Manchester United in der Premier League:Harry Potter, bitte helfen!

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Die sportliche Zerstörung nimmt ihren Lauf: Erling Haalands wuchtiger Kopfball schlägt zum 2:0 im Tor von Manchester United ein. (Foto: Catherine Ivill/Getty Images)

Nach dem klar verlorenen Manchester-Derby fragt sich Fußball-England, wer schuld ist an der United-Krise. Spieler und Trainer? Oder herrscht wegen der Eigentümer ein toxisches Umfeld im Klub?

Von Sven Haist, Manchester

Pep Guardiola dürfte sich im Old Trafford wie zu Hause gefühlt haben. Während der zweiten Halbzeit des 191. Manchester-Derbys zwischen United und dem von ihm trainierten City stand er plötzlich sekundenlang inmitten der Coaching-Zone des Heimteams. Und wäre dort wohl noch eine Weile geblieben, wenn ihn nicht der vierte Offizielle am Spielfeldrand aufgefordert hätte, wieder die Seiten zu tauschen. Dass Guardiola kurzzeitig die Trainerzonen verwechselte, war nachvollziehbar. Denn zum einen wohnt er seit Jahren in der Industriemetropole Manchester, die sich beide Klubs teilen. Zum anderen glich die Atmosphäre im United-Stadion am Sonntag einem Heimspiel für City.

Wieder einmal war es dem Premier-League-Dauerchampion auswärts gelungen, das Feuer des Gegners auf dem Spielfeld und auf den Tribünen mit unendlichen Ballstafetten zu löschen. Das gelang auch, weil United letztlich nur ein Strohfeuer entfacht hatte. Die Löschtruppe der Gäste führte Angreifer Erling Haaland an, der bei Citys 3:0 die ersten zwei Tore erzielte und den dritten Treffer von Phil Foden in der Schlussphase auflegte. Auf dem Weg zum Stadionausgang sinnierten Haaland und Guardiola sogar noch herzhaft über ausgelassene Chancen. Mit einem weiteren Treffer wäre das drittplatzierte City aufgrund der dann besseren Tordifferenz am FC Arsenal auf den zweiten Rang vorbeigezogen, hinter Tabellenführer Tottenham Hotspur.

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Von der guten Laune der Citizens könnte diesmal eventuell auch United profitieren. In der Pressekonferenz nach dem Spiel nämlich gab Guardiola Einblicke in sein Erfolgsrezept: Der Verein sei so stabil, weil die leitenden Angestellten an einem Strang zögen, der Präsident, der Geschäftsführer, der Sportdirektor und er selbst. Dies ließ sich einst im gleichen Maße über den Stadtnachbarn behaupten, als Trainer Alex Ferguson sozusagen all jene Posten in Personalunion ausführte. In seiner Ära kassierte er in 405 Premier-League-Heimspielen lediglich 34 Niederlagen - so viele wie nun seine Nachfolger in knapp halb so vielen Partien.

Zehn Jahre ist Fergusons Amtszeit inzwischen vorüber - die Nachfolger tun sich allesamt schwer

Seit Alex Fergusons Abschied 2013 scheint bei United jeder für sich selbst zu arbeiten, und dabei auch noch lukrativ zu verdienen: die Spieler, der Trainer, das Management und natürlich die immer dem Geld (nicht dem Ball!) zugewandte Besitzerfamilie Glazer. Soeben hat Manchester United einen Premier-League-Umsatzrekord aufgestellt: eine Dreiviertelmilliarde Euro fürs abgelaufene Geschäftsjahr, obwohl der Klub in der Vorsaison nicht mal in der Champions League war. Dennoch verzeichnete United einen Verlust von 50 Millionen, was die Lage treffend bündelt.

Im Sky-Studio diskutierten die ehemaligen englischen Nationalspieler Gary Neville und Jamie Carragher hitzig über den Niedergang des englischen Rekordmeisters. Ihr Schl­agabtausch war weitaus leidenschaftlicher als so mancher vorheriger United-Zweikampf. Die Carragher-Analyse zielte auf die Profis und Trainer Erik ten Hag ab: Der Niederländer sei nun anderthalb Jahre im Amt und trotzdem lasse sich "überhaupt kein Spielstil" erkennen. Nach jeder Niederlage werde alles auf die Besitzer abgewälzt. Aber was ten Hag mit den Spielern von Montag bis Freitag trainiere, habe nichts mit der ungeklärten Eigentümersituation zu tun, kritisierte er.

Wer hat Schuld an Manchester Uniteds Krise? Jamie Carragher (li.) und Gary Neville sind unterschiedlicher Meinung. (Foto: Andrew Yates/Sportimage/Imago)

Grundsätzlich stimmte Neville Carragher zu. Auch er habe "keine Ahnung", was ten Hag mit der Mannschaft einstudiere. Doch die wirkliche Frage sei doch, warum reihenweise renommierte Spieler und Trainer in Manchester "vor unseren Augen sterben". Er, Neville, mache der Mannschaft keine Vorwürfe mehr. Wenn sich Kinder jahrelang schlecht benehmen würden, denke man auch irgendwann, dies müsse von oben kommen, von den Eltern. Und bei United hätten die Glazers eben eine "kulturelle Toxizität" geschaffen, die "zum Scheitern verurteilt" sei. Der Klub sei "ein Friedhof" für die Spieler. Nevilles Fazit: United sei kein gut geführter Fußballverein, bei dem nicht die Spieler und der Trainer, sondern "die Eigentümer das Problem" seien. So sehen es auch die aufgebrachten Fans.

Die Glazer-Familie hatte angekündigt, die Klubanteile verkaufen zu wollen - dazu kam es bisher nicht

Vor fast genau einem Jahr kündigten die sechs Glazer-Geschwister an, eine Veräußerung des von Vater Malcom geerbten Klubs zu erwägen. Zwei Interessenten signalisierten ihre Kaufbereitschaft: Ineos-Gründer Jim Ratcliffe und der Katar-Banker Scheich Jassim. Das Bieterduell nutzten die Glazers, um den Preis in realitätsferne Höhe von kolportierten fünf bis sechs Milliarden Pfund zu treiben - bis der sehr forsch an die Sache herangegangene Jassim kürzlich sein Angebot pikiert zurückzog. Er hatte wohl verstanden, dass die US-Amerikaner den Verein womöglich gar nicht gänzlich verkaufen möchten.

Die Besitzer erwägen stattdessen gerade das Angebot von Ratcliffe, welcher 25 der von ihnen insgesamt gehaltenen 69 Prozent der Klubanteile für rund eineinhalb Milliarden Pfund erwerben möchte. Hinter einer solchen Vereinbarung könnte die Überlegung stecken, dass sich der ein oder andere Glazer-Erbe aus dem Fußballgeschäft zurückziehen möchte und auf diese Weise ausbezahlt werden könnte.

Die Unsicherheit über den möglichen Besitzerwechsel scheint an United jedenfalls nicht spurlos vorüberzuziehen. Das Betriebsklima wirkt ähnlich emotional und instabil wie das Auftreten der Profimannschaft. Viele Mitarbeiter in der Fußballabteilung sorgen sich derzeit wohl um ihre Position. Sofern der Deal tatsächlich geschlossen wird, würde nämlich Ratcliffe angeblich die Leitung der Sport-Belange von den Glazers übernehmen.

Doch statt Jim Ratcliffe, witzelte Neville, würde Manchester United eher den Namensvetter Daniel Radcliffe benötigen. Der ist Schauspieler und verkörperte einst den mit magischen Kräften ausgestatteten Harry Potter.

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