Kommentar:Einen Fall wie Ben Johnson wird es nie mehr geben

Ben Johnson; Ben Johnson

Fanal der Doping-Geschichte: Ben Johnson rennt zu Gold über 100 Meter. Später wird er positiv getestet.

(Foto: Getty Images)

Solange Sportverbände sich selbst kontrollieren, werden sie die eigenen Helden nicht auffliegen lassen. Der organisierte Sport ist der natürliche Verbündete des Dopers - der Druck kann nur von außen kommen.

Kommentar von Thomas Kistner

Zum Beispiel Lidia Valentin. Die London-Spiele 2012 waren ein Tiefschlag für die spanische Gewichtheberin, sie wurde Vierte. Die Medaillenfeier, Hymnen, Fahnen - das Brimborium erlebte sie an irgendeinem Bildschirm.

Dumm gelaufen. Denn in Wahrheit war es ihre Feier, und London der Höhepunkt ihrer Sportlerkarriere. Lidia Valentin ist Olympiasiegerin 2012, nur leider erfuhr sie das erst 2016. Gold gab's per Post. Doping-Nachtest um Doping-Nachtest war sie nach vorne gerutscht, vorbei an drei Rivalinnen, die sich mit der Kraft der Pharmazie ans olympische Firmament katapultiert hatten. Aber wen interessierte das noch, vier Jahre später? Alle hatten ihren Spaß, die Bilder von London ihre Wirkung entfaltet. Heute juckt auch keinen mehr, dass mit Lidia Valentin Millionen Menschen getäuscht worden sind.

Würden solche Nachtests, die zu Peking 2008 und London 2012 bislang 111 Betrüger enttarnten, 20, 30 Jahre zurückreichen, wäre dies das Ende der beliebten, verlogenen Medaillenspiegel.

Klar: Nervenaufreibend ist der Spitzensport, weil das Publikum nicht weiß, wie es ausgeht. Aber die hinter der Bühne wissen es oft schon. Deshalb gehört - wie bei jedem professionell inszenierten Varietétheater - der Warnhinweis dazu: Achtung, die hier gezeigten Leistungen sind Illusion, sie entsprechen nicht dem natürlichen Vermögen der Darsteller. Diese sind gehalten, sich mit Pharmazie vollzustopfen - ungestraft, sofern sie nicht zu dämlich sind, durch das noch immer weitmaschige Kontrollnetz zu schlüpfen.

Der Clou an den Betrugskartellen im Sport ist, dass es keine effektive und schon gar keine unabhängige Kontrollinstanz gibt. Die Funktionäre können sich bei Doping (und Spielmanipulation) sicher fühlen; auf diesen Feldern überwacht sich die Familie selbst. Was diese Selbstkontrolle taugt, zeigen die anschwellenden Aktivitäten internationaler Strafbehörden. Fifa-Gate, die Korruptionsaffäre um den Weltfußball, hat längst auf den Olympiasport übergegriffen, der sich zudem sein eigenes Olympia-Gate leistet: Neben Ticket- und Dopingskandalen, die ganze Länder betreffen, stehen die Spiele-Vergaben an Sotschi 2014, Rio 2016 und Tokio 2020 im Fokus.

In diesem Entwicklungsbad entstehen Olympias strahlende Bilder; es ist die profitabelste Schimäre unserer Zeit. Doping ist kein Randphänomen, es ist der Wurzelextrakt des Schneller-Höher-Weiter.

Der organisierte Sport ist der natürliche Verbündete des Dopers

Das erklärt jede Absurdität. Wie die, dass es zwar immerzu und teilweise mehr Dopingfälle gibt - aber bevorzugt im Gewichtheben oder Skeleton, wo sich die Welt nicht mal für überführte Olympiasieger interessiert. In Kernsportarten bis zum Fußball - zufällig dort, wo Sündenfälle merkantile Turbulenzen auslösen würden - fliegen nur minderklassige Sportler auf. Usain Bolt kam nicht nur als Einziger unter den zehn Schnellsten des Planeten nie mit dem D-Wort in Berührung - er ist auch bald der Sauberste unter Jamaikas Supersprintern/innen. Und geht doch mal was schief, wie im Vorjahr, als sich bei Nachtests zu Peking der Dopingstoff Clenbuterol bei Mitgliedern des Jamaika-Teams fand, bügelt das Internationale Olympische Komitee die Sache flott ab: Ermittelt wird nicht! Alle unschuldig! Dass der Ex-Dopinghändler und FBI-Informant Angel Heredia berichtete, Trainer aus Jamaika hätten sich bei ihm vor Peking über Clenbuterol informiert? Also bitte! Sollen honorige IOC-Offizielle einem Ex-Drogendealer glauben?

Es wäre absurd, ausgerechnet vom IOC zu erwarten, dass es die eigenen Bestseller zur Strecke bringt. Eine Affäre wie um Ben Johnson in Seoul 1988, bis heute das größte Fanal der Sporthistorie, wird es nie wieder geben. Nicht, solange der Sport seine Tests selbst organisiert. Nein, es geht nur um Skandalvermeidung, der organisierte Sport ist der natürliche Verbündete des Dopers. Änderung kann nur von außen kommen. Dort wächst der Druck, aber es wird weitere hässliche Enthüllungen brauchen, bis das Geschwür platzt. Denn nichts ist zäher als die Melange aus Träumen, Glauben und Märchen.

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