European Championships:Zwölf Bayern in München

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Zweifache Mutter, Polizeibeamtin - und plötzlich Marathonläuferin: Domenika Mayer. (Foto: Gladys Chai von der Laage/Imago)

Die LG Telis Finanz Regensburg stellt allein die Hälfte der bayerischen Leichtathleten bei den Europameisterschaften. Aber das Münchner Gesicht der Veranstaltung ist Christina Hering.

Von Johannes Knuth und Andreas Liebmann, München

Ein bisschen meisterlich dürfen sie sich schon seit einer Weile fühlen, die Regensburger Leichtathleten, aber das ist ausnahmsweise nicht den eigenen Leistungen auf der Bahn geschuldet. Kurt Ring, der langjährige Cheftrainer bei der LG Telis Finanz, hat vor einer Weile einen Kontakt in die medizinische Abteilung der Bayern-Fußballer geknüpft, seine Athleten können sich nun, bei Gelegenheit, auch mal bei den dortigen Experten vorstellen. Nicht, dass es in Regensburg an ähnlicher Expertise mangelt, aber ein Orthopäde mit Schwerpunkt Sport versteht einen Athletenkörper doch noch mal ein wenig besser, findet Ring. Es ist eine dieser vielen Kleinigkeiten in einem Geschäft, in dem Kleinigkeiten oft zwischen Ekstase und abgrundtiefem Frust entscheiden, nach jahrelanger Vorbereitung.

Ring erzählt solche Episoden ohne Bescheidenheit, aber warum auch nicht? Es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass sich auch fernab von Stützpunkten und Großstädten solche Inseln in einem Sport halten, der in der Öffentlichkeit immer mehr verblasst. Seit Jahren hegen sie in Regensburg ihr kleines Biotop, mit bescheidenen Mitteln, aus dem immer wieder nationale und auch internationale Klasse erblüht.

Rings begreift Athleten nicht als Hochleistungsmaschinen und dann als Menschen, sondern andersherum

Physiotherapie und medizinische Versorgung vor Ort sind das eine, ihr Athletenhaus das andere, in dem Sportler aus vielen Ecken der Nation zu einer Gemeinschaft in einem Einzelsport finden. Und dann ist da noch Rings Mentalität, der Athleten nicht als Hochleistungsmaschinen und dann als Menschen begreift, sondern andersherum. All das führt auch mal dazu, dass die Regensburger mit ihren sechs Startern allein die Hälfte der bayerischen Leichtathleten stellen bei den Europameisterschaften, die am Montag in der bayerischen Landeskapitale anbrechen.

Auch wenn sie alle das Laufressort vertreten, die Athleten stehen mit ihren Biografien auch dafür, wie vielfältig - und herausfordernd - die Wege in der Leichtathletik sein können. Da ist Simon Boch, 28, der es vom oft verletzten Talent aus dem Schwarzwald und Teilzeit-Laufschuhverkäufer in Regensburg noch mal zum Profi im Marathongewerbe bringen wollte - und dafür mit 2:10:48 Stunden bei seinem Debüt belohnt wurde.

Da ist Domenika Mayer, zweifache Mutter, die in Sulzbach-Rosenberg als Polizeibeamtin arbeitet, zehn Stunden wöchentlich, mit Referenzen als Bergläuferin mit ihrem Mann und Trainer nach Regensburg kam, dort von Ring Richtung Marathon gelenkt wurde - und bei ihrem Debüt gleich deutsche Meisterin wurde, in 2:26:50 Stunden, EM-Norm inklusive.

An die Langestrecke herangetastet: Miriam Dattke reist mit der Empfehlung von 2:26:50 Stunden nach München. (Foto: Flatemersch/Imago)

Da ist Miriam Dattke, die wie Boch und Mayer in München im Marathon-Einzel und in der Teamwertung startet, als 17-Jährige in Berlin fast schon mit dem Laufen aufhören wollte, so sehr kämpfte sie mit ihrem damaligen Training. Die sich in Regensburg nach und nach an die Langstrecke herantastete, jetzt, mit immer noch erst 24 Jahren, ebenfalls mit der Empfehlung von 2:26:50 Stunden nach München reist; sich im Schatten von Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh als eine der jüngeren deutschen Hoffnungsträgerinnen auf der Langstrecke etabliert hat.

Da ist auch Konstantin Wedel, der seinem Körper zunächst lange zu viel zumutete, es nicht in die Sportfördergruppe der Bundeswehr schaffte, dafür seine eigene Massagepraxis gründete, quasi nebenbei in Regensburg im Marathon in die Spitze fand (2:12:58) - und der nun als weiterer Läufer für die Teamwertung nominiert ist, in der sowohl die deutschen Männer als auch Frauen gar keine schlechten Medaillenchancen haben.

Da sind auch Filmon Abraham, der seine Profikarriere einst für Berufsausbildung und die Einbürgerung zurückstellte, sich statt im Marathon nun gerade noch für die 10 000 Meter in München qualifizierte. Und die 400-Meter-Läuferin Mona Mayer, ein großes Talent über die Stadionrunde (Bestzeit 52,79), die es nach einer Corona-Infektion zumindest ins Staffelaufgebot schaffte. Fast wäre sogar Hürdensprinterin Isabel Mayer über die Warteliste ins Aufgebot gerutscht, ihr fehlten im Punkte-Ranking am Ende wenige Zähler, wie übrigens auch Merlin Hummel, dem deutschen Hammerwurf-Meister (UAC Kulmbach).

Und die übrigen Bayern in München? Sprinterin Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen) reist vielleicht nicht in der Form des Vorjahres zur EM, dafür mit steigender Form und der WM-Bronzemedaille mit der Sprintstaffel. Weitspringer Maximilian Entholzner (LAC Passau) empfahl sich zuletzt mit 7,99 Metern; schaffte dabei fast jene acht Meter, die er im Vorjahr erstmals überbot (8,12). Der einstige Jugendmeister Niklas Buchholz (LSC Höchstadt/Aisch) aus der wieder etwas stärkeren deutschen Hindernisriege hievte sich auch dank einer neuen Bestleistung von 8:31,93 Minuten zuletzt ins Aufgebot. Und dann gibt es da noch ein Trio von der LG Stadtwerke - als Münchner sind sie ja die eigentlichen Gastgeber. Und sie fühlen sich auch tatsächlich als solche, zumindest Christina Hering.

Lokalmatadorin und Werbefigur: Christina Hering von der LG Stadtwerke München. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Am Nachmittag vor der Eröffnungsfeier sitzt die 800-Meter-Läuferin im Olympiapark auf einer Bank, sie wirkt entspannt, strahlt. Am Abend werde sie die Fahne für die Leichtathletik tragen, erzählt sie, nichts Großes, "aber ich durfte noch nie eine Fahne tragen". Es sei schon etwas ganz Besonderes, in der eigenen Stadt, im Olympiastadion bei einer EM zu laufen, sie hoffe, dass der Kartenverkauf für das riesige Stadion noch etwas anziehe.

Hering, 27, ist auch deshalb so guter Dinge, weil sie wenige Tage zuvor die zweitschnellste Zeit ihrer Karriere gelaufen ist, 1:59,51 Minuten bei der Diamond League im polnischen Chorzow, nur eine Zehntel über ihrer Bestmarke. "Das hat mir richtig viel Selbstvertrauen gegeben, das erste Mal, dass sich die Trainingsleistungen im Wettkampf widergespiegelt haben." Überwunden hat sie damit auch die Enttäuschung von der WM in Eugene vor wenigen Wochen, als ihr im Halbfinale gegen Ende völlig die Luft ausging. Auch dort, wie nun in Chorzow, hatte sie die ungünstige Bahn eins erwischt, und in beiden Fällen sei es ihr zumindest mal gelungen, "mit wenig Aufwand in eine gute Position zu kommen", auch das gibt ihr Zuversicht. Und dank dem Topergebnis in Polen konnte sich nun auch kein Bahn-eins-Trauma einstellen.

An Eugene geknabbert: Hochspringer Tobias Potye hat wieder neue Spannung aufgebaut. (Foto: Anke Waelischmiller/Imago)

Hochspringer Tobias Potye hatte ebenfalls zu knabbern an Eugene, wo er in der Qualifikation ausschied - zumal er doch erst Ende Juni mit seinem ersten 2,30-Meter-Sprung deutscher Meister geworden war. Ein perfekter Wettkampf sei das gewesen, sagt er, die Zeit in den USA aber habe sich dann zu lange gezogen, um den "Adrenalinrausch", den er danach hatte, bis zum WM-Start zu erhalten. Inzwischen hat er in drei Vorbereitungswettkämpfen wieder neue Spannung aufgebaut, er fühle sich ähnlich wie vor der DM in Berlin und weiß: Die Chance einer Heim-EM "ist einmalig".

Zufrieden kehrte nur Herings Trainingspartnerin Katharina Trost von der WM heim, wo sie - wie nun auch in München - die 1500- statt der 800-Meter-Distanz lief. Neue Bestzeit im Vorlauf, womit sie nicht gerechnet hätte, der zweite Lauf nicht viel schlechter - "ich war wirklich zufrieden", betont sie. Fürs Finale reichte es zwar nicht in Eugene, aber das will sie nun in München auf europäischer Ebene nachholen. Mit der achtschnellsten Zeit ist sie gemeldet. Ihr letztes 800-Meter-Rennen vor zwei Wochen in Luxemburg hat sie gewonnen, zurzeit sitzt sie nach dem Training noch an einer Hausarbeit für ihr Referendariat als Grundschullehrerin.

Hering hingegen sitzt schon im Olympiapark. Sie ist ganz schön herumgereicht worden als Lokalmatadorin und Werbefigur: Interviews, Pressetermine, Imagevideos, aber sie hatte Spaß dabei. "Ich fühle mich jetzt fast ein bisschen mitverantwortlich, dass alles schön wird", stellt sie fest. Windig ist es. Beim Aufstehen entdeckt sie ein großes Schild, "Table Tennis", das sich in gut zweieinhalb Metern Höhe von einem Zeltgiebel löst. Also hüpft sie davor herum und versucht, es irgendwie wieder anzubringen. Es soll wirklich alles gut werden.

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