Skispringer Thomas Morgenstern:Aus der Intensivstation zu Olympia

Ski Jumping World Cup in Bad Mitterndorf

Thomas Morgenstern am 10. Januar bei seinem Sturz beim Skifliegen am Kulm.

(Foto: dpa)

Thomas Morgenstern knallte vor einem knappen Monat aus der Luft auf den Aufsprunghang und musste ins Krankenhaus. In Sotschi will der Österreicher unbedingt springen. Soll man den Mann nun bewundern - oder ihn für verrückt erklären?

Von Thomas Hahn

So weit reicht der Trotz des Skispringers Morgenstern dann doch nicht, dass er alles mitnehmen könnte, was das Herz eines Austria-Adlers begehrt. Die kleinen Freuden des olympischen Lebens muss er sausen lassen, am Mittwoch zum Beispiel war Thomas Morgenstern nicht beim Bundespräsidenten. Es hat Tradition in Österreich, dass das Staatsoberhaupt die Olympia-Mannschaft verabschiedet, und Morgenstern wäre bestimmt sakrisch gerne dabei gewesen auf der Wiener Hofburg, als Heinz Fischer den Sotschi-Reisenden gutes Gelingen bei den Winterspielen wünschte.

Gut möglich, dass der Morgenstern sogar die Wahl zum Fahnenträger angenommen hätte, zu dem das österreichische Olympische Komitee ihn, den dreimaligen Olympiasieger, gerne gemacht hätte, wenn nicht tags nach der Eröffnungsfeier schon die Qualifikation zum ersten Wettkampf stattfinden würde. Das geht jetzt halt alles nicht. Morgenstern startet bei Olympia nach einer Sturz-Erfahrung, die ihn kurzzeitig mit Schädelprellung und Lungenquetschung auf die Intensivstation des Salzburger Unfallkrankenhauses brachte. Da wäre es nicht vernünftig, sich mit solchen Kürauftritte zu belasten.

Traum statt Trauma

Wobei Vernunft im Leistungssport ein dehnbarer Begriff ist. Denn das muss der Normalsterbliche nicht alles verstehen, was sich die Hochbegabten im Dienste dessen, was sie ihre "Träume" nennen, alles zumuten. Gerade Morgensterns Comeback irritiert manche im Publikum. Soll man den Mann nun bewundern dafür, dass er einen knappen Monat, nachdem er beim Skifliegen am Kulm aus großer Höhe auf den Aufsprunghang knallte, bei Olympia in die Luft gehen will? Oder soll man ihn für verrückt erklären deshalb?

Die Leute wundern sich, und Toni Innauer, selbst Olympiasieger und früherer Skisprung-Direktor im österreichischen Skiverband, berichtet, dass er dazu auf der Straße angesprochen wird. Spinnt der Morgenstern? Sollte der nicht erst mal langsam tun?

Toni Innauer versteht die Leute. Aber er versteht auch den Morgenstern, für den das Olympia-Erlebnis so etwas Besonderes ist, dass er dafür auch besonders kühne Schritte unternimmt. "Das ist die eigene Logik dieser ganz speziellen Berufsgruppe", wobei Innauer sein Verständnis für Morgenstern auch aus dem Umstand ableitet, dass dessen Olympiastart aus Mediziner-Sicht in Ordnung ist. Arzt Georg Lajtai hat kürzlich auf einer Pressekonferenz an der Klagenfurter Privatklinik Maria Hilf den Ehrgeiz seines Patienten für unbedenklich erklärt: Es gebe "keinen Hinweis für eine direkte Verletzungsfolge".

"Man muss ein neues Skript drüberlegen"

Eine Kleinigkeit ist das trotzdem nicht, was Thomas Morgenstern sich vorgenommen hat. Auch wenn er sich alle Mühe gibt, eine Geschichte daraus zu machen, die von Arbeit mit viel guter Laune erzählt. Auf seine Homepage hat er Bilder gestellt, die ihn strahlend im Operationssaal zeigen und bei Sprungübungen mit Trainer Heinz Kuttin im Krankenhaus. Er dankt allen, die ihm nach dem Aufprall wieder aufgeholfen haben, Ärzten, Fans, Verband, und er erklärt: "Ich werde mit einem guten Gefühl nach Russland reisen."

Aber Tatsache ist auch, dass Morgenstern bei seinem Sturz am Kulm genau das erlebt hat, wovor ein Skispringer am meisten Angst hat: über dem Vorbau vom Himmel zu fallen. "Man kann das vergleichen mit der Angst des Fallschirmspringers davor, dass der Schirm nicht aufgeht", sagt der norwegische Nationaltrainer Alexander Stöckl. Die Position des Springers in der Luft ist nach dem Absprung am anfälligsten, weil die Ski in sehr spitzem Winkel zur anströmenden Luft stehen. Morgenstern ist bekannt dafür, besonders mutig in die Vorlage zu gehen, am Kulm übertrieb er es, die Luft strömte auf den Ober- belag und brachte ihn aus der Balance.

Erste Hilfe für die Springerseele

So ein Sturz kann eine gute Lehre sein, wenn man dabei unverletzt bleibt. Der junge deutsche Spitzenspringer Andreas Wellinger verlor im vergangenen Jahr auf der Skiflugschanze in Planica das Gleichgewicht, konnte sich noch halbwegs retten und stieg danach gleich wieder auf den Turm. Er landete sicher und konnte den Schrecken als Ausnahme abhaken. Es war so etwas wie Erste Hilfe für die Springerseele. "Gut gemacht", sagt Innauer.

Schwierig wird es, wenn sich der Springer bei dem Sturz verletzt. "Dann beginnt die Zeitrechnung neu", sagt Innauer. Der frühere deutsche Podestplatz-Stürmer Pascal Bodmer hat auf diese Weise das Vertrauen ins Fliegen verloren, nachdem er im März 2011 in Planica gestürzt war und sich dabei die Schulter brach. Und Morgenstern konnte nach seinem jüngsten Sturz auch nicht gleich wieder auf den Turm.

Innauer hat so einer Situation selbst schon mitgemacht als Aktiver. Sein Trainer Baldur Preiml hat ihn danach von kleineren Schanzen springen lassen und ihm so allmählich die schlechte Erinnerung an den Sturz ausgetrieben. "Das muss man überschreiben", sagte Innauer, "man muss ein neues Skript drüberlegen." Das ist jetzt Morgensterns Aufgabe, und Innauer ist zuversichtlich, dass er sie bewältigt bis Olympia. Thomas Morgenstern ist am Kulm gestürzt, weil er sich zu tollkühn von der Schanze gestürzt hatte, nicht weil ihn der Wind aus der Bahn gefegt hat. "Das ist ein Vorteil", sagt Toni Innauer. Eigene Fehler kann man abstellen.

So durchgeknallt ist es deshalb gar nicht, dass Thomas Morgenstern nach den Tagen auf der Intensivstation die Olympischen Spiele ansteuert.

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