Deutsche Nationalmannschaft:Hansi Flick ist nun auch Bundestrainer

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Durch die EM-Verlegung wird Joachim Löw zum Trainer ohne Mannschaft. Einen Teil seiner Arbeit kann er bis 2021 abtreten - an seinen einstigen Assistenten.

Kommentar von Christof Kneer

Vor einem Jahr hat die deutsche Nationalmannschaft ein Länderspiel bestritten, eines, das offiziell in die Statistik einging, obwohl es in Wolfsburg stattfand. Für alle, die's vergessen haben: Es war ein Testkick gegen Serbien, 1:1 ging's aus, für die Serben traf Jovic, für die DFB-Elf traf Goretzka. Für Deutschland spielten Klostermann und Halstenberg, Niklas Süles Kreuzband war noch intakt, und als Bundestrainer auf der Bank saß dieser ... na ... wie heißt er noch mal ... na, ... ähm, ... ja, Löw. Joachim Löw.

Manchmal sieht man diesen Löw tatsächlich noch, manchmal erwischt ihn ein Fernsehteam in der Halbzeit eines Fußballspiels, Löw sagt dann irgendwelche Sachen. Man hat es all die Jahre für einen unerhörten Luxus gehalten, dass Löw nach den gesagten Halbzeitsachen einfach wieder verschwinden konnte, um zum Beispiel mit einem Oldtimer durchs Höllental zu fahren. Zum nächsten Länderspiel ist Löw pünktlich wieder aufgetaucht, und wenn mal ein Turnier war, hat man ihn auch mal länger gesehen, die Kameras haben dann auch eingefangen, wie er morgens an einem Strand in Brasilien joggte oder an einer Laterne in Sotschi lehnte. Und nach dem Turnier ist er dann wieder bis zur Aufgabe einer Vermisstenanzeige verschwunden, wochenlang, egal, ob er gerade Weltmeister geworden oder in der Vorrunde ausgeschieden war.

Aber nun, da die Uefa beschlossen hat, die EM um ein Jahr zu verschieben, ist Löw an einem Punkt angelangt, an dem sein Luxus bald zum Problem wird. Zu eigenen Bedingungen abzutauchen, ist etwas anderes, als sich von außen Distanz aufzwingen zu lassen. Schon im vergangenen Jahr hat der Bundestrainer seine Mannschaft kaum um sich gehabt, es gab im Sommer 2019 kein Turnier, und die Juni-Länderspiele hat er wegen seines sog. Hantelunfalls verpasst; und nun, im Jahr 2020, hat ihm das Virus erst die März-Länderspiele und dann gleich noch die EM weggenommen. Sollte im Herbst wieder Fußball gespielt werden, hätte Löw dann noch ein paar Spiele in dieser ... na ... wie heißt sie noch mal ... na ... ach stimmt, Nations League - dennoch werden 2019 und 2020 zwei Jahre gewesen sein, in denen es die hochheilige Nationalmannschaft eigentlich gar nicht gab.

Löw muss seiner kuriosen Situation das Beste abgewinnen

Löw ist ein Trainer ohne Mannschaft, er ist der berühmteste und bestimmt bestbezahlte Kurzarbeiter Deutschlands, und er wird nun versuchen müssen, diesem kuriosen Angestelltenverhältnis das Beste abzugewinnen. Er wird sich einreden können, dass Niklas Süle im Sommer 2021 wieder gesund ist und dass Timo Werner und Serge Gnabry bis dahin ein weiteres Jahr Spielpraxis auf Topniveau gesammelt haben, und wer weiß, vielleicht ist ihm bis Sommer 2021 sogar von irgendwoher ein tauglicher Linksverteidiger zugestoßen. Auch Toni Kroos wird jetzt auf jeden Fall bis 2021 Nationalspieler sein und nicht, wie manche raunten, nach der EM 2020 in Ehren zurücktreten.

Fest steht aber auch, dass Löw erst mal gezwungen ist, sein Jobverständnis zu ändern, was, wie Ketzer sagen könnten, nicht mal so verkehrt sein muss: Er kann in Ermangelung gemeinsamer Trainingszeit kaum der Ausbildungstüfteltrainer sein, der er bei dieser jungen Mannschaft gerne wäre; er muss nun vor allem ein knackiger Pragmatiker sein, der richtig nominiert, richtig aufstellt und im Spiel die richtigen Entscheidungen trifft.

Im Grunde hat Löw nun einen Teil seines Bundestrainerjobs abgetreten, ironischerweise an Hansi Flick, seinen einstigen Assistenten. Flick ist für Löws Achse verantwortlich, er coacht beim FC Bayern täglich die Nationalspieler Neuer, Kimmich, Süle, Gnabry, Goretzka (und bald Havertz?) und wird für Löw mindestens so wichtig sein wie 2014. Damals war Flick Löws pragmatischere Hälfte, sein Beitrag zum Weltmeistertitel gilt als enorm, und zur Belohnung darf er nun auch ein bisschen Bundestrainer sein.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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