Leichtathletik-Weltmeisterschaften:Historische Nullnummer

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Dahin fliegt die letzte Hoffnung: Julian Webers Speer landet bei 85,79 Metern. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Letzte Chance vertan: Speerwerfer Julian Weber wird zum Abschluss in Budapest Vierter. Erstmals bleiben die deutschen Leichtathleten bei Weltmeisterschaften ohne Medaille.

Von Johannes Knuth, Budapest

Ein Wurf also. Der sechste und letzte Versuch im Speerwurffinale dieser Weltmeisterschaften war es, der nun über alles richten würde: die großen Ambitionen von Julian Weber, die dahinschmelzenden Hoffnungen seines Verbandes. Weber zeigte mit dem Finger auf den Rasen, in diesem Winkel würde er den Speer gleich auf die erfolgsbringende Bahn schießen, er warf, rollte sich auf dem Boden ab, aber die Stille, die auf das rhythmische Klatschen folgte, kündigte von nichts Gutem.

Weder raunten die 35 000 Zuschauer, die die Flugkurve schon abschätzen konnten, noch streckte Weber einen Arm in die Höhe, im Wissen um einen gelungenen Wurf. Kurz darauf vergrub der 28-Jährige das Gesicht in beiden Händen. 85,79 Meter aus dem zweiten Durchgang, das reichte für Platz vier, erneut nach den Weltmeisterschaften 2022 in Eugene. Für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) besiegelte das zugleich eine historische Nullnummer: Noch nie hatten deutsche Leichtathleten bei Weltmeisterschaften keine Medaille in die Wertung getragen, und bei Olympia war der bisher niedrigste Pegelstand eine Silbermedaille gewesen, 2008 in Peking.

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Kommentar von Johannes Knuth

Weber war die letzte Hoffnung des DLV in Budapest gewesen, zugleich der Einzige, bei dem man guten Gewissens die Last der Medaillenhoffnung hatte abladen dürfen. Bis auf den Auftakt der Diamond League in Doha hatte er in dieser Saison keinen Wettkampf außerhalb der besten drei beendet, war als Zweitbester der Welt nach Ungarn gereist, mit 88,72 Metern. Er habe, hatte er in vielen Gesprächen zuvor gesagt, nicht nur seinen Körper und seine Technik mühevoll zum Besseren justiert; er habe nach der Enttäuschung von Eugene und dem Europameistertitel in München kurz darauf auch gelernt, die Erwartungen nicht wegzudrücken, sondern damit umzugehen. Und im besten Fall in etwas Funkelndes zu verwandeln.

Hochspringerin Christina Honsel überrascht auf positive Art

Nach den deutschen Meisterschaften in Kassel, wo er seine Saisonbestleistung erschaffen hatte, tauchte er allerdings schon spürbar angekratzt in Budapest auf. Die Qualifikation ging schwer von der Hand, er klagte über "Reizungen", aber dann werde er sich das Beste eben für das Finale aufheben. Er zog dann auch ordentlich nach, mit 85,79 Metern, nachdem Olympiasieger Neeraj Chopra aus Indien 88,12 Meter vorgelegt hatte. Doch als die anderen, wie zuletzt in Eugene, zu ihren Steigerungsläufen ansetzten - 87,82 Meter von Arshad Nadeem aus Pakistan, 86,67 Meter vom Tschechen Jakub Vadlejch - brachte Weber nur noch Konter bis knapp an die 83 Meter zustande - und stapfte mit leerem Blick aus dem Stadion.

Eine Überraschung der positiven Art schaffte Hochspringerin Christina Honsel, die mit überquerten 1,94 Metern Achte wurde - nachdem sie im Freien bis vor der WM nicht mehr als 1,83 Meter geschafft hatte. Für die 21-jährige Olivia Gürth war es schon ein Erfolg, dass sie es ins Finale über 3000 Meter Hindernis geschafft hatte; dort lief sie noch einmal Bestleistung (9:20,08 Minuten), wurde 14. und setzte ein kleines Zeichen fürs kommende Jahr: mit der Norm für die Olympischen Spiele in Paris.

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