London vor den Olympischen Spielen:Vorwärts, marsch!

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Wenige Tage vor dem Beginn der Olympischen Sommerspiele gleicht die Gastgeberstadt London einem Hochsicherheitstrakt. Tausende Soldaten besetzen die Stadt, Boden-Luft-Raketen sichern den Luftraum - und die ersten Athleten stehen im Stau.

Christian Zaschke, London

Das amerikanische Segelteam machte den Anfang. Früh am Montagmorgen erreichten die Sportler den Londoner Flughafen Heathrow, wo sie von Scharen von Freiwilligen im Empfang genommen wurden. Die Segler waren gleich mal ein guter Test, weil sie ihre Boote in mehreren Containern dabei hatten und zudem Sporttaschen in Wandschrankgröße mit sich führten. In zehn Tagen beginnen die Olympischen Spiele in London, und in Heathrow bereiten sich die Freiwilligen und die Sicherheitskräfte auf "Großbritanniens größte Verkehrsherausforderung zu Friedenszeiten" vor, wie ein Sprecher sagte. Knapp 237.000 Passagiere erwartete Heathrow am Montag, der Durchschnitt liegt bei 190.000 Reisenden am Tag.

Die Athleten - 10.500 werden zu den Spielen erwartet - und sämtliche Mitglieder der "Olympischen Familie" haben es bei der Weiterreise in die Stadt etwas einfacher als die anderen Besucher: Sie dürfen eigens eingerichtete Fahrspuren benutzen, die sogenannten Games Lanes. Die erste wurde am Montagmorgen auf der Autobahn M4 in Betrieb genommen, sie führt von Heathrow in die Innenstadt.

Sehr früh am Morgen führte das dazu, dass sich auf zwei Spuren der Verkehr staute, während auf der Games Lane nur alle paar Minuten mal ein Auto entlangbrauste. Nach einem Unfall auf der M4 kam es zu einem Stau, in dem auch einige Sportler mehrere Stunden lang feststeckten. Im Laufe des Vormittags lösten sich die Staus wieder auf.

Auch die ersten Journalisten trudelten am Montag in der Stadt ein, mehr als 20.000 werden während der Spiele erwartet. Die Vorhut kam am Montag in den Genuss einer Rede von Londons Bürgermeister Boris Johnson, der sich bemühte, der Sportpresse weiszumachen, in London regne es weniger als in Rom. Zudem gebe es mehr Restaurants mit Michelin-Sternen als in Paris. Und überhaupt: Wenn nun erst einmal das Olympische Feuer über die Straßen Londons getragen werde, würde auch das übliche Genörgel endlich aufhören. "Wenn die Eröffnungsfeier beginnt, wird viel von dem, was jetzt geredet wird, einfach hinwegschmelzen", sagte Johnson.

Mit dem Genörgel meint Johnson die vielerorts geäußerten Bedenken bezüglich der Sicherheit. Am Wochenende hatte der Observer gemeldet, dass mehrere Terrorverdächtige durch die Kontrollen in Heathrow geschlüpft seien. Für Innenministerin Theresa May ist das eine pikante Situation. Sie hatte zunächst im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen der Regierung viele Grenzbeamte entlassen. Als es in Heathrow daraufhin bei der Einreise zu riesigen Schlangen kam und manche Fluggäste bis zu drei Stunden lang warten mussten, wurde das Personal hastig wieder aufgestockt. Das neue Personal ist jedoch zum Teil noch nicht gut genug ausgebildet, zum Teil fehlt es an Erfahrung.

Die Terrorangst in London ist ausgeprägt, weil sich einen Tag nach der Vergabe der Spiele an die Stadt im Jahr 2005 vier Selbstmordattentäter in der U-Bahn und in einem Bus in die Luft gesprengt hatten. 52 Menschen kamen damals ums Leben, mehr als 700 wurden verletzt. Bürgermeister Johnson sagte am Montag: "Es ist absolut entscheidend, dass wir die Botschaft vermitteln, dass diese Spiele sehr sicher sein werden. Natürlich kann man nie zufrieden sein, was Fragen der Sicherheit angeht, aber London wird sehr, sehr sicher sein."

Bereits in der vergangenen Woche musste die Innenministerin eine peinliche Panne verkünden: Die private Sicherheitsfirma G4S kann nicht wie verabredet 10.000 Sicherheitskräfte für die Spiele stellen. Bisher sind erst 4000 Mitarbeiter ausgebildet, um an den Sportstätten Taschen zu durchleuchten und Besucher abzutasten. Deshalb verkündete Ministerin May, dass 3500 zusätzliche Soldaten für die Zeit der Spiele eingesetzt würden - zusätzlich zu den 13.500 Armeeangehörigen, die ohnehin im Einsatz sind.

May wies jede persönliche Verantwortung von sich. Im Gegenteil: Sie pries ihr Ministerium dafür, dass es so schnell reagiert habe. Der Kultur- und Sportminister Jeremy Hunt vertrat im Gespräch mit der BBC die Ansicht, es sei "völlig normal", dass ein Vertragspartner wie G4S bei einem Großprojekt wie den Spielen seinen Verpflichtungen nicht nachkommen könne. Es sei vielmehr "ehrenhaft", dass die Firma ihre Probleme eingeräumt hat. Erst Mitte vergangener Woche teilte die Firma mit, dass sie ihre Verpflichtungen nicht erfüllen kann. G4S wird der Fehler nach eigenen Angaben rund 50 Millionen Pfund kosten, knapp 63 Millionen Euro.

Mitglieder der Streitkräfte patrouillieren in der Umgebung des Olympiastadions im Londoner Osten. (Foto: AFP)

Ursprünglich hatte das Unternehmen einen Vertrag mit dem Olympia-Organisations-Komitee (Locog) über 2000 Sicherheitskräfte geschlossen. Dafür sollte G4S 86 Millionen Pfund erhalten. Nachdem Locog das Sicherheitsprogramm jedoch überarbeitet hatte, wurde der Auftrag im vergangenen Dezember deutlich vergrößert: Nun sollte G4S etwas mehr als 10.000 Mitarbeiter stellen und dafür 284 Millionen Pfund erhalten.

Seit dem Wochenende gilt die Flugverbotszone über dem Osten Londons, wo die Spiele größtenteils stattfinden. Auch der Installierung von Boden-Luft-Raketen im Osten steht nichts mehr im Wege. Anwohner eines Hochhauses hatten geklagt, dass sie selbst zur Zielscheibe würden, wenn die Armee Raketen auf dem Dach positionieren würde. Die Klage wurde abgewiesen. An sechs Orten in der Stadt werden die Raketen stationiert, um zum Beispiel ein entführtes Flugzeug abzuschießen. Zudem wird der Luftraum von Kampfjets des Typs Eurofighter Typhoon kontrolliert. Mehr als eine Milliarde Pfund gibt London allein für Sicherheit aus. Das Gesamtbudget für die Spiele liegt offiziell bei 9,3 Milliarden Pfund.

Dass es vor Beginn der Wettkämpfe viel Kritik gibt, ist durchaus üblich. Zwei Wochen vor den Spielen von Sydney im Jahr 2000 entgleisten S-Bahnen, woraufhin allenthalben ein großes Chaos beschworen wurde. Umfragen zeigten damals, dass sich in der Stadt so gut wie niemand für Olympia interessierte. In dem Moment, in dem die Wettkämpfe begannen, änderte sich das radikal, und die Spiele gelten als die vielleicht gelungensten der jüngeren Zeit.

Auch in Athen wurden 2004 Chaos und Desinteresse befürchtet - immerhin blieb das Chaos aus, obwohl viele Wettkampfstätten erst in letzter Sekunde einigermaßen fertig wurden. Die Pekinger Spiele von 2008 fallen als Demonstrationsveranstaltung einer Staatsdiktatur aus dem Rahmen. Bei eher abseitigen Sportarten wie Kanuslalom waren die Ränge auch deshalb voll, weil ganze Stadtteile per Bus herangebracht wurden.

Mehr als zehn Millionen Besucher erwarten die Organisatoren von Freitag kommender Woche an in London zu den gut zwei Wochen dauernden Spielen. Doch bereits wenn im Laufe dieser Woche auch auf vielen Straßen in der Innenstadt Spuren für den normalen Verkehr gesperrt werden, wird die Ankunft der olympischen Familie in London spürbar werden.

© SZ vom 17.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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