Toni Kroos tritt zurück:Der letzte Pass geht steil

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Toni Kroos beim Spiel gegen England. (Foto: Justin Tallis/AFP)

Nach 106 Länderspielen verkündet Toni Kroos seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Es geht ein Spieler, der trotz seiner Erfolge und Klasse immer mit Skepsis leben musste.

Von Martin Schneider

Der letzte Pass von Toni Kroos im Trikot der deutschen Nationalmannschaft war ein Steilpass. Gespielt mit seinem schwächeren linken Fuß in der 94. Minute im EM-Achtelfinale gegen England, von dem Toni Kroos zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass der Pass nichts mehr bringen würde und dass es seine letzte Aktion im Nationaltrikot sein wird. Am Freitag gab er seinen Rücktritt bekannt. "Es war mir eine große Ehre, dass ich dieses Trikot über einen so langen Zeitraum tragen durfte", schrieb er in den sozialen Netzwerken.

Es wäre unehrlich, nun so zu tun, als wäre die Beziehung zwischen Toni Kroos und großen Teilen der deutschen Fußballöffentlichkeit immer harmonisch gewesen. Dabei spielte auch die Richtung seiner Pässe eine Rolle. Zu oft quer, zu wenig steil, zu wenig Tempo und überhaupt zu wenig Zweikämpfe, zu wenig Arbeit, hieß es im Prinzip nach jedem Spiel, das nicht überragend war. Kroos wurde schneller kritisiert als andere, und faszinierend daran war, dass die Kritik im krassen Gegensatz zum Vertrauen von Trainergrößen wie Jupp Heynckes, Zinédine Zidane oder Joachim Löw und im noch krasseren Gegensatz zu seinen Erfolgen stand. Kroos ist Weltmeister und viermaliger Champions-League-Sieger, gemessen an Titeln ist er der erfolgreichste deutsche Fußballer dieses Jahrtausends. Kroos weiß auch, dass das so ist: "Und Danke an alle Kritiker für ihre Extramotivation", schreibt er in seinem Abschiedsstatement.

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Vielleicht liegt die Skepsis an seiner extrem ruhigen Art des gebürtigen Greifswalders, die viele als Distanziertheit wahrnahmen, vielleicht liegt es an einer Grundskepsis hierzulande allen Fußballern gegenüber, die das Spiel mehr spielen als arbeiten. Oder es liegt vielleicht auch an seinen ersten beiden Schlüsselszenen in der Nationalmannschaft. 2010 vergab er im WM-Halbfinale gegen Spanien die größte (und einzige) Torchance des DFB-Teams, bei der EM 2012 stellte Löw Kroos im Halbfinale gegen Italien als Bewacher für Andrea Pirlo ab, was sich als historischer Fehler erwies. Also von Löw, denn man wusste schon damals, dass Manndeckung keine Stärke von Toni Kroos ist.

Dass er beim FC Bayern für verzichtbar erklärt wurde und als Regisseur bei Real Madrid glänzte, tat sein Übriges, weil er dann eben nicht mehr in der Sportschau auftrat. 2014 schließlich wurde auch sein Turnier, weil er in Brasilien auf seiner Position spielen durfte, abgesichert durch den rackernden Schweinsteiger und mit Mesut Özil an seiner Seite, der bekanntlich auch wenig Zweikämpfe gewann, aber halt auch keine Bälle verlor.

"Genießen ist für mich Kontrolle", hat Kroos mal über seine Leitidee gesagt. "Ich versuche, mit meinem Pass meinem Mitspieler die beste Möglichkeit zu geben, erfolgreich zu sein." Und seinen Bewegungsablauf dazu hat man in 106 von 106 Länderspielen gesehen: Ball annehmen, hinlegen und dann entscheiden - steil spielen oder quer spielen, schnell oder langsam, Risiko oder Sicherheit. Kroos übernahm immer Verantwortung für den Rhythmus seiner Mannschaft und es liegt in der Natur der Sache, dass derjenige, der Entscheidungen trifft, auch für sie kritisiert wird.

Flick kann nun voll auf das Duo Kimmich/Goretzka setzen

Seine Entscheidung, aus der Nationalmannschaft zurückzutreten habe er schon vor dem Turnier und unabhängig vom Ausgang getroffen, sagte Kroos. Der neue Bundestrainer Hansi Flick kann so auf "seine" Bayern-Mittelfeldzentrale aus Joshua Kimmich und Leon Goretzka setzen, die sicher mehr Bälle vertikal versenden wird, wobei noch zu beweisen wäre, dass es die besseren Bälle sein werden.

Tore hat Toni Kroos übrigens auch geschossen, beim 7:1-Sieg gegen Brasilien im WM-Halbfinale erzielte er gar zwei davon, und irgendwie sagt es viel über sein Spiel aus, dass sich an seine Tore eigentlich niemand erinnert.

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