Mannschafts-Gold der deutschen Skispringer:Sprünge ins Glück

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Stiller Genießer: Bundestrainer Werner Schuster verfolgt die Siegerehrung seiner Mannschaft (Foto: dpa)

Ein Sturz, ein Windloch, ein vierter Platz: Die deutschen Skispringer hatten zuletzt einiges einstecken müssen bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Ihr Sieg im Team-Wettbewerb, knapp vor Österreich, ist vor allem für Bundestrainer Werner Schuster der Lohn einer beharrlichen Aufbauarbeit.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Severin Freund landete bei 131 Metern, und dann begann eine kleine Ewigkeit. Die anderen deutschen Skispringer warteten schon. Andreas Wank, Marinus Kraus und Andreas Wellinger hatten nervös zugeschaut, wie ein Rivale nach dem anderen vor dem kleinen Torbogen im Zielraum abbremste beim olympischen Teamspringen auf der Großschanze von Esto-Sadok.

Bis endlich Severin Freund an der Reihe war, ihr Kapitän und Leidensmann, der das Werk dieses lauen Abends vollenden sollte und den Goldrang mit seinem letzten Sprung verteidigen. Aber 131 Meter waren nicht besonders viel. Gregor Schlierenzauer hatte für Österreich 132 Meter eingebracht. Sie schauten gemeinsam zur Anzeigetafel, die noch nichts anderes zeigte als diese verdammten 131 Meter, die einfach nicht genug waren, um sich jetzt sicher zu sein. Sie standen Arm in Arm und schauten aus ihrer Hoffnung heraus auf das Nichts, das über ihren Köpfen schwebte.

Dann war die Zahl da, nach der sie sich gesehnt hatten. Eine große leuchtende Eins. Sie waren Olympiasieger.

Mannschafts-Gold für deutsche Skispringer
:Höhepunkt einer langen Reise

Es hat doch noch geklappt mit einer Medaille: Nach vielen Rückschlägen holen die deutschen Skispringer im Teamspringen überraschend Gold. Bundestrainer Werner Schuster ist die Genugtuung anzumerken.

Dieser Goldgewinn vor Österreich und Japan am Montagabend in Krasnaja Poljana ist vor allem für den Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster der vorläufige Höhepunkt einer langen, anstrengenden Reise gewesen. Sechs Jahre ist es her, dass der Österreicher seinen Cheftrainer-Posten in der Schweiz verließ und dabei ein paar prominente Eidgenossen verärgerte, um dem mächtigen Deutschen Skiverband (DSV) Entwicklungshilfe zu leisten beim Aufbau einer neuen Skisprung-Mannschaft.

Jahre der Krisen und Negativschlagzeilen hatte die Abteilung hinter sich, die stolzen Deutschen hatten den Faden verloren in ihrem sich verändernden früheren Quoten-Bringer-Sport, und Schuster machte sich mit viel Energie und Enthusiasmus ans Werk, um einem rostigen Ensemble neuen Glanz zu verleihen. Erste Erfolge kamen bald, früh konnte man erkennen, dass Schusters moderne Lehre und seine einnehmende Art sich auszahlten, bis er allmählich jene Mannschaft formen konnte, die ihm nun diesen Erfolg bescherte.

Es war ein großer Moment für ihn. Werner Schuster neigt nicht zum Pathos, aber als das Gold sicher war, musste er erst mal ein paar Leute umarmen. Jeden einzelnen Springer drückte er an sein Herz, und den Reportern sagte er: "Ich empfinde eine tiefe innere Befriedigung. Ich bin extrem stolz".

Zuverlässig unzuverlässig

Allerdings hat Werner Schuster vor diesem Triumph auch noch ein bisschen etwas aushalten müssen. Denn sein Kader ist zwar mittlerweile reich besetzt mit erlesenen Talenten und hingebungsvollen Sportsleuten. Aber diese jungen Männer sind auch fehlbare Springernaturen, die eine Begabung dafür besitzen, im entscheidenden Moment auch mal daneben zu liegen.

Irgendeinen Haken hatten die deutschen Springer fast immer eingebaut in ihre Leistungen bei wichtigen Gelegenheiten, um sich ihre Aussichten zu verstellen. Sie überzeugten im Weltcup-Alltag, holten sogar den einen oder anderen Sieg, aber wenn der Höhepunkt da war, wenn der sogenannte Druck größer wurde und es galt, ein paar Erwartungen zu erfüllen, dann fielen sie zuverlässig wieder zurück.

Bei der Vierschanzentournee war es zuletzt so, und auch bei Olympia setzte sich zunächst der Trend zum Rückschlag fort. Auf der Normalschanze sah Severin Freund nach Training und Qualifikation schon wie ein sicherer Medaillengewinner aus. Dann verschätzte er sich im Wettkampf im Bemühen um die entscheidenden Meter, stürzte und konnte froh sein, sich nicht schwer verletzt zu haben.

Von der Großschanze flog er dann wieder zuverlässig weit, aber doch um eine Winzigkeit zu kurz. Platz vier. Und Andreas Wellinger, der 18-jährige Bauchmensch aus Ruhpolding, auf der Normalschanze als Sechster bester Deutscher, hatte am größeren Bakken ein heftiges Negativerlebnis: Er fiel ins Windloch und landete auf Platz 45. Werner Schuster stellte fest: "Wir haben hier einiges durchmachen müssen."

Eine Eignung als Stehaufmann war also verlangt von den besten Deutschen, und von ihren Zuarbeitern die Fähigkeit, vor der besonderen Herausforderung zu bestehen. Andreas Wank weiß schon, wie das ist, bei Olympia zu kämpfen, weil er vor vier Jahren beim Silber-Gewinn von Vancouver auch schon dabei war, trotzdem war von ihm in besonderem Maße eine Energieleistung verlangt, weil er sich erst im internen Vergleich mit Richard Freitag für seinen Platz im Olympia-Quartett empfohlen hatte.

Und für Marinus Kraus, seit wenigen Tagen 23, war es das erste Mal, dass er den Kräften eines so bedeutenden Teamwettbewerbs standhalten musste. Und tatsächlich erledigten sie ihre Arbeit mit der Präzision, die es brauchte. Andreas Wank agierte solide, Marinus Kraus war in beiden Durchgängen der beste seiner Gruppe. Andreas Wellinger bewies seine mentale Stärke. Die Niederlage auf der Großschanze hatte er eilig aus den Gliedern geschüttelt. "Wenn ich zurückschaue, bringt das weder mir was noch der Mannschaft", sagte er und setzte im zweiten Durchgang einen 134,5-Meter-Sprung in den Zielraum, der die Österreicher endgültig in Bedrängnis brachte.

Und Severin Freund? Welcher Skisprung-Tücke würde er diesmal aufsitzen? Er wackelte tatsächlich ein bisschen als Schlussspringer. 131 Meter, 130,7 Punkte, fünftbestes Ergebnis seiner Gruppe nur. Aber dann leuchtete ja die Eins.

Skispringer Thomas Morgenstern
:Aus der Intensivstation zu Olympia

Thomas Morgenstern knallte vor einem knappen Monat aus der Luft auf den Aufsprunghang und musste ins Krankenhaus. In Sotschi will der Österreicher unbedingt springen. Soll man den Mann nun bewundern - oder ihn für verrückt erklären?

Von Thomas Hahn

"Keiner hat wirklich einen Fehler zugelassen", sagte Thomas Morgenstern, der Unfall-Österreicher aus Villach. Vor wenigen Wochen noch lag er in Salzburg auf der Intensivstation, weil er am Kulm böse gestürzt war, jetzt war er einer der Leistungsträger eines Silber-Teams, das seit neun Jahren Gold gewöhnt war.

Morgenstern dachte an seine schräge Geschichte, erklärte Platz zwei kurzerhand zum Sieg ("Für mich glänzte die Silberne wie Gold") und war so froh wie die Deutschen. Oder zumindest fast so froh. Ein paar Ohrfeigen hatten die Deutschen ja schon einstecken müssen in den vergangenen Wochen. Aber jetzt war auf einmal alles wieder gut.

© SZ vom 18.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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