Champions League:Spektakel mit Stichflamme

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Ein Spiel voller Spektakel und Härte: Hier zieht Manchesters Rodri (links) gegen Real-Stürmer Karim Benzema voll durch. (Foto: Lee Smith/Action Images/Reuters)

Sieben Tore, Kinnhaken, ein Panenka-Elfmeter: ManCity gewinnt das Halbfinal-Hinspiel 4:3, ist aber schwer beeindruckt von Reals Comeback-Fähigkeiten. Pep Guardiola warnt bereits eindringlich vor dem Rückspiel.

Von Javier Cáceres, Manchester

Die Menschen waren noch erfüllt von einem Spiel von epischer Breite, die Colts rauchten gewissermaßen noch, da widmete sich Josep Guardiola schon der Vorbereitung des Rückspiels. Denn den Ort, an dem seine Mannschaft, Manchester City, in der kommenden Woche das irrwitzige 4:3 vom Dienstag verteidigen muss, kennt Guardiola nur zu gut.

Der Katalane, seit sechs Jahren Trainer in England, war einst Spieler und Trainer beim FC Barcelona, und später auch Coach des FC Bayern München; seine gutachterlichen Fähigkeiten, was Spiele im Estadio Santiago Bernabéu anbelangt, könnten größer kaum sein. Und so weiß er, dass es kaum darum gehen kann, schon jetzt an das Endspiel von Paris zu denken, dessen Tür nach diesem 4:3 für City bloß einen Spalt breit offener steht als für Madrid. "Denkt nicht ans Finale!", werde er seinen Spielern sagen, "kümmert euch darum, für eine gute Aufführung zu sorgen, und vielleicht wird es das sein, was uns dem Finale näherbringt."

Zwei frühere Bayern-Trainer kämpfen um den Finaleinzug: Pep Guardiola (rechts) und Carlo Ancelotti. (Foto: Mike Egerton/dpa)

Am Dienstag blieb, was den Amüsement-Faktor des Spiels anbelangte, nicht mehr viel Luft nach oben. Aber wann, wenn nicht jetzt, soll man darauf wetten, dass im Bernabéu am Mittwoch kommender Woche neuerlich ein Spektakel ins Haus steht, wenn es um den Einzug ins Champions-League-Finale vom 28. Mai geht?

Er habe das fulminante 4:3 genossen wie jeder andere Zuschauer auch, sagt Guardiola

Madrid muss zwei Tore mehr schießen als Manchester, die K.-o.-Runde drehen; und City ist nicht die beste Mannschaft, wenn es darum geht, Ergebnisse zu verteidigen. "Das Ergebnis spielt keine Rolle. Selbst wenn wir 2:0 oder 3:0 vorne lägen, müssten wir ins Bernabéu fahren und gut spielen", dozierte Guardiola: "Denn entweder du bist dort du selbst, oder du hast keine Option." Es ist also, mit anderen Worten, angerichtet.

Er sei stolz auf seine Mannschaft, er habe das Spiel genossen wie jeder andere Zuschauer auch, bekundete Guardiola. Doch das wollte nicht ganz zu seiner Körpersprache in den ersten 90 Minuten passen. Kontemplative Momente der Labsal waren seltener zu erkennen als Augenblicke der Wut, der Ekstase, der Verzweiflung, der Freude. Und hernach, da gefror das Lächeln, das er doch auf den Lippen trug, als der Zeitpunkt gekommen war, auf Fragen von Journalisten der spanischen Hauptstadt zu antworten. Da war er schnippisch, einsilbig, höhnisch. Was ihm durch den Kopf gegangen sei, als er sich nach dem Elfmeterpfiff gegen City auf die Kühlbox in der Coaching Zone setzte, aus Ärger über das Handspiel von Aymeric Laporte, wurde er gefragt. "Ich wollte ein Bier trinken. Aber es war zu warm", antwortete er.

Ein Elfmeter, wie man ihn frecher kaum schießen kann: Karim Benzema führt in seinem 600. Spiel für Real das Panenka-Kunststück auf. (Foto: Catherine Ivill/Getty)

Der Elfmeter, er wäre nicht nur ein Bier, sondern eine Flasche Cava wert gewesen; seine Ausführung war in der 82. Minute gewissermaßen die letzte, bezaubernde Stichflamme eines immerzu lodernden Spiels, das es verdiente, begossen zu werden: Real Madrids Kapitän Karim Benzema trat an, und er verwandelte den Strafstoß im festlich geschmückten Stadion mit einem formvollendeten, subtilen, frechen Lupfer, mit dem Madrid also doch noch auf 3:4 verkürzte. Einen Elfmeter à la Panenka zu treten, nachdem er in diesem Monat bereits drei Elfmeter verschossen hatte - derlei macht zurzeit wohl nur Benzema.

Was da bereits hinter den beiden Mannschaften lag, war ein erbarmungsloser Kampf, ein Austausch brutaler Schläge an das Kinn des jeweils anderen. Doch keiner der beiden Kontrahenten fiel.

Die Schläge, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, vollzogen sich ungefähr wie folgt: Real Madrid erholte sich von der desaströsen Anfangsphase, in der sie nach elf Minuten durch Tore von Kevin De Bruyne (2.) und Gabriel Jesús (11.) hinten lagen, und kam durch Benzemas Volleytreffer heran (33.) - im Grunde nur deshalb, weil Riyad Mahrez allein vorm Tor aufgetaucht war und den Ball nicht quer auf Phil Foden gelegt hatte, die Chance zum 3:0 durch Selbstverliebtheit vergab. Und auch von den nächsten Treffern Citys ließ sich Real Madrid beirren. Dem 3:1 durch Phil Foden (53.) folgte das Tor von Reals Stürmer Vinícius (55.) zum 2:3; dem Schuss in den Winkel von Bernardo Silva (74.) ließ Benzema sein Panenka-Kunststück vom Punkt folgen - zur Krönung seines 600. Spiels für Real.

Reals eklatante Fehler im Hinspiel ziehen sich durch alle Mannschaftsteile

Was für einen Effekt das Tor auf City hatte, ließ sich auch aus den Worten Guardiolas herauslesen. "Ich möchte meine Spieler davon überzeugen, dass wir das Spiel gewonnen haben und die Köpfe hoch nehmen müssen", sagte der Katalane. Was nur heißen kann, dass auch sie beeindruckt davon waren, wie Madrid immer und immer wieder zurückkam.

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Es hatte tatsächlich etwas Übersinnliches, eine Unerklärlichkeit, und so war es nur gerechtfertigt, dass Real Madrids Trainer Carlo Ancelotti die Frage ereilte, ob da das historische Gewicht Madrids zum Tragen komme, die 13 Titel in der Königsklasse. Hätte Ancelotti seine linke Augenbraue nicht schon seit dem Pleistozän hochgezogen, so wäre das der Moment gewesen, sie zu wölben. "Die Charakteristik dieses Teams ist es, dass es über Spieler mit viel Erfahrung verfügt, die in sehr schwierigen Momenten nie den Kopf verlieren, nie die Arme hängen lassen", antwortete Ancelotti. Aber: Sein Team hatte auch vier Tore kassiert; durch eklatante Fehler, die sich im Grunde durch alle Mannschaftsteile zogen.

Richtig rund machte Ancelotti vor allem den jungen Außenstürmer Vinícius, weil er beim 1:3 Citys Außenverteidiger Fernandinho ziehen und flanken ließ; Vinícius düpierte seinen Landsmann zwei Minuten später und verkürzte, wie gesagt. "Wenn wir besser verteidigen, gewinnen wir", sagte Ancelotti. Zu defensiven Unzulänglichkeiten hätte freilich auch Guardiola eine ganze Lesung abhalten können. Einer Wiederaufführung der ultradefensiven zweiten Halbzeit aus dem Viertelfinalrückspiel bei Atlético Madrid erzielte Guardiola eine Abfuhr: "Dann haben wir keine Option."

Was wohl auch stimmt. Es wird keinen heißeren Tempel geben als kommende Woche das Bernabéu. "Das Bernabéu hat Arbeit vor sich", titelte die Zeitung As am Mittwoch; sie folgte damit den Aufrufen von Kapitän Benzema ("Wir brauchen die Fans wie nie zuvor") und von Trainer Ancelotti. "Sie sollen sich bereitmachen, denn wir werden um eine weitere magische Nacht kämpfen", sagte der Italiener.

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