Manchester United:Mourinho hinterlässt das Chaos als Vermächtnis

Lesezeit: 4 min

  • Manchester United hat unter Trainer José Mourinho riesige Summen Geld verprasst, Erfolge gab es wenige.
  • Unter ihm hat Manchester den schlechtesten Ligastart seit 28 Jahren hingelegt.
  • Ex-Profi Ole Gunnar Solskjær wird bis Saisonende Interimscoach.

Von Sven Haist, London

Immer weiter trieb José Mourinho seine Spieler in die Ecke. Selbst als die nicht mehr in der Lage zu sein schienen, sich zu wehren, kannte er kein Erbarmen. Bei jeder Gelegenheit führte der wortgewaltige Trainer von Manchester United sein Team vor, indem er es entweder gnadenlos niedermachte oder den Gegner in den Himmel lobte. Wobei sich die süßen Komplimente für die Konkurrenten weitaus demoralisierender angefühlt haben müssen für die eigenen Profis als die teilweise vernichtenden Kritiken. Auf diese Art wollte Mourinho sie dazu bringen, sich auf dem Platz mehr anzustrengen, um dann selbst in den Genuss seiner Wertschätzung zu kommen.

In den ersten beiden Jahren spielten die Spieler dieses Motivationsspielchen ihres Chefs mit, indem sie mit Leibeskräften versuchten, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Auf Anhieb gewann Manchester United den englischen Supercup, den Ligapokal sowie die Europa League, in der Vorsaison reichte es neben Platz zwei in der Premier League noch zum Erreichen des Pokalfinals. Nur lässt sich dem geradezu übermenschlichen Druck, den Mourinho auf seine Spieler erzeugt, offenkundig nicht auf Dauer standhalten.

Der schlechteste Saisonstart von Manchester United seit 28 Jahren wurde ihm zum Verhängnis: José Mourinho, der sich selbst "The special one" nennt, ist samt seiner umstrittenen Methoden wieder zu haben. (Foto: dpa)

Schon gar nicht, wenn sich Ergebnisse summieren, die der Aura des portugiesischen Seriensiegers in der Öffentlichkeit schaden. Ein Profi nach dem anderen musste Tribut zollen in den vergangenen Monaten, weil Mourinho seine Psychospiele auf die Spitze trieb. Die Spannung zwischen ihm und den Athleten stieg stetig an - bis der Verein jetzt reagierte. Sonst wäre die Auseinandersetzung wohl bald eskaliert.

Anfang des Jahres wurde der Vertrag noch bis 2021 verlängert

Mit 382 Zeichen und ohne Bild gab United am Dienstagvormittag unter der Überschrift "José Mourinho leaves United" die Entlassung des im Sommer 2016 eingestellten Trainers bekannt. In der Mitteilung, die so nüchtern ausfiel wie die zweieinhalbjährige Zusammenarbeit, heißt es: "Der Klub möchte José für seine Leistung in seiner Zeit bei Manchester United danken und wünscht ihm viel Erfolg für die Zukunft."

Um 9.12 Uhr britischer Zeit erschien Mourinho, 55, am Trafford Training Centre zu seinem letzten Arbeitstag beim englischen Rekordmeister. Auf dem Vereinsgelände teilte ihm Geschäftsführer Ed Woodward seine Entlassung mit, bevor Mourinho um 12.32 Uhr seine Zeit in Manchester auf der Autorückbank mit einer kolportierten Abfindung in Höhe von knapp 30 Millionen Euro beendete.

Karriere von José Mourinho
:"Nach Gott kam ich"

José Mourinho hat alles gewonnen und sich mit allen angelegt. Jetzt muss er bei Manchester United gehen. Seine Laufbahn in Bildern.

Von Thomas Hürner

Zu Beginn des Jahres hatte der Verein den Vertrag mit ihm noch bis 2021 verlängert. Das Training am Nachmittag übernahm der ehemalige United-Mittelfeldspieler Michael Carrick, 37, der seit Sommer dem Trainerteam angehörte. Am Mittwoch gab der Klub dann bekannt, dass der ehemalige Angreifer Ole Gunnar Solskjær, 45, bis zum Saisonende als Interimstrainer einspringen wird.

"Manchester United ist in meinem Herzen und es ist brillant, in dieser Rolle zurückzukommen", sagte Solksjaer: "Ich freue mich sehr darauf mit dem sehr talentierten Kader zu arbeiten, der Belegschaft und jedem im Klub." In elf Saisons erzielte Solksjaer für den Verein 126 Tore, darunter der unvergessene Siegtreffer gegen den FC Bayern in der Nachspielzeit des Champions-League-Finals 1999.

Der Norweger Solskjær, der zu den Fanlieblingen gehört bei United, führte soeben Molde FK in der gerade abgelaufenen Saison auf den zweiten Platz der heimischen Liga. "Ole ist eine Klublegende mit großer Erfahrung, sowohl als Spieler auf dem Platz als auch in der Position des Coaches. Seine Historie bei United bedeutet, dass er die Kultur hier lebt und atmet", sagte Geschäftsführer Woodward in einer Pressemitteilung. Sein Trainerdebüt in der Premier League gab Solskjær bei Cardiff City zu Beginn des Jahres 2014. In der Rückrunde gelang es ihm damals allerdings nicht, den walisischen Verein vor dem Abstieg zu bewahren. In der darauffolgenden Spielzeit entschloss sich Cardiff, ihn nach sieben Zweitligapartien zu entlassen.

Nach 17 Spielen hat United nun mit 26 Punkten und einem Torverhältnis von 29:29 den schlechtesten Ligastart seit 28 Jahren hingelegt. Auf dem sechsten Platz liegend, befindet sich der Klub bereits 19 Punkte hinter Tabellenführer FC Liverpool. Beim 1:3 am Sonntag in Liverpool mussten die Red Devils eine Torschussbilanz von 6:36 über sich ergehen lassen.

Um an Renommee nicht weiter zu verlieren, blieb den Vereinsbossen nach der sportlichen Bankrotterklärung keine andere Wahl, als Mourinho freizustellen. Die bisherigen Saisonleistungen ziehen neben dem sportlichen Bedeutungsverlust einen finanziellen Schaden nach sich - und da versteht die profitorientierte Glazer-Familie aus den USA als Eigentümer dann keinen Spaß mehr.

Rund 400 Millionen Euro hat Manchester mit Mourinho für elf Spieler verprasst, von denen kaum einer den Verein weitergebracht hat. Der Marktwert des Kaders krachte zuletzt ebenso drastisch in den Keller wie die Attraktivität des Vereins für Zugänge und Talente. Die radikale Defensivstrategie, die Mourinho seinem Team aufzwang, weil er den Spielern nicht über den Weg traute, verhinderte jede Form des Spielwitzes. Sein Leitspruch - mit der Leichtigkeit eines Champions angreifen und mit der Hingabe eines Tabellenletzten verteidigen - erinnert zwar an die Zeit seiner früheren Erfolge mit Porto, Chelsea und Inter Mailand, aber die liegen jetzt fast schon ein Jahrzehnt zurück.

Fraglos gehört Mourinho weiterhin zu den Besten seines Fachs, wenn es darum geht, einen Abwehrplan zu entwerfen, der den Gegner am Torschießen hindert. Umgekehrt überlässt er die Spieler jedoch sich selbst bei den Angriffen, und er bremst das eigene Offensivspiel dazu noch aus, indem sich die meisten Profis zur Absicherung eines möglichen Ballverlustes gar nicht mitbeteiligen dürfen. Der gegenwärtigen Generation an Spielern, die sich mehr als Kreateure denn als Diener sehen, ist das kaum zu vermitteln.

Nachdem Mourinho nach seinen ersten beiden Saisons bei Real Madrid vor sechs Jahren von Spielern hintergangenen wurde, die Interna ausplauderten, hat sich sein Umgang mit den jeweiligen Mannschaften verändert. Der frühere Spielerversteher versteht die Spieler nicht mehr oder will sie nicht mehr verstehen. Das Engagement in Manchester bot Mourinho die Option zu beweisen, aus seiner zweiten Freistellung beim FC Chelsea gelernt zu haben - stattdessen sieht sie nach einer Duplizität der Ereignisse aus.

Bis auf einen Tag genau vor drei Jahren entließ ihn Chelsea nach ebenfalls zweieinhalb Jahren. Mit den gleichen Problemen, die jetzt in Manchester wieder zutage kamen: der Zoff mit Spielern, mit Klubverantwortlichen und mit den Medien. Die Streitereien zwischen Mourinho und den anderen Parteien nach den Spielen boten meist mehr Unterhaltungswert als die vorherigen Darbietungen auf dem Platz. Kürzlich legte er im Ringerstil zwei Träger mit mehreren vollen Trinkflaschen um, die Zeitung Times titelte: "Mourinho lets it all out." Als Vermächtnis, das kann man kaum anders sagen, hinterlässt er bei Manchester United ein Chaos.

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ManU wirft Mourinho raus
:Die Schatten der Vergangenheit reichen nicht mehr

"Respekt, Respekt, Respekt" forderte José Mourinho vor wenigen Wochen ein - nun muss der Trainer bei Manchester United gehen. Seinen Spielern hinterlässt er ein vergiftetes Lob.

Von Christopher Gerards

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: