Leichtathletik:Erfüllung zwischen Bananenkisten

Leichtathletik: Früh in Form: Carolina Krafzik gewinnt über 400 Meter Hürden in Regensburg in 54,89 Sekunden.

Früh in Form: Carolina Krafzik gewinnt über 400 Meter Hürden in Regensburg in 54,89 Sekunden.

(Foto: R. Schmitt/Beautiful Sports)

Hürdenläuferin und Grundschullehrerin Carolina Krafzik ist eine der Hoffnungen für die WM in Budapest - und ein Beispiel dafür, dass im verwinkelten deutschen Spitzensportsystem auch mal alle Räder ineinandergreifen können.

Von Johannes Knuth, Regensburg

Carolina Krafzik sagt, die Nervosität sei spürbar gewesen, es war ja auch ungewohnt nach der langen Pause, das muss man erst mal bewältigen: als Grundschüler über Bananenkisten zu springen im Sportunterricht, den Krafzik als Sportlehrerin in Baden-Württemberg hält.

Über die Hindernisse, die die 400-Meter-Hürdenläuferin Carolina Krafzik in dieser Saison schon wieder selbst geglitten ist, lief es auch nicht so schlecht: 55,35 Sekunden zum Auftakt in Basel, 54,89 Sekunden zuletzt in Regensburg, das war einer der Hingucker des Meetings (neben Manuel Sanders 45,36 Sekunden über die 400 Meter). Schneller als bei der Sparkassen-Gala war Krafzik überhaupt erst zwei Mal: bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio und im Vorjahr, im Vorlauf der EM in München (54,32), wo sie im Finale vor der letzten Hürde trippelte, der Schwung verpuffte und damit die Medaille. Alles in allem sehr passable Aussichten für die Weltmeisterschaften im August also, und Kandidaten mit solchen Ambitionen haben sie im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) auch nötig, nach dem Reinfall vor einem Jahr bei der WM in Eugene.

Auch damals, nach Eugene, war oft die Rede davon, wie "Halbprofis" (Sprinterin Gina Lückenkemper) in Deutschland oft auf Studium oder Beruf angewiesen sind; dass sich das eine kaum seriös verfolgen lasse, ohne das andere schleifen zu lassen. Carolina Krafzik, 28, aus Niefern bei Pforzheim ist da eine Ausnahme, sie vereint mehrere Aspekte: wie im verwinkelten deutschen Spitzensport auch mal alle Räder ineinandergreifen, und wie es um die Zukunft dieses Hochleistungsbetriebs steht. Denn die Zukunft hat Krafzik Woche für Woche vor sich, zwischen den Bananenkisten im Sportunterricht ihrer Grundschule.

Wenn das Training mal nicht so läuft, hat Krafzik kaum Zeit, sich aufzuregen - sie muss Unterreicht vorbereiten

Seit September 2021, kurz nach den Sommerspielen in Tokio, ist Krafzik eine Teilzeitlehrerin, halbes Deputat, keine Verantwortung als Klassenlehrerin. Spitzensportstelle heißt dieses Konstrukt aus dem Kultusministerium in Baden-Württemberg; Athleten sollen so ihre Laufbahn vorantreiben, sie sollen sich aber auch mal zwei Wochen ins Trainingslager vertiefen können, ohne ihren Urlaub aufzuzehren (die eine oder andere Grundschullehrerin im DLV aus anderen Bundesländern mag etwas neidisch ins Ländle blicken).

Krafzik sagt, das alles sei nicht selbstverständlich: dass ein Bundesland solche Möglichkeiten schaffe; dass das auch noch zu ihrem Lebensentwurf passe, der Trainingsgruppe beim VfL Sindelfingen um Werner Späth, der über die Jahre immer wieder Athleten aus der Provinz in die Weltspitze führte. Heute? Fühle sie sich "soooo wohl" in ihrem dualen Sportlerleben. Wenn das Training mal nicht so läuft, habe sie kaum Zeit, sich aufzuregen, sie müsse ja den Unterreicht für den nächsten Tag vorbereiten. Das gebe wiederum Gelassenheit für den Sport. In der Schule habe man ihr manchmal auch gesagt, dass sie den Lehrplan ganz schön leistungsbetont durchziehe, wie im Sport eben - auch das, findet Krafzik, hole sie aus ihrer Spitzensportblase zurück. Und wenn diese irgendwann zerplatze, müsse sie sich auch nicht überlegen, wie es dann weitergehen soll im echten Leben.

Das habe sie immer sehr beruhigt, sagt Krafzik: dass Spitzenleistungen möglich seien, ohne alles auf eine Karte zu setzen.

In Paris will sie ins Olympiafinale vorstoßen - dafür ist wohl eine neue Bestzeit nötig

Dass alles rosarot ist in ihrer Lehrerwelt, würde Krafzik aber auch nicht behaupten. Sportlehrer, die in Tokio in ein olympisches Halbfinale vorstoßen und den Kindern zeigen, wie man über eine Hürde gleitet - das ist natürlich die Ausnahme. Die Norm im Grundschulsport hat Krafzik indes rasch kennen gelernt: dass eine fachfremde Lehrkraft nebenbei die Sportstunde hält, wenn diese nicht gerade ausfällt. Es ist jedenfalls keine steile These, dass auch deshalb immer größere Lücken im deutschen Nachwuchssport klaffen, in der Leichtathletik und überhaupt.

Die Corona-Zeit, findet Krafzik, habe das "leider eher noch mal ins Negative gerückt". Ihre Rektorin habe sehr darauf gedrängt, dass der Sportunterricht weiterläuft. Aber: "In ganz vielen Schulen wurde zwei Jahre lang einfach kein Sportunterricht durchgeführt, weil es personell nicht ging oder die Motivation nicht da war." Auch die Schüler einer dritten Klasse, die sie nun betreut, erlebten zuletzt zwei Jahre ohne Schulsport, "da fehlt es einfach an Erfahrung", sagt Krafzik, beim Kastenspringen, Trampolinspringen, überall: "Dabei ist das genau das Alter, in dem man viele motorische Grundfähigkeiten ausbildet." Frei übersetzt: Jetzt oder nie.

Irgendwann wird Krafzik sich ganz in diese Arbeit knien, aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Die Norm für die WM in diesem Jahr Budapest hatte sie schon im Vorjahr München erfüllt. Für Olympia 2024 in Paris - es wären ihre zweiten Spiele - öffnet das Qualifikationsfenster im kommenden Juli. Die Zeitvorgabe liegt bei 54,85 Sekunden, das hat Krafzik in Regensburg fast schon geschafft. Fürs Finale in Paris, glaubt ihr Trainer Werner Späth, müssten sie die 54 Sekunden wohl unterbieten - ein großes Hindernis, aber da kommt wieder Krafziks duale Karriere ins Spiel: nichts überstürzen, Schritt für Schritt, Hürde für Hürde.

Ab dem 23. Juni steht erst einmal die Team-EM in Krakau an, dann die nationalen Meisterschaften in Kassel, vor allem auch: die Bundesjugendspiele mit der Grundschule. Am Training, sagt Krafzik, werde es bei ihren Schülern jedenfalls nicht scheitern.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusLeichtathletik
:Der olympische Patient

Gestresste Athleten, frustrierte Trainer, Funktionäre in Abwehrhaltung: Ein Streifzug von der Basis bis zur Verbandsspitze offenbart, wie viel in der deutschen Leichtathletik im Argen liegt. Das Beispiel erzählt einiges über den Spitzensport im Land.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: