Manchester City:Dominant mit 92 Prozent Ballbesitz

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Im Manchester-Derby nur kurz auf Augenhöhe: City-Coach Pep Guardiola (links) und Uniteds deutscher Trainer Ralf Rangnick. (Foto: Oli Scarff/AFP)

Ungleiches Derby in Manchester: Während City im Meisterschaftskampf ein beeindruckendes Signal nach Liverpool sendet, lästert die britische Presse über United.

Von Sven Haist, Manchester

Der vierte Treffer für Manchester City besaß kurz vor Spielende eigentlich nur statistischen Wert. Trotzdem feierten Spieler und Fans das zunächst wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung verweigerte Tor ausgiebig. Dabei dürfte die Freude über den Treffer weniger der Schadenfreude gegenüber dem mit 4:1 (2:1) abgefieselten Stadtnachbarn Manchester United entsprungen sein als dem Gefühl, dass es in dieser Premier-League-Saison tatsächlich auf jedes Tor ankommen könnte - im Meisterschaftsrennen mit dem FC Liverpool.

In den vergangenen Wochen hat Tabellenführer City durch einige vermeidbare Punktverluste (1:1 beim FC Southampton; 2:3 gegen Tottenham Hotspur) den zu Jahresbeginn scheinbar abgehängten Rivalen wieder zu sich aufschließen lassen. Vor dem direkten Showdown in Manchester im April trennen beide Klubs an der Tabellenspitze aktuell nur noch sechs Zähler. Das zweitplatzierte Liverpool könnte sogar durch ein Nachholspiel und mit dem gerade marginal besseren Torverhältnis aus eigener Kraft vorbeiziehen.

Daher wertete City-Trainer Pep Guardiola am Sonntag die Ausgangslage seines Teams "als Scheinvorsprung" auf den Konkurrenten. Er habe das Gefühl, so Guardiola, dass seine Elf in den verbleibenden zehn Spielen "fast alle Punkte" benötige, um den Titel zu behalten und die vierte Meisterschaft in fünf Jahren zu erreichen. Doch wenn ein Verein in England einen derart makellosen Endspurt hinlegen kann, ist es wohl jenes City, dem bereits vor drei Jahren eine grandiose Serie glückte. Damals gewann Guardiolas Team von Februar bis Mai alle 14 Ligaspiele und verdrängte Liverpool um einen Punkt auf den zweiten Platz. Auch in dieser Spielzeit gelangen City schon zwölf Premier-League-Erfolge nacheinander.

Kaum zu glauben, aber wahr: Manchester City vergibt viele Chancen. Hier ist es Kevin De Bruyne - doch der Belgier erzielte dennoch zwei Tore gegen den Lokalrivalen United. (Foto: Simon Stacpoole/Offside Sports Photography/Imago)

Hinter der teils erdrückend wirkenden Dominanz steckt eine zum Automatismus gewordene Spielchoreografie, in der City der Ball generell kaum noch abhandenkommt. Selbst in höchster Bedrängnis weiß jeder Spieler um die Positionierung der Kollegen auf dem Platz und besitzt zugleich die technischen Fertigkeiten, den Ball ohne Abspielfehler weiterzuleiten. In dieser unaufhörlichen Fußball-Mühle, in der Präzision und Geduld über allem stehen, gab es für United keinen Ausweg. Wo immer der Erzrivale eine Lücke schloss, schien an anderer Stelle sofort wieder eine aufzugehen. Und so liefen sich die bemitleidenswerten United-Spieler eine Stunde lang die Füße wund, bis sie mit unvermeidbar einsetzender Müdigkeit zum Spielball für City wurden - sowie zum Gespött der gewohnt polemischen Inselpresse.

Citys Prunkstück ist das offensive, jederzeit torgefährliche Mittelfeld um Kevin De Bruyne

Zwischen der 71. und 86. Minute dominierte City die Partie mit monströsen 92 Prozent Ballbesitz. Die Times lästerte deshalb, es sei "bemerkenswert", dass beide Vereine noch immer als "Nachbarn" gelten, wo sie sportlich "so weit auseinander" liegen würden. Gewohnt martialisch urteilte der Telegraph die United-Niederlage als "Kapitulation und kollektive Blamage" ab. City habe United anfangs bewusst "laufen" lassen, erklärte Guardiola, bevor sein Team die gegnerische Müdigkeit zu einer zweiten Halbzeit "der allerbesten Sorte" ausnutzte. Kevin De Bruyne (5./28.) und Riyad Mahrez (68./90.+1) gelang jeweils ein Doppelpack, wobei De Bruyne den dritten Treffer mit einem punktgenauen Eckball initiierte. Dadurch kommt der Belgier auf nun 88 Torbeteiligungen (37 Tore, 51 Vorlagen) in 100 Premier-League-Heimspielen.

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Im Vergleich zu Liverpool, das in Mohamed Salah über einen ausgebildeten Torjäger (19 Ligatreffer) verfügt, findet sich im City-Kader kein Angriffsspezialist. Stattdessen verteilen sich die Tore vor allem auf reichlich Mittelfeldprofis: Bereits sechs Spieler aus diesem Mannschaftsteil erzielten bislang mindestens fünf Treffer. Und ohne Stoßstürmer, dafür mit sechs ballsicheren Offensivakteuren demoralisierte City auch den nun um 22 Zähler distanzierten und auf Platz fünf abgerutschten Rekordmeister.

Was wird Rangnick tun, wenn Cristiano Ronaldo sich wieder fit fühlt?

Guardiolas Plan wollte United-Trainer Ralf Rangnick mit der Idee kontern, die laufstarken Spielgestalter Bruno Fernandes und Paul Pogba als Doppelspitze aufzubieten. Allerdings ist nicht ganz klar, ob Rangnick dafür den formschwachen Cristiano Ronaldo als Stoßstürmer opfern wollte - oder ob dieser sich zuvor bei Rangnick wegen Hüftproblemen abmeldete. Auf der Pressekonferenz gab Rangnick diplomatisch an, dass ihn "der Doktor" am Freitag- und Samstagmorgen jeweils über Ronaldos Beschwerden unterrichtet hätte.

Bis zur Auswechslung des lange verletzten und deshalb entkräfteten Pogba in der 64. Minute absolvierte United jedenfalls das beste Saisonspiel. Neben dem genial aus der eigenen Spielhälfte herauskombinierten zwischenzeitlichen Ausgleich durch Jadon Sancho (22.) kam das weit vorn attackierende United zu beachtlichen Torchancen, die sogar eine Führung zur Halbzeit gerechtfertigt hätten. Selbst Guardiola gab zu, dass United "sehr aggressiv" agiert habe, was auf diese Weise lediglich "ohne Ronaldo" möglich gewesen sei.

Das bringt Rangnick nun in die komplizierte Lage, seinem Superstar Ronaldo im Grunde den Stammplatz entziehen zu müssen - vor den beiden wichtigen Heimspielen gegen Tottenham in der Liga und Atlético Madrid in der Champions League (Hinspiel 1:1). Aber der dann wohl unvermeidliche öffentliche Aufschrei des Portugiesen ließe sich dem Team wohl kaum aufbürden.

Dagegen stellt sich bei Manchester City die umgekehrte Frage, nachdem der Verein im Werben um Ronaldo im Sommer den Kürzeren gezogen hatte: Kann das Guardiola-Team ohne echten Angreifer im Titelrennen der Premier League bestehen? Und erst recht in der Champions League, die der Klub nach wie vor erstmals (und schon im sechsten Anlauf mit Guardiola) zu gewinnen versucht? Denn die vielleicht größte Schwäche der Mannschaft ist weiterhin das Auslassen hochkarätiger Torchancen - auch diesmal wieder, trotz des 4:1 über den Nachbarn.

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