Union gegen Bayer 04:Jetzt redet sogar Leverkusen vom Titel

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Schon mal eine Übung fürs Schalen-Stemmen? Auch der meist vorsichtig auftretende Xabi Alonso ahnt nun, dass der Bundesliga-Titel Bayer Leverkusen kaum noch zu nehmen ist. (Foto: Annegret Hilse/REUTERS)

Nach dem beeindruckend souveränen 1:0 beim 1. FC Union Berlin erlangt die erste Meisterschaft von Bayer 04 Leverkusen den Status des Unvermeidlichen - Trainer Alonso spricht große Worte.

Von Javier Cáceres, Berlin

Von Seismologen, die sich zum Beispiel mit dem Pazifischen Feuerring befassen, ist bekannt, dass sie leiden. Sie wissen, dass es dort beben wird, im Zweifelsfall bald. Aber weder wissen sie, wo, noch wann genau.

Die Seismologen der Bundesliga wissen das nächste Beben genauer zu verorten: Der Triumph Bayer Leverkusens in der Meisterschaft rückt auf unvermeidliche Weise näher, und das heißt, dass sich die Spannung, die sich in dieser Saison aufgebaut hat, schon kommende Woche selbst entladen könnte: Ein Leverkusener Sieg im eigenen Stadion gegen Werder Bremen, und die erste Meisterschaft in der Klubgeschichte ist Fakt, der FC Bayern nach elf Titeln in Serie entthront.

Denn die Münchner verloren beim FC Heidenheim trotz 2:0-Führung mit 2:3. Und Bayer errang gleichzeitig beim 1. FC Union Berlin den 1:0-Sieg. Der Vorsprung der Leverkusener auf die Münchner beträgt vor dem 29. Spieltag satte 16 Punkte. "Wir stehen vor einer historischen Gelegenheit und sind nur noch ein Schrittlein davon entfernt, sie wahrzunehmen", sagte Xabi Alonso, 42, Leverkusens Trainer.

Alonso erklärte dies in der Pressekonferenz, die noch leicht komödiantische Züge annahm. Die Kunde von der bevorstehenden Meisterschaft der Leverkusener hat längst die Grenzen überschritten und auch die Pyrenäen überquert, was unter anderem dazu führte, dass auch spanische Radioreporter zugegen waren und Alonso um eine Einschätzung in seiner spanischen Muttersprache baten. Spanische Radiohörer haben es nicht so mit der Sprache Goethes.

Nenad Bjelica, kroatischer Trainer des 1. FC Union und ehedem Profi in Spaniens La Liga, bot sich spontan als Dolmetscher an. Und er übersetzte kursorisch, aber gut genug, dass Alonso sich damit zufriedengeben konnte. So zufrieden wie mit der Ernte der Reise seines Teams in den Berliner Osten, die auch den Kader mit Stolz erfüllte. "Uns muss bewusst sein, dass wir ab heute über den Titel reden und wirklich Geschichte schreiben können", erklärte Mittelfeldspieler Granit Xhaka.

Sechs Neue im Team? Den Leverkusener Automatismen tut das nicht den geringsten Abbruch

Der verkürzte Blick auf das Spiel in Köpenick besagt, dass Leverkusen das Fundament in der ereignisreichen Nachspielzeit der ersten Halbzeit gelegt hatte. Erst wurde DFB-Verteidiger Robin Gosens wegen eines Fouls an Nathan Tella zum zweiten Mal in der Partie mit einer gelben Karte bestraft und somit vom Platz gestellt; dann denunzierte der Kölner Keller ein Handspiel von Union-Kapitän Christopher Trimmel im Strafraum. Den Elfmeter verwandelte Florian Wirtz, und Union konnte von Glück sprechen, dass Schiedsrichter Benjamin Brand die Rote Karte für Trimmel stecken ließ, die fällig gewesen wäre, weil er einen Schuss ins Tor verhinderte. Der breitere Blick aufs Spiel aber besagte, dass Leverkusen die Führung schon früher hätte erzielen müssen.

"Wir haben in der ersten Halbzeit sehr gut gespielt", erklärte Alonso wahrheitsgemäß, gab damit aber auch zu verstehen, dass er am Vortrag seines Teams in der zweiten Halbzeit etwas zu mäkeln gehabt hätte. Aber wer macht derlei, wenn man die Meisterschale mit den Fingerkuppen berührt, den neunten Sieg in Serie und das 41. Pflichtspiel ohne Niederlage nacheinander begutachten muss?

Diese Bilanz geriet umso erstaunlicher, als Alonso im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Spielen die Hälfte der Startelf ausgetauscht hatte. Drei Tage nach dem Einzug ins DFB-Pokalfinale, Ende Mai gegen den 1. FC Kaiserslautern im Berliner Olympiastadion, hatte der Baske sein Team auf gleich sechs Positionen umgestellt. Den sogenannten Automatismen tat das nicht den geringsten Abbruch.

Treffsicher aus elf Metern: Leverkusens Florian Wirtz verwandelt den Strafstoß zum 1:0. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Die Leverkusener monopolisierten gegen die Köpenicker lange Zeit den Ball, weil sich jedem ballführenden Spieler im Zweifelsfall zwei oder drei Passlinien eröffneten und mussten erst nach gut einer halben Stunde Abschlussversuche der Berliner erdulden. Umgekehrt kombinierten sich die Leverkusener immer wieder vors Tor ihrer Gastgeber. Einzig der letzte Pass - das heißt: der Pass ins gegnerische Tornetz - missriet. Einer der sechs Neuen, der spanische Winterzugang Borja Iglesias, hatte in der 3. Minute die erste Gelegenheit; Union-Torwart Frederik Rönnow parierte mit Bravour einen Freistoß von Alejandro Grimaldo (11.) und einen Kopfball von Iglesias nach Flanke von Tella (15.), ein Rechtsschuss von Grimaldo landete links neben dem Tor.

"Wenn wir es schaffen, werden wir feiern, aber noch nicht", sagt Alonso

Es folgte das Erwähnte: die Chancen Unions, der Platzverweis für den unglücklichen Gosens, das Elfmetertor. Und eine zweite Halbzeit, in der Leverkusen in Überzahl lange dominierte, aber sich auch zunehmend widerborstigen Unionern gegenübersah, die noch Halbchancen hatten, bei den Ecken am Ende auf den Ausgleich hofften. Allein: Es blieb bei einem 1:0-Sieg, der die Türen zu einer größeren Party derart weit öffnet, dass Bjelica seinem Kollegen Alonso schon - verfrüht - zum Titelgewinn gratulierte. "Wenn wir es schaffen, werden wir feiern, aber noch nicht", entgegnete Alonso.

Das ist nicht Koketterie, sondern eine Frage der Ernsthaftigkeit im Angesicht der kommenden Wochen. Am Donnerstag steht das Hinspiel in der Europa League gegen West Ham United an, danach am Sonntag die Partie gegen Werder Bremen, das erwähnte Cup-Finale gegen Lautern und die Aussicht auf eine beispiellos makellose Meisterschaft, auf einen Titelgewinn ohne Niederlage. Derlei hat es in der Geschichte der Bundesliga nie gegeben. Es sei nicht so, dass man sich für unschlagbar halte, sagte Xhaka. "Aber wenn wir so weitermachen und tagtäglich bodenständige Arbeit leisten wie bisher, dann ist alles möglich."

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