Leichtathletik-WM:Gold für Hochschwangere

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Sechs Jahre später: Die ehemalige Siebenkämpferin Jennifer Oeser (links) bekam nach ihrem Rücktritt Silber für ihre Leistungen bei der WM 2011 - die hochschwangere Jessica Ennis sogar Gold. (Foto: Heikki Saukkomaa/dpa)
  • Der Leichtathletik-Weltverband ehrt bei der WM erstmals Athleten, die durch Dopingverfahren nachträglich Medaillen gewannen.
  • Auf dem Podium stehen Hochschwangere und viele Athleten, die ihre Karriere längst beendet haben.
  • Mit der Zeremonie kann man jedoch längst nicht alles gutmachen.

Von Joachim Mölter, London

So viele Medaillen wie bei diesen Weltmeisterschaften hat die 400-Meter-Läuferin Christine Ohuruogu noch nie bei Titelkämpfen bekommen - und sie musste sich nicht einmal anstrengen dafür. Die Weltmeisterin von 2007 und Olympiasiegerin von 2008 hat sich nicht mehr qualifizieren können für die Wettbewerbe im Londoner Stadtteil Stratford, in dem sie vor 33 Jahren geboren wurde. Ihr wurden am Wochenende im Olympiastadion trotzdem drei Plaketten überreicht, zwei bronzene und eine silberne, die sie mit ihren Staffel-Kolleginnen schon bei den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin, 2011 in Daegu und 2013 in Moskau verdient hatte. Das Edelmetall nahmen damals aber erst einmal andere Athleten an sich, die sich später als Dopingbetrüger entpuppten.

"Wir wollen, dass die Medaillen in die Hände ihrer rechtmäßigen Besitzer gelangen", sagt Sebastian Coe, Londoner wie Christine Ohuruogu und darüber hinaus seit 2015 Präsident des Weltverbandes IAAF: "Und wir wollen, dass das in einem angemessenen Rahmen geschieht."

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Manche der Korrekturen reichen bereits zehn Jahre zurück

Es ist nicht das erste Mal, dass die internationalen Leichtathletik-Verbände nach abgeschlossenen Dopingverfahren Ergebnislisten umschreiben und Medaillen umverteilen. Aber die IAAF hat das nun zum ersten Mal auf ihrer größtmöglichen Bühne getan - im Rahmen ihrer Meisterschaften eben. Bislang wurden Medaillen, die den Dopingsündern abgenommen wurden, in der Regel schmucklos per Post an ihre neuen Besitzer verschickt. Die Kugelstoßerin Nadine Kleinert aus Magdeburg ist in dieser Hinsicht sozusagen die Weltmeisterin im Medaillen-Umtauschen: Sie hat im Laufe ihrer Karriere 13 Päckchen mit neuen Plaketten bekommen, so oft wurden ihre Leistungen im Nachhinein aufgewertet, weil ihre Bezwingerinnen noch als Betrügerinnen aufgeflogen waren.

Erst in jüngerer Vergangenheit haben einige National-Verbände angefangen, wenigstens kleine Zeremonien zu organisieren. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) beispielsweise reichte dem Hammerwerfer Markus Esser bei seinen Titelkämpfen 2015 in Nürnberg eine EM-Medaille von 2006 nach. Und Australiens Olympia-Komitee hat dem Geher Jared Tallent im vorigen Jahr das Gold von London 2012 auf den Treppen des Parlaments in Melbourne umgehängt, vor tausend Zuschauern im strömenden Regen. "Es war ein besonderer Moment", sagte Tallent, "aber es war sicher nie so, wie es an diesem einen Tag 2012 in London hätte sein sollen."

Nun rehabilitiert also die IAAF die betrogenen Athleten in aller Öffentlichkeit: Im vollbesetzten Londoner Stadion werden nachträglich elf Einzelathleten und fünf Staffeln geehrt. Auch eine Deutsche war schon dabei: Die frisch zurückgetretene Leverkusenerin Jennifer Oeser, 33, wurde am Sonntag für ihren Siebenkampf von 2011 mit Silber entlohnt; die damals zweitplatzierte Britin Jessica Ennis-Hill, 31, rückte auf Platz eins vor, den die disqualifizierte Russin Tatjana Tschernowa räumen musste. Für die hochschwangere Ennis-Hill wurde die Nationalhymne gespielt, wie im Übrigen für alle, die nachträglich zu Siegern erklärt wurden. Sie war sichtlich gerührt.

Es sind überwiegend russische Sportler wie jene Tschernowa, welche die große Medaillenverschiebung verursacht haben. Die IAAF hat den russischen Verband wegen dessen systematischem Doping im November 2015 suspendiert und die Sperre vor der WM bestätigt. In London dürfen dennoch 19 Russen als "neutrale Athleten" mitmachen, weil sie sich zuletzt unabhängigen Dopingkontrollen unterzogen haben. Auch in der russischen Verbandsführung scheint Unrechtsbewusstsein aufzukommen - was die IAAF zuletzt zu einer Bedingung machte, um die Sperre der Russen zu heben. Der neue Präsident Dimitri Schljachtin entschuldigte sich in London in einer schriftlich verbreiteten Erklärung bei allen Athleten, denen "Siege auf unehrliche Weise gestohlen worden" seien.

"Das ist schwierig anzuschauen, wenn man quasi schon im Ruhestand ist"

Dass man mit nachträglichen Siegerehrungen nicht alles gutmachen kann, ist den Beteiligten klar. "Es ist nicht das gleiche emotionale Wahrnehmen eines Erfolges", formuliert es der deutsche Cheftrainer Idriss Gonschinska, und bestätigt damit Tallents Aussage. Es sei zwar "gut, dass sie jetzt so eine große Sache daraus machen", findet die ehemalige 1500-Meter-Weltmeisterin Jenny Simpson, Kapitänin des US-amerikanischen Teams; die jetzt Geehrten "haben es verdient, auf einem Podium zu stehen".

Andererseits reichen einige der Korrekturen halt schon zehn Jahre zurück, bis zur WM 2007 in Osaka. "Das ist schwierig anzuschauen, wenn man quasi schon im Ruhestand ist, eine Familie und Kinder hat, eine Generation entfernt ist vom Höhepunkt seiner Karriere", sagt die 31-Jährige. "Es ist ein komplizierter Prozess mit vielen juristischen Aspekten", erklärt IAAF-Chef Sebastian Coe das langwierige Verfahren. Der 60-Jährige gibt zu: "Es ist nicht ideal, aber im Moment das Beste, was wir tun können."

Christine Ohuruogu hat sich jedenfalls gefreut über ihre Dreifach-Ehrung in ihrem alten Viertel. Sie ist mit nun vier Olympia- und acht WM-Medaillen die meist dekorierte Leichtathletin Großbritanniens, sie hat auf einen Schlag gar den Langstreckler Mo Farah überholt. Der viermalige Olympiasieger steht aktuell bei sieben WM-Medaillen, kann aber am Samstag im Finale über 5000 Meter gleichziehen. Weil aber gegen seinen Trainer, den Amerikaner Alberto Salazar, wegen Dopingverstößen ermittelt wird, ist nicht auszuschließen, dass auch Farah die eine oder andere Medaille wieder abgeben muss.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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