Marcelo Bielsa in Leeds:"El Locos" legendärer Auftritt

FILE PHOTO: FA Cup Third Round - Queens Park Rangers v Leeds United

Marcelo Bielsa hat alle überrascht mit seiner Pressekonferenz.

(Foto: Action Images)
  • Gab es schon einmal so eine Pressekonferenz in England? Leeds-Trainer Marcelo Bielsa erzählte bei einem Termin seine Taktikgeheimnisse.
  • Zuvor hatte es Berichte gegeben, wonach er Gegner und deren Trainingseinheiten ausspioniert.

Von Ludwig Haas und Jonas Beckenkamp

Die Nachricht kam am gestrigen Mittwoch - und sie ließ Englands Fußballszene schnell unruhig werden: Der Argentinier Marcelo Bielsa, Trainer des Zweitligisten Leeds United, sollte eine spontane Pressekonferenz von besonderer Wichtigkeit geben. Das könnte was werden, wussten in diesem Moment die Reporter. Wenn Bielsa, den sie auf Spanisch nur "El Loco" (der Verrückte), nennen, etwas zu sagen hat, ist es oft interessant. Obwohl sein Verein momentan auf dem ersten Platz der 2. Liga rangiert, war der 63-Jährige zuletzt wegen der sogenannten "Spygate-Affäre" unter Beschuss geraten.

Der Grund dafür: Am vergangenen Donnerstag war ein verdächtiger Mann auf dem Trainingszentrum von Leeds-Gegner Derby County festgenommen worden, weil er das Training in auffälliger Weise verfolgt hatte. Er lungerte neugierig und offenbar verdächtiger als sonstige "Kibitze" am Zaun des Derby-Geländes herum, weshalb der Klub die Polizei rief. Wie sich herausstellte, hatte Bielsa den Informanten offenbar angewiesen, den kommenden Gegner von Leeds auszukundschaften. Eine wahrlich ungewöhnliche Maßnahme, wenn auch im Grunde keine verbotene. Als die Sache publik wurde, horchten dennoch viele auf: Leeds-Klub-Eigentümer Andrea Radrizzani sah sich gar genötigt, offiziell bei Derby County um Vergebung zu bitten und seinen Trainer zu rügen. Fairplay hat in England schließlich durchaus Gewicht. Aber kalter Krieg am Trainingsplatz? Geschmackssache.

Die Enthüllungen und die Kritik wollte Bielsa aber nicht auf sich sitzen lassen - und zurücktreten wollte er anders als erwartet schon gar nicht. Seine Pressekonferenz mutierte stattdessen zum großen Schauspiel, denn: Die verdutzten Zuhörer in Leeds bekamen von dem Mann aus Rosario (wo auch Lionel Messi herkommt) nichts weniger als einen der legendärsten Medientermine der englischen Fußballgeschichte zu sehen. Bielsa, ein akribischer Taktiker und sogenannter "Trainerfuchs", servierte dem Publikum eine 70-minütige Powerpoint-Präsentation. Auf Spanisch, mit Übersetzung auf Englisch.

Darin zu hören: das gesammelte Trainerwissen sowie Taktikanalysen von "El Loco" in epischer Breite. Bielsa erklärte den anwesenden Pressevertretern per Frontalvortrag, dass er tatsächlich schon die gesamte Saison über systematische Beobachtungen von Gegnern betreibe, und dass er diese auch anhand von Material mit gegnerischen Trainingseinheiten aufbereite. Ihm ginge es um maximales Bescheidwissen, um die ideale Einstellung seiner Spieler auf das, was käme. Ob das fair ist oder gar unerlaubt, darüber mache er sich keine Gedanken, so Bielsa.

Entsprechend zeigte er auch keine Reue wegen etwaiger "Spione" oder vermeintlicher Böswilligkeit. "Nirgendwo steht, dass man das Trainingsgelände seiner Gegner nicht betreten und sich dort umsehen darf", fand Bielsa. Das stimmt durchaus, aber unüblich sind solche Vorgehensweisen schon. Außerdem, fuhr der Argentinier fort, würden ihm die Informationen lediglich zur Datensammlung nutzen und seien deshalb für das Spiel von Leeds United unwichtig. Die Sache sei somit keine Frage von verletztem Fairplay. Und dann hielt der Argentinier ein Referat, in dem er auf durchaus interessante Art Einblicke in seine Denkweise als Trainer gab - inklusive Details der von ihm analysierten Mannschaften. Wer also demnächst gegen Derby oder Preston North End drankommt, kann sich aus Bielsas Erkenntnissen frei bedienen.

Dabei ist seine launige Darbietung nicht seine erste. Er gilt als besessenster Fußball-Nerd Südamerikas, seine Mannschaften spielen oft allerherrlichsten Trainerfußball, wobei der Erfolg sich nicht immer in Gänze einstellt. Zuletzt etwa wurde er 2017 beim OSC Lille in Frankreich entlassen, nachdem der Klub auf Platz 18 der Tabelle abrutschte. Schon in der Vergangenheit war er immer wieder durch seine besondere Herangehensweise an das Spiel sowie mit Slapstick in der Öffentlichkeit aufgefallen. Seine Interviews nach Ligaspielen, in denen er einen Dolmetscher zur Unterstützung hat, gelten auf der Insel als Material zum Schmunzeln, schließlich versteht ihn manchmal keiner so recht. Aber Bielsa ist eine Marke - und er weiß eine ganze Menge vom Fußball.

Spiele seines Teams verfolgt er nicht etwa von der Bank aus, er sitzt fast immer auf einer Kühlbox, die am Spielfeldrand nur seinetwegen aufgestellt wird. Und er unterhält prominente Beziehungen im Geschäft: Wegen seines Rufes als akribischer Analyst hat sich auch Pep Guardiola mit ihm angefreundet. Er weilte vor Jahren sogar länger bei Bielsa in Argeninien, um mit dem Gauchoguru den Fußball in seine Einzelteile zu sezieren. Und natürlich trafen beide auch einmal entscheidend aufeinander: Während seiner Zeit bei Athletic Bilbao forderte Bielsa im Finale des spanischen Pokals 2012 den FC Barcelona heraus, damals trainiert von Guardiola. Der Katalane, der Bielsa öffentlich gar als persönliches Vorbild und "besten Trainer der Welt" bezeichnet, habe hinterher Bielsas Aufzeichnungen zu sehen bekommen und gestaunt: "Du kennst den FC Barcelona besser als ich." Das Spiel hatte Bielsa mit Bilbao trotz seiner Grübelei freilich 0:3 verloren.

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