Manuel Neuer war 25 Jahre alt, als er zum FC Bayern kam, im Sommer 2011 war das. Er war seit eineinhalb Jahren in München, als der Klub die gesamte Branche überraschte (darunter auch den damaligen Trainer Jupp Heynckes), indem er Pep Guardiola als neuen Trainer holte. Neuer war seit viereinhalb Jahren im Verein, als monatelang alle auf eine Andeutung warteten (inklusive der Bosse im Klub), ob Guardiola noch länger bleiben würde, das war im Winter 2015. Und Neuer war seit sechs Jahren bei den Bayern, als der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge und der damalige Präsident Uli Hoeneß alle und zwar wirklich alle überraschten (darunter wohl auch sich selbst), als sie verkündeten, dass Hasan Salihamidzic neuer Sportdirektor werden würde, im Sommer 2017 war das. Im vergangenen Winter, Neuer war seit achteinhalb Jahren in München, erlebte er mit, wie wochenlang nicht durchsickerte, wie lange Hansi Flick Trainer des FC Bayern bleiben werde.
Seit wenigen Wochen ist Neuer 34 Jahre alt, er hat wirklich viel miterlebt. Er wird also gewusst haben, welche Wucht die Sätze haben würden, die er der Bild am Sonntag sagte. Zum Beispiel: "Nie ist etwas nach außen gedrungen. Jetzt aber stehen ständig Details aus den aktuellen Gesprächen in den Medien, die oft nicht einmal stimmen." Oder: "Das ärgert mich. Das kenne ich so nicht beim FC Bayern."
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Der Stürmer lässt Interesse an einem Wechsel ausrichten - doch die Münchner entwerfen ihre Transferstrategie gerade noch. Und Hansi Flick liebäugelt eigentlich mit jemand anderem.
Wenn sich ein Fußballkapitän über seinen Arbeitgeber ärgert, ist das nie gut für einen Verein, im Fall von Manuel Neuer aber ist es noch bemerkenswerter. Der Torwart hat im Laufe der Jahre eine solide Teflonschicht über sein Gemüt gezogen, alles ließ er an sich abprallen, die Diskussionen über Mesut Özil und Rassismus beim DFB im Sommer 2018, die Diskussionen über die Ausbootung seiner Mitspieler Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng aus der Nationalelf im Frühjahr 2019. Die einzige nennenswerte Gefühlsregung, die Neuer jahrelang zugelassen hat, war sein sog. Reklamierarm, der zuverlässig in die Höhe schoss, wenn es auf dem Rasen um eine Abseitsentscheidung ging. Nun also das. "Irritiert" sei er.
Den angeblich von ihm geforderten Fünfjahresvertrag nennt Neuer "utopisch"
Neuer verhandelt mit den Bayern gerade über einen neuen Vertrag, sein aktueller endet im Sommer 2021; beide, Verein und Spieler, sind daran interessiert, weiter zusammenzuarbeiten. Doch während Flick und Müller vor wenigen Tagen ihre Verträge jeweils bis 2023 verlängerten, ohne dass zuvor etwas nach außen dringen konnte (nicht einmal etwas, das nicht stimmt), werden Neuers Gespräche von vielen Nebengeräuschen begleitet. Mal geht es um seine angebliche Gehaltsforderung (20 Millionen Euro im Jahr!), mal um die angeblich geforderte Laufzeit (fünf weitere Jahre!). Seit Tagen war in vertraulichen Gesprächen zu hören, dass Neuer und sein Berater Thomas Kroth sich darüber geärgert hätten - diesen Ärger formulierte Neuer nun in voller Wucht in der Bild. Und damit in jenem Blatt, in dem zuvor die meisten von ihm beanstandeten Details zu lesen waren.
In dem Interview korrigiert Neuer zum einen die Zahlen. Es sei "utopisch", den Verein auf einen Fünfjahresvertrag "festzunageln". Er könne doch gar nicht abschätzen, wie es ihm mit 39 gehe, "darum macht diese Endgültigkeit, die öffentlich suggeriert wurde, ja überhaupt keinen Sinn". Kroth, der ebenfalls interviewt wurde, sagt, dass beide Zahlen "schlichtweg falsch" seien - bei der Laufzeit und beim Gehalt sei das Neuer-Lager "flexibel". Zum anderen legt Neuer grundsätzlich dar, wie er sich eine Zusammenarbeit mit dem Verein vorstellt. Er sagt: "Mir war immer wichtig, mit den Mitarbeitern in Führungspositionen vertrauensvoll zusammenarbeiten zu können - so loyal, wie ich mich als Spieler und Kapitän dem Verein gegenüber auch verhalte. Wenn jetzt Sachen offenbar gezielt nach außen getragen werden, ist das auch etwas, was den Bereich Wertschätzung betrifft."
Das Verhältnis zwischen Neuer und dem Klub ist seit einigen Monaten belastet. Im vergangenen Sommer äußerte Kroth in der SZ seine (also Neuers) Bedenken, ob der Kader der Münchner international konkurrenzfähig sei - der Unmut in der Führungsetage war groß. Zum Jahreswechsel verpflichtete der Klub dann für den kommenden Sommer den Schalker Alexander Nübel als neue perspektivische Nummer eins; auch damals drangen Details eines Gesprächs zwischen Sportdirektor Hasan Salihamidzic und Neuer nach außen. Angeblich soll Salihamidzic Neuer gefragt haben, ob er bereit sei, für Nübel auf Spiele zu verzichten - was der ausgesprochen ehrgeizige Neuer abgelehnt haben soll. "Ich bin kein Statist, sondern Protagonist", sagte Neuer wenige Tage später.
Welchen Mitarbeitern in Führungspositionen Neuer Illoyalität vorwirft, das benennt er nun nicht - doch er lässt nur zwei Schlüsse zu. Kroth sagt, dass neben ihm allein Salihamidzic und das neue Vorstandsmitglied Oliver Kahn an den Gesprächen teilgenommen hätten. Kahn, einst selbst Torwart und Kapitän der Münchner, sprach in den vergangenen Wochen so loyal und verständnisvoll wie sonst keiner der Chefs über Neuer. Im Januar, bei seiner Vorstellung, sagte Kahn, dass Neuer für ihn die klare Nummer eins sei, dass Nübel noch lernen müsse. Vor wenigen Wochen bezeichnete er Neuer als "Identifikationsfigur" - angesprochen auf einen möglichen Fünfjahresvertrag, sagte Kahn, dass Torhüter "natürlich bis ins hohe Alter" spielen könnten; er selbst habe das ja einst gezeigt.
Falls Kahn aber geschwiegen haben sollte: Hat dann Salihamidzic Details nach außen getragen, möglicherweise sogar: gezielt? Diesen Vorwurf lassen Neuer und Kroth zumindest als logischen Schluss zu.
Für den Sportdirektor, der im Sommer zum Sportvorstand befördert wird, kommt dieser Verdacht zur Unzeit. Auch im dritten Jahr als Mitarbeiter in einer Führungsposition kämpft er um Anerkennung. Hinter Hoeneß/Rummenigge konnte er sich kaum profilieren; Rummenigge hat wiederholt auf Pressekonferenzen für Salihamidizic geantwortet. Im Januar wagte sich Flick in einen offenen Konflikt, als er öffentlich Zugänge forderte. Und nun das Interview von Neuer, dem obersten Repräsentanten der Mannschaft. Auch wenn er Salihamidzic nicht konkret Geheimnisverrat vorwirft, setzt er ihn einem Verdacht aus, der den Sportdirektor schwächt. Salihamidzic hat sich am Sonntag auf eine SZ-Anfrage nicht geäußert.
Neuers Kritik an der Arbeit des Sportdirektors wird deutlich, als er über Nübel spricht. Diesem sollen vertraglich Spielzeiten zugesichert worden sein, der Verein hat dies bisher weder bestätigt noch dementiert. Neuer sagt nun: "Dazu kann ich nur sagen, dass ich so etwas nicht kenne. Das gibt es im Spitzensport nicht. Solche Versprechen sind riskant, denn es gehört ja auch immer ein Trainer dazu, dem man damit bestimmt keinen Gefallen tut. Ich glaube nicht, dass sich ein Spitzentrainer, der einen Verein wie die Bayern trainiert, vorschreiben lässt, wen er spielen zu lassen hat." Seinen potenziellen Nachfolger lobt Neuer zwar, er nennt ihn einen "guten Torwart", den Transfer könne er "perspektivisch" verstehen. Er schränkte allerdings ein, dass der Klub ja schon Sven Ulreich habe, der eine "bärenstarke Nummer 2" sei.
Seinen Vertrag will Neuer übrigens trotz der Differenzen weiter verlängern. Er wolle "eine Win-win-Situation haben, mit der alle glücklich sind". Dass der Torwart verlängern wird, dafür spricht weiter viel - spannender wird sein, wie viele Nebengeräusche bis dahin zu hören sein werden.