Leichtathletik:Zerrissen bis zum Schluss

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Künftig schnürt sie ihre Laufschuhe nur noch aus Spaß am Sport: Katharina Trost, hier bei der WM in Eugene. (Foto: Olaf Rellisch/Beautiful Sports/Imago)

Katharina Trost hatte bereits die Olympianorm, doch weil sie es nicht schafft, Leistungssport und Berufseinstieg zu vereinen, beendet die Leichtathletin ihre Karriere. Der Fall steht symbolisch für Probleme des deutschen Spitzensports.

Von Andreas Liebmann

Katharina Trost lacht am Telefon. Wieso auch nicht, es ist ein sonniger Tag, die 28-Jährige neigt zur Fröhlichkeit, und auf viele der Fragen, die ihr nun gestellt werden, hat sie in den zurückliegenden Tagen für sich bereits sehr positive Antworten gefunden. "Vielleicht verdrängt man das Negative ja", sagt sie wie zur Entschuldigung, dass ihr partout nichts einfallen will, was im Nachhinein irgendwie blöd gelaufen wäre in ihrer Leichtathletik-Karriere. Fast nie verletzt, viele tolle Leute kennen gelernt, bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gelaufen - "es waren definitiv mehr Höhen als Tiefen", fasst sie zusammen. Katharina Trost, 800- und 1500-Meter-Läuferin von der LG Stadtwerke München, geboren in Freilassing, verabschiedet sich mit gutem Gewissen aus dem Leistungssport, mit dem verdienten Gefühl, sehr viel erreicht zu haben. Am Freitag hat sie das offiziell verkündet, ihre Entscheidung sei Ende der Sommerferien gefallen.

Man könnte diese Geschichte hier eigentlich beenden. Wäre da unter all den Fragen nicht diese, die über Trost hinausreicht und die ganz gut in die aktuelle Debatte über Spitzensport in Deutschland passt. Sie lautet: Wie kann es sein, dass eine 28-Jährige, die sich seit Jahren Saison für Saison zu neuen persönlichen Bestzeiten steigert, die topfit ist und schon die Norm für die nächsten Olympischen Spiele geschafft hat, ihre Karriere beendet, sogar mit einem Anklang von Erleichterung in der Stimme?

Die Doppelbelastung brachte sie immer mehr an ihre Grenzen: "Ich glaube, ich hätte das nicht noch ein Jahr durchgehalten."

Leicht ist Trost der Abschied natürlich nicht gefallen. "Ich habe superlang mit mir gehadert", erzählt sie. Ihre Beweggründe sind gut nachvollziehbar, sie ist Lehrerin inzwischen, leitet eine Grundschulklasse, und sie hat in den zwei Jahren ihres Referendariats deutlich gespürt, wie die Doppelbelastung von Berufsausbildung und Spitzensport an ihr gezerrt hat. "Es war oft an der Grenze mit all dem Stress, auch gesundheitlich", sagt sie. Im Privatleben habe sie viel zurückstecken müssen, weil es anders nicht gegangen wäre. "Ich glaube, ich hätte das nicht noch ein Jahr durchgehalten."

Trost hat es sich am Ende selbst schwer gemacht - weil sie zu gut war, obwohl sie sich unter ungleichen Voraussetzungen mit Profis maß. Mitte Juli lief sie beim Diamond-League-Meeting im polnischen Chorzow die 1500 Meter in 4:02,32 Minuten, damit qualifizierte sie sich für die bevorstehende WM und hakte zugleich die Olympianorm für Paris 2024 ab. "Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet", gibt sie zu. Sie hatte längst den Plan gehabt, nach dem Referendariat aufzuhören, doch die Aussicht auf Olympische Spiele habe sie "noch mal ins Wanken gebracht". Schon in Tokio war sie am Start, "aber da war Corona", kein Publikum, kein Olympisches Dorf - "Paris wäre eine ganz andere Nummer". Hinzu kam, dass sie die WM in Budapest kürzlich verpasst hat, wegen Windpocken, ihre Karriere hatte damit "keinen Abschluss". Doch beide Argumente waren letztlich nicht stark genug, um sie zum Weitermachen zu bewegen.

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Wegen einer Windpocken-Infektion musste die deutsche 1500-Meter-Meisterin Katharina Trost auf die Leichtathletik-WM in Budapest verzichten. Nun ist sie voll berufstätig, hat sich die Olympianorm gesichert - und steht vor der Frage, wie es weitergeht.

Von Andreas Liebmann

Andreas Knauer hat das alles aus der Nähe mitverfolgt, als einer der Trainer der Münchner Gruppe und zugleich als ihr Bundestrainer. Er erinnert sich noch an die ersten Gespräche über ein Karriereende, vor Tokio 2021; eine Saison noch, bis zur WM in Eugene, das sei der erste Plan gewesen; dann doch noch ein Jahr, bis zur Heim-EM in München; dann die WM '23 in Budapest als Abschluss, zu dem es doch nicht kommen sollte. Nun blickt Knauer zurück auf das letzte Jahr, Trosts Prüfungsjahr zum zweiten Staatsexamen, und er sagt: "Katharina hat eine derartige Energieleistung gebracht, um Sport und Beruf in Einklang zu bringen, dass sie daran fast zerbrochen wäre."

Beim Bundestrainer wuchs die Sorge, "dass sie ausbrennt"

Ein paar Rückblenden verdeutlichen den Zwiespalt, in den sich die Athletin ein bisschen selbst hineinbegeben hatte - weil sie, wie sie erklärt, nun mal den Berufswunsch Lehrerin hatte; weil sie mit der Ausbildung nicht erst mit Mitte 30 beginnen wollte; weil sie auch Kinder haben wolle. Aber eben auch ehrgeizige Sportlerin war in einem Bereich, in dem man keine Millionen scheffelt. Die Vorbereitung auf die Studentenweltmeisterschaft 2019 fällt ihr ein: Um Trainingsaufbau und Wettkämpfe planen zu können, habe sie versucht, etwas vor den offiziellen Terminen grob ihre Prüfungsdaten in Erfahrung zu bringen. Dazu sei die Uni jedoch nicht bereit gewesen - dieselbe Uni, für die sie dann die Studenten-WM lief. Kurz nach dem ersten Staatsexamen in jenem Jahr lief sie in Doha auch noch ins Halbfinale der Profi-WM. Oder das Istaf in Berlin 2021, kurz nach den Olympischen Spielen: Es war ihr Debüt bei diesem Internationalen Stadionfest, sie wurde beste Deutsche über 1500 Meter am Abend, vor Konstanze Klosterhalfen - am frühen nächsten Morgen stand sie im Schulamt Fürstenfeldbruck, um sich als Referendarin vereidigen zu lassen. So ging das immer weiter - bis es eben nicht mehr ging.

In Chorzow, erzählt Knauer, sei Trost nach der Olympianorm um halb drei Uhr morgens in ein Taxi zum Flughafen gestiegen, um rechtzeitig für Elterngespräche zurück an ihrer Schule zu sein. Immer wieder, erzählt Knauer, hätten Jonas Zimmermann, ihr Trainer vor Ort, und er das Training angepasst an die Prüfungen, an jene Löcher danach, wenn der Stress abfiel und der Körper schlappmachte; viel Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen seien dazu vonnöten gewesen - exakt das, wofür Trost sich bei den beiden nun ausdrücklich bedankt. Hörbar bewegt sagt Knauer etwas sehr Bemerkenswertes: Mit ihrer Persönlichkeit habe Trost "viel dazu beigetragen, dass wir als Trainer uns weiterentwickelt haben".

Knauer erinnert sich daran, wie Trost kurz vor den letzten deutschen Meisterschaften ein Training abbrach - "ein Warnzeichen, das hatte sie nie zuvor gemacht". Den Titel gewann sie trotzdem. Und wie sie eine Woche nach der Olympianorm bei einem Rennen in Madrid ausstieg, in guter Position liegend, fit und gesund. Für Knauer ein weiterer Warnschuss. Er hat sie nicht gedrängt, es weiter zu versuchen, zu groß sei seine Sorge gewesen, "dass sie ausbrennt".

Eine Teilzeitlösung, wie Trost sie gebraucht hätte, ist in Bayern nicht vorgesehen - und eine Ausnahme gab es nicht

Wahrscheinlich hätte es Katharina Trost trotzdem weiter probiert, wenn sie die Möglichkeit bekommen hätte, ihren Job in Teilzeit zu beginnen. In Bayern aber ist das (im Gegensatz zu anderen Bundesländern) nicht vorgesehen, eine Ausnahme wollte man ihr nicht zugestehen, obwohl sich viele Menschen um sie bemüht hätten. Letztlich, glaubt Knauer, liegt hier kein echtes Systemversagen vor. Jeder habe sein Bestes versucht, Trost auf jenem Weg zu unterstützen, den sie sich ausgesucht hat. Nur ob ganz oben im Kultusministerium nicht doch jemand eine begründete Ausnahme für eine Topathletin hätte schaffen können, einen Präzedenzfall für eine herausragende Sportlerin, da sei er sich nicht so sicher. Der deutsche Formalismus. Ihm habe das Beispiel Katharina Trost verdeutlicht, wie höchst individuell Laufbahnen im Spitzensport zu begreifen und zu fördern sind.

Die EM in München ist im Rückblick ein Höhepunkt und ein kleiner Makel zugleich gewesen in ihrer Laufbahn, findet Katharina Trost. Im Finale ging plötzlich nichts mehr, da hatte sie mehr erwartet, trotzdem sei das im Olympiastadion ihr emotionalstes Erlebnis gewesen. "Es ist krass, was der Sport mir alles gegeben hat", findet sie. Nun geht sie, "stolz", ohne Reue, ohne Vorwürfe. Über den Stellenwert des Sports in Politik und Gesellschaft könne man sicher nachdenken, und vielleicht, sagt sie, lese das ja jemand, der erkennt, was man ändern könne, um bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie freut sich nun auf freie Wochenenden. Und auf ihre Schulklasse. Am Montagmorgen wird sie einfach eine engagierte Lehrerin sein.

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