Leeds-United-Trainer Marcelo Bielsa:Hymnen für El Loco

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Der Mann auf dem Eimer ist der Trainer: Marcelo Bielsa bei Leeds United. (Foto: Mike Egerton via www.imago-images.de/Mike Egerton/imago images)

Leeds United verschwand in den Niederungen, doch nun kehrt der Traditionsklub in die Premier League zurück. Dank Marcelo Bielsa, den Pep Guardiola für den besten Coach der Welt hält.

Von Johannes Kirchmeier

Als der Siegtreffer für seine Mannschaft Leeds United fiel, wirkte der Trainer Marcelo Bielsa wenig angetan. Statt wild zu jubeln, schaute er etwas grimmig drein, schnappte sich seinen Spieler Stuart Dallas und bereitete ihn auf die nächsten Situationen vor. Vielleicht schmeckte es dem argentinischen Trainer, der von seinen Kollegen für sein Fußballverständnis hoch verehrt wird, auch einfach nicht, dass sein Team am Donnerstagabend ausgerechnet durch ein schnödes Eigentor gegen den Tabellenletzten FC Barnsley in Führung ging. Andererseits lag zu diesem Zeitpunkt eben auch noch eine Stunde Spielzeit vor ihm in der Zweitliga-Partie - und da ist keine Zeit zum Jubeln für einen Coach, der den Fußball am liebsten in die winzigsten Einzelteile zerlegt.

Und damit auch in England wieder einmal großen Erfolg hat: Bielsas Team steigt nach dem 1:0 gegen den Tabellenletzten und durch die Niederlage des Verfolgers West Bromwich Albion am Freitag in die Premier League auf. Nach 16 Jahren und zeitweiser Drittklassigkeit kehrt der frühere Meisterklub Leeds United also zurück in die reichste Fußball-Liga der Welt. Er schließt die Saison sogar als Zweitliga-Meister ab, das ist bereits zwei Spieltage vor dem Ende klar. An diesem Sonntag gastiert United bei Derby County (15 Uhr). "WE ARE BACK!!!", twitterte der Klub am Freitagabend, nachdem West Brom 1:2 in Huddersfield verloren hatte. Der offizielle Premier-League-Account reagierte mit einem Klatsch-Emoji darauf. Und die United-Fans bejubelten und behupten den Aufstieg am Stadion, der Elland Road.

Marcelo Bielsa in Leeds
:"El Locos" legendärer Auftritt

Marcelo Bielsa hält eine der irrsten Pressekonferenzen überhaupt: Weil man ihm Spionage beim Gegner vorwirft, offenbart der Leeds-Trainer sein ganzes Taktikwissen - und erzählt von Guardiola.

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"El Loco" - den Verrückten - nennen sie Marcelo Alberto Bielsa Caldera in seinem Heimatland aufgrund verschiedenster Kuriositäten. Der Coach soll nach Niederlagen schon nackt und frustriert in seiner Trainerkabine angetroffen worden sein, eine Weile lebte er im Kloster. In Leeds sind nun die größeren Verrücktheiten, dass er im Trainingsanzug zum Einkaufen marschierte oder dass er einmal eine 70-minütige Taktik-Pressekonferenz hielt mitsamt Powerpoint-Präsentation für die Journalisten. Auf Spanisch, mit Übersetzung auf Englisch. Und natürlich, dass er die Spiele statt auf der Auswechselbank am liebsten auf einem blauen Kübel sitzend an der Seitenlinie verfolgt. Der Verein bot den Eimer schon im Fanshop an, der englische Fußball-Podcast "Phat Chants" widmete Bielsa das Lied "Bucket Man" - eine Parodie von Elton Johns "Rocket Man". Bereits zuvor sang "Phat Chants" dem Coach zu Ehren "Bielsa's Rhapsody". Zum Aufstieg dürfte es wohl die nächste Trainer-Hymne geben.

Pep Guardiola besuchte Bielsa einst in Argentinien

Bielsa wird in der Trainerwelt ohnehin höchst verehrt. "Meine Bewunderung für Bielsa ist riesig. Er macht seine Spieler viel, viel besser", sagte Manchester-City-Coach Pep Guardiola einmal. "Ich habe noch keinen Spieler getroffen, der negativ über ihn gesprochen hat. Sie sind alle dankbar für seinen Einfluss, den er auf ihre Karrieren hatte." Deswegen sei er "für mich der beste Coach der Welt". Bevor Guardiola seine Trainerkarriere begann, besuchte er Bielsa auf dessen Ranch in Argentinien und blieb zu einem mehrstündigen Taktikseminar. Der Bayern-Spieler Javi Martínez kickte einst unter Bielsa in Bilbao. Als das Team auf Guardiolas Barcelona traf, entspann sich "das schönste Fußballspiel, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe", sagte der Mittelfeldspieler einmal zum Magazin 11Freunde. Nun kreuzen sich die Wege der Trainer wohl wieder in der kommenden Saison in der Premier League.

Auf dem ersten Blick wirkt Bielsa manchmal etwas kauzig, wenn er auf seinem Eimer sitzt. Englisch spricht er nicht, Pressekonferenzen absolviert er mit der Hilfe eines Übersetzers. In der vergangenen Saison scheiterte er auf äußerst liebevolle Weise an der Aussprache von Ipswich Town. Deutlich mehr Spuren hat der Argentinier seit 2018 hingegen auf den Fußballplätzen Englands hinterlassen: Das typische "Hoch und Weit" in den unteren Klassen hat er abgelöst mit seinem Bielsa-Ball, der inspiriert ist vom "Voetbal Total" der Niederländer Rinus Michels und Johan Cruyff. Bielsa selbst trainierte anders als die beiden aber in Europa nie die besten Klubs, sondern Teams wie Athletic Bilbao, Olympique Marseille (dort saß er übrigens auf einer Kühlbox) oder nun Leeds - Traditionsvereine, denen er schnell Leben einzuhauchen vermochte.

Nach 16 Jahren kehrt der Traditionsklub Leeds in die Premier League zurück

So könnte sich nun auch die Symbiose in Yorkshire, im Norden Englands, fügen. Vor zwei Jahren war Bielsa nach Leeds gekommen, verpasste den Aufstieg schon in der vergangenen Saison nur knapp mit dem Klub, der einst im Jahr 1975 dem FC Bayern mit Maier, Beckenbauer und Müller im Finale des Europapokals der Landesmeister als überlegenes Team unglücklich unterlag. Bis heute ist Leeds einer der größten Klubs Englands mit seinen drei Meistertiteln (nur zehn Klubs gewannen öfter). 2001 spielte Leeds noch im Halbfinale der Champions League und unterlag dem FC Valencia, der im Endspiel gegen Bayern im Elfmeterschießen verlor. Das war der Höhepunkt der berauschenden Mannschaft um die englischen Nationalspieler Alan Smith, Rio Ferdinand und den Australiern Harry Kewell und Mark Viduka. Gerade als die Goldgräber-Zeit mit immer dickeren TV-Verträgen im Fußball-Mutterland anbrach, da verabschiedete sich das verschuldete Leeds United dann 2004 aus der obersten Spielklasse - und verschwand jahrelang in den Niederungen. Bis Bielsa kam.

Am Dienstag, einen Tag vor dem letzten Saisonspiel gegen Charlton Athletic, wird der Argentinier 65 Jahre alt. Ein Fußball-Rentner wird sicher nicht aus ihm, dafür ist er zu fußballversessen. Doch nach dieser Partie läuft sein Vertrag in Leeds aus, der Verein würde ihn nach dem Aufstieg natürlich gerne verlängern. Aber nun ja, es liegt in der Natur der Sache, dass "El Loco" nicht der berechenbarste Coach des Erdballs ist, manch Anhänger hat daher schon Angst, dass er sich bald verabschieden könnte. Oder aber er geht erstmals in eine dritte Spielzeit als Trainer bei einem europäischen Klub. Auch das würde ja für seine Unberechenbarkeit sprechen.

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