertesacker 2014 inne hatte.
  • Er gibt jüngeren Mitspielern Tipps, verteidigt sie - und tritt dabei gänzlich uneitel auf.
  • Hier geht es zu den Vorrundengruppen der Fußball-WM.

Von Martin Schneider, Kasan

Es ist noch überhaupt nicht lange her, da ging ein Schock durch Fußball-Deutschland: Mario Gomez, stand in den Zeitungen und im Internet, würde ausfallen, Muskelfaserriss im Oberschenkel. Gegen Frankreich, werde er nicht spielen können, hieß es. Ausgerechnet Gomez, der einzige Stürmer, der gegen Italien im Viertelfinale fast mit der Hacke das 2:0 vorbereitet hatte, der bis dahin beste deutsche Torschütze des Turniers. Wie soll man den Ausfall kompensieren, war vor dem Halbfinale gegen Frankreich die entscheidende Frage.

"Besonders für Mario tut es mir leid", sagte Joachim Löw damals: "Er hat bei der EM starke Leistungen gezeigt und der Mannschaft nicht nur mit seinen Toren sehr geholfen." Es ging dann bekanntlich schief gegen Frankreich, und wie Fußball-Deutschland diese EM 2016 ein bisschen vergaß, vergaß die Nation auch, welche neue Rolle Mario Gomez in diesem Turnier gespielt hat.

Gomez hat eine besondere Stellung in der Mannschaft

Nun, zwei Jahre später, sieht man in Russland einen Mario Gomez auf dem Platz in der Jubeltraube. Nach dem Kroos-Freistoß reckt er die Faust Richtung Tribüne, sieben Minuten vorher hätte er selbst der Held des Tages werden können, wenn der schwedische Torwart Olsen seinen Kopfball nicht über die Latte gelenkt hätte. Man sieht einen Mario Gomez, der sich vorm ARD-Mikrofon selbst als "alten Hasen" bezeichnet und der, als er nach seiner persönlichen Bilanz gefragt wird, antwortet: "Ich sehe das nicht persönlich, ich sehe das mit dem Blick aufs Team."

Es ist im Fußball nicht ungewöhnlich, dass Mitspieler Mitspieler loben, aber im Fall Gomez muss man nicht mal auf die Zwischentöne achten, um herauszuhören, dass der bald 33-Jährige eine besondere Stellung in der Mannschaft hat. "Mario ist mit seiner Präsenz auf dem Platz und in der Kabine unheimlich wichtig für uns", sagte etwa Marco Reus. Und Timo Werner, Stürmer, der ja bekanntlich auf der gleichen Position spielt wie Gomez, sagte: "Ich bekomme sehr viel Unterstützung von Mario. Er ist immer der Erste, der bei mir ist und mit mir redet, er gibt mir sehr viele Tipps." Und: "Ich glaube nicht, dass es das bei vielen Mannschaften gibt, dass der Konkurrent einen so unterstützt."

Die Beziehung zwischen Mario Gomez und der Nationalmannschaft über die Jahre als kompliziert zu beschreiben, wäre noch untertrieben. Sie begann 2008 mit der unglückseligen Chance gegen Österreich, als er aus kurzer Distanz vergab. Viele Stürmer haben für Deutschland schon Chancen vergeben, aber diese eine blieb hängen, auch weil er bei der WM 2010 nur Ersatz war und keine Chance auf Wiedergutmachung hatte.

Bei der EM 2012, als er die ersten drei Tore für Deutschland gegen Portugal und die Niederlande schoss, gab ihm der mittlerweile entlassene ARD-Experte Mehmet Scholl verbal eine Breitseite mit, die WM 2014 verpasste Gomez wegen einer Verletzung. Als das feststand, soll er weinend in der Kabine gesessen haben.

Nun 2018, hat Mario Gomez offensichtlich Verantwortung für das große Ganze übernommen. Er ist so was wie der Führungsspieler ohne Stammplatz-Anspruch. Per Mertesacker übernahm die Rolle in Brasilien, sie gipfelte in seinem Eistonnen-Interview, als er sich nach dem Algerien-Spiel vor die Mannschaft warf. Auch Gomez hat diesen Beschützerinstinkt in sich entdeckt, nach dem Schweden-Sieg kritisierte er die Kritiker: "Was nach dem Mexiko-Spiel auf die Mannschaft eingeprasselt ist, fand ich so in der Form nicht okay - vor allem, dass einzelne Spieler angegriffen wurden."

Gomez, das kann man wohl so sagen, ist auch ein bisschen der Anti-Wagner. Sandro Wagner, den Joachim Löw nicht mit nach Russland genommen hat und der daraufhin wütend aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist, gilt als ehrgeizig. Er hat seinen Konkurrenten Timo Werner zwar auch schon öffentlich verteidigt, als der vor einem Jahr wegen seiner Schwalbe von den deutschen Fans ausgepfiffen wurde, aber als Vater der Kompanie hätte Wagner eher nicht getaugt.

Spielen Werner und Gomez gegen Südkorea wieder gemeinsam?

Schon zu seiner Zeit beim VfL Wolfsburg ging Gomez voran, als es unangenehm wurde. Er übernahm Verantwortung, machte sich im vergangenen Jahr zum Gesicht einer offensichtlich dysfunktionalen Mannschaft, stellte sich in jedem Interview vor seine Mitspieler und verließ den Verein erst, als er seine WM-Chancen in Gefahr sah. Um in Russland dabei zu sein, ging er zu seinem Heimatverein, dem VfB Stuttgart. Man kann sich ausrechnen, dass Stuttgart vermutlich nicht das gleiche Grundgehalt zahlen kann wie der VW-Klub.

"Ich kann befreit aufspielen, meine Gefühlswelt ist komplett sortiert", sagt Gomez nun in Russland. Wie viel er spielen wird, das ist übrigens tatsächlich so eine Frage, die noch verhandelt wird. Eigentlich schien die Rollenverteilung klar. Werner spielt, Gomez sitzt auf der Bank. Aber diversen Beobachtern ist schon aufgefallen, dass diese zweite Halbzeit gegen Schweden, bei der Gomez und Werner gespielt haben, bisher die beste Halbzeit der deutschen Mannschaft war.

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