Marco Reus vor Nationalelfdebüt:Er wird doch nicht etwa spielen können?

Lesezeit: 3 min

Tatsächlich: Der Gladbacher Marco Reus reist mit der Nationalmannschaft in die Türkei und hat sich bislang weder krank noch verletzt abgemeldet. Der Offensiv-Mann könnte eines der wenigen Experimente sein, die Bundestrainer Löw am Bosporus wagt - obwohl seine Mannschaft längst für die EM 2012 qualifiziert ist.

Philipp Selldorf, Mainz

Bis zum Mittagessen um halb zwei herrschte eine nahezu undeutsche Gelassenheit im Hotel der deutschen Nationalmannschaft in Mainz. Zwar erreichten den Bundestrainer mehrere eklatante Verlustmeldungen - Lukas Podolski und Mesut Özil standen mit ihren Autos auf der A3 im Stau, und aus München wurde eine nahezu kollektive Verspätung der Bayern-Spieler berichtet (nur Jérôme Boateng erschien zeitig, wenn auch seltsamerweise mit Wollmütze auf dem Kopf) - doch für Joachim Löw war lediglich von Belang, was ihm seine Helfer nicht mitteilten.

Tatsächlich in Nationalelf: Marco Reus (rechts). (Foto: Bongarts/Getty Images)

Deswegen bestand die herausragende Nachricht des Vormittags darin, dass niemand angerufen hatte, um die notorische Absage von Marco Reus zu übermitteln. Mit stiller Freude durften stattdessen die Leute vom DFB verfolgen, wie der zarte Mönchengladbacher Stürmer seinen Lunch einnahm und sich danach offenbar beschwerdefrei zur Mittagsruhe in sein Zimmer begab.

Vorsicht bleibt geboten. Im Frühjahr vor dem Spiel gegen Kasachstan (4:0) war Reus schon einmal klaglos zu Bett gegangen in eben diesem Hotel am Mainzer Rheinufer, und am nächsten Tag musste er dann doch wieder ein Attest einreichen - einer von mittlerweile vier krankheitshalber verhinderten Auftritten mit der Nationalelf.

Nun aber, im Laufe der beiden verbliebenen EM-Qualifikationspartien - am Freitag in der Türkei (20.30 Uhr/ARD) und am Dienstag gegen Belgien -, soll endlich seine Stunde schlagen. Löw hat beschlossen, dem 22-Jährigen zum Debüt in der Nationalelf zu verhelfen, "für ihn und für uns alle ist es Zeit, dass er mal zum Einsatz kommt", sagt er.

Die Garantieerklärung gibt der Bundestrainer aber nicht aus karitativen Gründen ab. Auch in seinem mit guten Offensivspielern himmlisch versorgten Nationalteam findet er einen Platz für den Flügelläufer, "er kann jedes Spiel beleben - auch bei uns", meint Löw. Er hat sich davon selbst einen Eindruck verschafft, als Reus und Borussia am Samstag in seinem Wohnort Freiburg vorgespielt haben. Die Fernreise an einen anderen Bundesliga-Schauplatz hatte Löw nicht für nötig gehalten, er sieht keinen Grund für besondere Aufwendungen.

Nicht zuletzt die Einsatz-Zusage an den Neuling Reus gibt zu erkennen, dass die Fernreise an den Bosporus viel von dem Schrecken verloren hat, den sie vor dem Beginn der Qualifikation sicherlich ausstrahlte. Damals mussten die Deutschen annehmen, dass sie in Istanbul gegen den Co-Favoriten zum Endspiel um Platz eins in Gruppe A antreten würden.

Die Fußballgötter
:Fuchs Heynckes

Ribéry spielt. Kroos spielt. Müller spielt. Und Arjen Robben? Der bleibt freiwillig draußen. Freiwillig? Nicht ganz. Sein Trainer Jupp Heynckes hat natürlich die Hände im Spiel.

Guido Schröter

Nun, nach acht Siegen in acht Spielen vorzeitig qualifiziert, rechnet Löw zwar damit, es werde am Freitagabend "eine unglaublich aufgeheizte Stimmung" geben im neu gebauten Stadion des Spitzenklubs Galatasaray, und er ist auch überzeugt davon, dass die vom Wettskandal in der Süperlig erschütterten türkischen Fußballfans "alles mobilisieren werden, weil es gegen Deutschland geht". Aber er hat keine Sorgen deswegen. "Da freue ich mich drauf", sagt er und denkt fürsorglich darüber nach, ob die Erfahrung des berüchtigten Krachs in türkischen Stadien ein bereicherndes Erlebnis für seine jungen Spieler sein könnte.

Die Fußballgötter
:Fuchs Heynckes

Ribéry spielt. Kroos spielt. Müller spielt. Und Arjen Robben? Der bleibt freiwillig draußen. Freiwillig? Nicht ganz. Sein Trainer Jupp Heynckes hat natürlich die Hände im Spiel.

Guido Schröter

Klingt ein wenig nach Ground-Hopping-Tourismus, doch solchen Interpretationen tritt der Bundestrainer selbstredend entgegen. Löw hat das Ziel ausgegeben, auch die letzten beiden Spiele zu gewinnen und damit "einen Meilenstein zu setzen" in der DFB-Historie; mit Rücksicht auf den Kampf um den zweiten Gruppenplatz zwischen den Bewerbern Türkei und Belgien wird er auch der Verführung zu großangelegten Experimenten entsagen, sechs oder sieben Wechsel in der Startelf wie zuletzt beim Test in Polen, "das wird es nicht geben", versichert er. Darauf verzichten wird er aber nicht.

Den Dortmunder Ilkay Gündogan, der zur U21 berufen wurde (sie spielt in der EM-Qualifikation gegen Bosnien), hat er bereits darauf vorbereitet, am Samstag der A-Mannschaft beizutreten, sobald sie aus Istanbul heimgekehrt ist. Möglich, dass auch Gündogan sein aufgeschobenes Debüt nachholen darf. Freundlicher Nebeneffekt des geteilten DFB-Engagements: Dem türkischstämmigen Sauerländer bleibt der Rummel erspart, der ihm als Mitglied der deutschen Delegation in Istanbul bereitet worden wäre.

Ein Aspekt, der dem türkischstämmigen Gelsenkirchener Mesut Özil keine Sorge machen muss, wie Löw glaubt: Als Profi von Real Madrid und mit der Erfahrung von einem halben Dutzend Schlachten gegen den FC Barcelona sei Özil "menschlich gereift, er kann die Pfiffe wegstecken".

Löw sieht überhaupt keinen Grund zur Aufregung. Die schwierigste Entscheidung bei der Aufstellung bleibt ihm ohnehin erspart. Die Frage, wem er den Platz an der Seite von Bastian Schweinsteiger im zentralen Mittelfeld anvertraut, erledigt sich von selbst. Toni Kroos ist an Grippe erkrankt und bleibt wohl in München, Sami Khedira hingegen war einer der ersten, die sich am Treffpunkt in Mainz einfanden.

© SZ vom 05.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: