Aberkannte Medaillen:Der falsche Medaillenspiegel

Sprint-Superstar Usain Bolt mit Gold-Staffel von Peking 2008

Sie müssen ihre Medaillen von Peking 2008 zurückgeben: Der nun überführte Dopingsünder Nesta Carter (ganz links) mit seinen jamaikanischen Staffelkollegen Michael Frater, Usain Bolt und Asafa Powell (von links).

(Foto: Rungroj Yongrit/dpa)
  • Bei Olympia bleiben die Bilder von Sportlern mit Medaillen in Erinnerung. Später kann sich aber herausstellen, dass die Erfolge mithilfe von Doping zustandekamen.
  • Der schwarze Medaillenspiegel wird immer größer, bei den Spielen 2008 und 2012 wurden 88 Medaillen nachträglich aberkannt.

Von Lisa Sonnabend

Tatjana Lebedewa stand auf dem Podest. In der rechten Hand hielt sie einen Strauß roter Rosen, mit der linken umklammerte sie stolz die Silbermedaille, die sie eben im Dreisprung bei den Olympischen Spielen in Peking gewonnen hatte. Die Russin lächelte, Millionen Menschen auf der ganzen Welt schauten auf sie. Fünf Tage später stand sie wieder da: diesmal eine Silbermedaille im Weitsprung, wieder ein Strauß Rosen, wieder lächelte sie, wieder sahen Millionen zu.

Fast neun Jahre später, im Januar dieses Jahres, verschickte das International Olympische Komitee eine Nachricht. Tatjana Lebedewa hätte gar keine Medaille umgehängt werden dürfen. Sie war gedopt, mit dem Anabolikum Turinabol. Ihre Ergebnisse bei den Spielen 2008 wurden gestrichen, stattdessen rückten die Bronzemedaillengewinnerinnen auf den Silberrang vor, die Viertplatzierten haben nun Jahre später eine Olympiamedaille. Kameras waren nicht auf sie gerichtet, es jubelten ihnen auch keine Fans im Stadion zu. Kaum einer nahm überhaupt Notiz von ihrem späten Medaillengewinn.

Die Causa Tatjana Lebedewa ist kein Einzelfall. Zahlreiche Athleten, die bei vergangenen Olympischen Spielen Medaillen gewonnen haben, sind mittlerweile des Dopings überführt. Für sie heißt es: runter vom Treppchen! Die Analysemethoden der Dopingfahnder haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Substanzen, die früher nicht entdeckt wurden, können nun nachgewiesen werden. Bei erneuten Untersuchungen der eingefrorenen Proben von Olympia 2008 und 2012 flogen so in den vergangenen Monaten zahlreiche Athleten auf.

1913 Medaillen in 604 Wettbewerben

Die Daten von SZ.de umfassen alle vergebenen Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen 2008 und 2012. Rückte ein Athlet nach einer Medaillenaberkennung vom vierten Platz auf den dritten Platz vor und wurde auch er überführt, ist auch dies berücksichtigt. Nach den Spielen 2016 in Rio de Janeiro sind erst drei Medaillen wegen Doping neu vergeben worden. Doch auch hier wurden Dopingproben eingefroren, Nachtests werden sicherlich eines Tages zahlreiche Betrüger enttarnen.

Bereits 53 von 953 Medaillengewinnern in Peking wurden wegen Doping überführt, Gold, Silber oder Bronze wurde ihnen wieder aberkannt. Gut fünf Prozent aller Medaillen mussten also neu vergeben werden. Bei den Spielen in London wurde bereits 35 Medaillengewinnern Dopingbetrug nachgewiesen. Zahlreiche weitere Fälle dürften bei zukünftigen Nachtests hinzukommen. Der Medaillenspiegel, der am Ende der Spiele 2008 und 2012 veröffentlicht wurde, sieht heute anders aus: 18 Olympiasieger haben mittlerweile einen anderen Namen.

Die meisten Medaillen wurden in der Leichtathletik und im Gewichtheben aberkannt. So flogen 25 Leichtathleten von 2008 und 15 von 2012 auf. Bei 17 Gewichthebern von 2008 und 19 von 2012 wurde Betrug diagnostiziert. Im Ringen gibt es insgesamt acht Fälle, dem Schütze Kim Jong-su aus Nordkorea wurden zwei Medaillen von 2008 inzwischen weggenommen und auch ein Tier wurde überführt: Bei Camiro, dem Pferd des Norwegers Tony Ander Hansen, wurde 2008 die illegale Substanz Capsaicin festgestellt.

Bei den Gewichthebern ist Betrug besonders offensichtlich. 503 Athleten wurden in den vergangenen zehn Jahren wegen Doping vom Weltverband IWF gesperrt. In ihren Körpern fanden sich meist anabole Steroide wie Stanozolol, Dehydrochlormethyltestosteron, Metandienon oder Oxandrolon. Bei Olympia 2008 und 2012 gab es jeweils 15 Wettbewerbe im Gewichtheben, 90 Medaillen wurden insgesamt verliehen - doch 36 wurden inzwischen wieder aberkannt. Also 40 Prozent aller Medaillen. So hoch ist der Prozentsatz in keiner anderen Sportart.

Jamaikas Staffelmannschaft wird Gold aberkannt

So überrascht es nicht, dass auch auf dem verseuchtesten Podium der Spiele 2008 und 2012 Gewichtheber standen. In London gewann im Wettbewerb der Männer bis 94 Kilo Ilya Ilin aus Kasachstan Gold, Alexander Iwanow aus Russland Silber, Anatoli Ciricu aus Moldawien Bronze, Andrej Demanow aus Russland wurde Vierter. Doch inzwischen ist klar: Alle Sportler traten gedopt an.

Auch der Sechst- und der Siebtplatzierte wurden inzwischen aus den Ergebnissen gestrichen. Das heißt: Tomasz Zielinski aus Polen, eigentlich Neunter, hat nun eine Bronzemedaille, Kim Min-jae aus Südkorea holt Jahre später Silber - und Saeid Mohammadpour aus dem Iran, der sich vor fünf Jahren noch über seinen fünften Platz ärgerte, ist nun Olympiasieger. Zumindest derzeit.

Anti-Doping-Experten verwundert die hohe Betrugsrate im Gewichtheben nicht. Fritz Sörgel, Pharmakologe aus Nürnberg, sagte einmal der SZ: "Der Zusammenhang von Einnahme der Anabolika und ihrer Wirksamkeit ist so direkt wie in kaum einer anderen Sportart."

In den vergangenen Monaten kamen immer mehr Belege ans Licht, die nahelegen, dass in Russland über Jahre ein staatlich gelenktes Dopingsystem orchestriert wurde. Auch bei den Spielen 2008 und 2012 traten zahlreiche russische Athleten mit illegalen Substanzen in ihrem Körper an. 15 Medaillengewinnern von 2008 und 16 von 2012 wurden die Medaillen mittlerweile wieder weggenommen. Zudem wurden bei den Spielen in Peking und London elf Weißrussen, zehn Kasachen und neun Ukrainer erwischt.

Auch Usain Bolt, der bekannteste Olympiasieger, hat mittlerweile eine Medaille aberkannt bekommen: Jamaika verliert Gold für die 100-Meter-Staffel 2008, in Nachtests wurde bei Bolts Teamkollegen Nesta Carter Spuren von Methylhexanamin entdeckt. Doch auch das ging unter. Im kollektiven Gedächtnis bleibt das Bild, wie Bolt mit einem riesigen Vorsprung über die Ziellinie läuft und die Arme hochreißt.

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