Fußball-Nationalmannschaft:Löw öffnet das Fenster zur Zukunft

Germany v Russia - International Friendly

Joachim Löw spricht mit Joshua Kimmich.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der Bundestrainer äußert sich zum ersten Mal offensiv zur neuen Nationalspieler-Generation aus den Jahrgängen 1995 und 1996.
  • Joshua Kimmich, Niklas Süle, Leroy Sané, Timo Werner, Leon Goretzka, Serge Gnabry, Thilo Kehrer oder Julian Brandt spielten schon in Jugendnationalmannschaften zusammen.
  • Die Generation erhebt nach dem WM-Aus in Russland auch zunehmend lauter ihre Stimme.

Von Christof Kneer

Joshua Kimmich ist schon ganz schön alt. Er ist am 8. Februar 1995 geboren und somit ein ganzes halbes Jahr älter als Serge Gnabry. Mehr als ein Dreivierteljahr trennt Kimmich von Leroy Sane, mehr als ein Jahr von Timo Werner - und Thilo Kehrer, der ist ja fast schon eine andere Generation. Er ist mehr als anderthalb Jahre jünger!

Kimmich, der älteste 23-Jährige der Welt, stand also nach dem 3:0 der DFB-Elf gegen Russland in der Interviewzone und sagte diesen wirklich wunderbaren Satz: "Die jungen Spieler", sagte Kimmich, die hätten es "heute sehr, sehr gut gemacht". Bestimmt meinte er auch den wirklich jungen Kai Havertz, 19, aber er meinte auch Gnabry und Sane und Kehrer und vielleicht sogar den eingewechselten Leon Goretzka, der übrigens zwei Tage älter ist als Kimmich.

In Leipzig hat sich am Donnerstagabend ein kleines Fenster in die Zukunft geöffnet, es zog zwar ein bisschen durch dieses Fenster, weil aus Russland ein Wind kam, der deutlich schärfer war als die aus demselben Land eingereiste Fußballmannschaft. Aber trotzdem war dieses Fenster ein gutes Fenster. Man konnte weit hinaus sehen an diesem Abend, in klaren Momenten sogar bis nach Katar. Dort findet nach allem, was man weiß, in vier Jahren immer noch eine WM statt, und vielleicht wird man in vier Jahren einmal sagen können, dass man einen Teil der WM-Elf schon damals sehen konnte, im November 2018, als es so kalt war.

Natürlich kann niemand voraussehen, welche Spieler vielleicht stagnieren, welche Kreuzbänder reißen, oder ob eines der Stadien in Katar nicht plötzlich von einer Wanderdüne erwischt wird und in den Vereinigten Arabischen Emiraten landet. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass einige Leistungsträger im DFB-Team des Jahres 2022 dann 26, 27 Jahre alt sein werden. "Die Jahrgänge 1995/96 sind schon sehr, sehr gut", sagte Bundestrainer Joachim Löw nach diesem vor allem in der ersten Hälfte munter herausgespielten Sieg, gegen einen Gegner allerdings, der tendenziell nicht seinen besten Jahrgang geschickt hatte.

"Die 95/96er haben ja schon in unseren Juniorenmannschaften Erfolge gefeiert", sagte Löw später, jawohl, jener Löw, der von den verbandseigenen Nachwuchsteams oft nicht sehr viel mehr weiß, als dass da möglicherweise auch elf Mann aufgestellt werden. Es sei "sehr gut vorstellbar, dass diese beiden Jahrgänge auf Dauer mal das Gerüst unserer A-Nationalmannschaft bilden werden", ergänzte Löw dann noch. Ja, jener Löw, der sonst eher skeptisch ist, wenn ihm wieder jemand die neuesten Talente rein singen will. Er sehe diese Talente noch nicht soooo gut, sagt er dann und guckt ernst wie ein Weinkenner, der wirklich als einziger merkt, dass dieser gefeierte Grand Cru hinten raus halt doch ein bisschen holzt.

Aber gegen diesen 95/96er-Jahrgang will sich offenbar auch Löw nicht mehr wehren, wobei seine plötzliche Neigung zur Hymne womöglich auch leicht taktisch ist. Denn das will das Land und will der Verband ja jetzt von ihm hören und sehen: dass er die Talente anerkennt und lobt, und dass er sie auch einlädt und nicht vorher noch Lukas Podolski zurückholt.

Aber diese beiden Jahrgänge haben es Löw zumindest an diesem Abend leicht gemacht, sie lieb zu haben. Das 95/96er-Tor zum 1:0 war eines jener kleinen Kunstwerke, die sich Menschen wie Löw übers Bett hängen: Thilo Kehrers (Jg. 96) Pass überrumpelte die russischen Abwehrspieler, die vor lauter Überrumpelung gar nicht merkten, dass in ihrem Rücken auch noch Serge Gnabry (95) und Leroy Sané (95) davon sausten. Gnabry spielte dann rüber zu Sané, den Löw weiterhin voller Überzeugung "Sahne" nennt, und der schob den Ball ins Tor. Beim 2:0 kam die Ecke vom 95er Kimmich auf den 95er Süle, und man muss Antonio Rüdiger schimpfen, dass er unterwegs irgendwie auch noch am Ball war. Somit war es leider kein reines 95er-Tor mehr, denn Rüdiger, der Respektlose, ist Jahrgang 93. Und das 3:0 legte dann noch der 95er Gnabry nach, tadellos freigespielt allerdings vom 99er Havertz.

Kimmich geht der Generation voran

Neben Kimmich, Goretzka, Sané, Gnabry, Werner, Süle und Kehrer zählen auch noch Julian Brandt und Jonathan Tah aus Löws Leipzig-Kader zu diesen von der Sonne verwöhnten Jahrgängen, ebenso die von Löw noch nicht oder nicht mehr nominierten Julian Weigl, Max Meyer oder Davie Selke. In ihren DFB-Juniorenteams sind diese Talente damals übrigens auch von Marcus Sorg trainiert worden, der inzwischen als einflussreicher Assistent an Löws Seite gerückt ist. So erhebt sich gerade leise, aber doch schon unüberhörbar eine neue, durchaus mächtige Stimme in Löws Kader, und die dazugehörigen Sätze werden vorgesprochen von Joshua Kimmich, dessen vehementer Wille zu führen seine Altersgenossen zu kessen Sätzen inspiriert. Könne schon sein, dass da eine goldene Generation heranwachse, meinte jüngst Julian Brandt, während Thilo Kehrer auf den großen Ehrgeiz verwies, der die Mitglieder dieser Generation verbinde. Auch die DFB-Medienabteilung muss beim Autorisieren der Interviews manchmal aufpassen, dass keiner der Burschen zu offensiv rüberkommt.

Er respektiere, dass Löw noch auf die Spieler baue, die ihm die WM gewonnen haben, sagte ein Spieler aus dieser erweiterten Generation vor dem Leipzig-Spiel, aber irgendwann sei es "auch mal gut".

Am Montag empfangen die Deutschen in der Nations League die Niederlande, dieses Pflichtspiel wird zeigen, wie lieb Löw diesen Jahrgang wirklich schon hat. Gerade ist einiges im Fluss im Kader, die Grenzen zwischen Leistungsträger, Stammspieler und Talent lösen sich allmählich auf - Toni Kroos, Marco Reus und auch Mats Hummels werden noch drei Plätze in Löws erster Elf abbekommen, aber ob sich zum Beispiel Thomas Müller (Jahrgang 89) noch gegen die 95/96er wehren kann, darf einstweilen bezweifelt werden.

Die jungen Spieler hätten "die Wege, die wir vom Trainerteam vorgegeben bekommen haben, super wahrgenommen", sagte Müller später, "sie haben immer wieder den Lauf in die Tiefe gesucht." Es war natürlich lieb, dass Müller die Jungen lobte. Nur leider ist für dieses Lob inzwischen auch schon Joshua Kimmich zuständig.

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