EM 2021:Kroatien ist innerlich zerrissen

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"Wir sind weit davon entfernt, wie wir einmal gespielt haben": Luka Modric (links) trägt die Last der Verantwortung für das kroatische Spiel momentan allein auf seinen schmalen Schultern. (Foto: Paul Ellis/AFP)

Der WM-Zweite tut sich schwer: Der Kampf zwischen Jung und Alt reißt Gräben in die Mannschaft - vor dem dritten Gruppenspiel bleibt nur die Hoffnung auf Luka Modric.

Von Felix Haselsteiner

Ein wenig fehl am Platz wirkte der vielleicht beste kroatische Fußballspieler der Geschichte, als er in Glasgow plötzlich die Trophäe für den Spieler des Spiels erhielt. Luka Modric war in seiner Karriere bereits bei vielen Spielen der beste Mann auf dem Platz, zuletzt bei der Weltmeisterschaft 2018 sogar so oft, dass er Kroatien bis ins Finale führte. Aber nun, gegen Tschechien?

Bei einem 1:1, das derart unspektakulär daherkam, dass es inmitten der vielen guten Spiele dieser EM komplett unterging. Modric stach hervor, so wie er das immer tut, die persönliche Auszeichnung war daher wohl auch gerechtfertigt - nur war auch dem Weltfußballer von 2018 klar, dass es bei diesem kleinen Pokal bleiben wird, wenn sich bei den Kroaten nicht schleunigst etwas ändert.

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Die kroatische Nationalmannschaft spielt eine schwache Partie gegen Tschechien. Ivan Perisic gelingt zwar noch der Ausgleich, doch das Aus droht.

"Wir sind aktuell nicht das Kroatien, das wir alle sehen wollen", sagte Modric bei der Pressekonferenz nach dem Spiel. Das sei nicht erst seit Kurzem so, auch die Spiele in der WM-Qualifikation hätten ihm nicht gefallen. "Wir sind weit davon entfernt, wie wir einmal gespielt haben", sagte Modric und legte damit schon ein wenig von dem Drama offen, das dieser kroatischen Mannschaft bei der EM begegnet: Sie muss sich an den Erfolgen des vorherigen Turniers messen lassen, tritt nicht mehr als Überraschungsmannschaft an - und sieht daher nach zwei Spielen und nur einem Punkt schon aus wie einer der großen Verlierer der Vorrunde. Eine letzte Chance bleibt am Dienstag gegen Schottland, um das frühe Aus noch zu verhindern, doch: Dazu müssten sich erst mal alle demselben Ziel verschreiben.

Sowohl gegen England als auch gegen Tschechien stimmte die Kommunikation nicht

Die Debatten um die Kultur in Zlatko Dalics Mannschaft hatte schon vor dem Turnier an Kraft gewonnen. Nun scheinen sie aktueller denn je zu sein. Nach dem Abschied von Torwart Danijel Subasic, Ivan Strinic, Ivan Rakitic und Mario Mandzukic war eine Lücke im kroatischen System aufgerissen, das 2018 noch so perfekt ineinandergegriffen hatte. Dalic füllte sie mit jungen Spielern wie Dominik Livakovic im Tor - das sorgte jedoch nicht für frischen Elan, sondern für Ärger bei den Etablierten.

"Die Neuen nehmen einige Dinge als selbstverständlich hin, sie müssen ihre Einstellung gegenüber der Mannschaft und uns Älteren ändern", fasste Innenverteidiger Dejan Lovren die Situation vor dem Turnier aus Sicht derer zusammen, die schon lange dabei sind. Es ist eine innere Zerrissenheit erkennbar, die ein wenig an die deutsche Nationalmannschaft von 2018 erinnert - ein halber Umbruch ist eben manchmal weitaus schwieriger als ein ganzer.

Doch nicht einmal in der enttäuschenden deutschen Mannschaft von 2018 waren die Probleme so offensichtlich auf dem Spielfeld zu erkennen wie in den ersten beiden Spielen Kroatiens: Sowohl gegen England als auch gegen Tschechien stimmte die Kommunikation zwischen den Mannschaftsteilen nicht, immer wieder liefen die Offensiven an, ohne dass das Mittelfeld nachrückte - die Lücken konnten die Gegner ausnutzen. Vor drei Jahren schien jeder Kroate für den anderen zu laufen, nun jeder für sich. Modric ist daher mittlerweile allein verantwortlich für den Aufbau, gegen Tschechien musste er auch noch ohne seinen defensiven Counterpart Marcelo Brozovic auskommen, was Dalic als Fehler einsah und im finalen Gruppenspiel wohl korrigieren wird.

Der kroatische Trainer präsentierte sich im Trainingslager in Rovinj gegenüber den Medien überhaupt sehr kritikfähig, was angesichts der aufgeheizten Stimmung in Kroatien allerdings auch alternativlos war. "Das Spiel der kroatischen Nationalmannschaft unterschied sich in keiner Weise von den blassen Leistungen, an die wir seit einiger Zeit gewöhnt sind", schrieb etwa die Tageszeitung Večernji list. Dalic gab zu, dass seine taktischen Ideen bislang keinen Erfolg brachten, etwa der Plan mit dem ehemaligen Frankfurter Ante Rebic als einzelne Sturmspitze: "Das hat nicht funktioniert."

Wirklich beruhigend ist für die Kroaten somit eigentlich nur der Umstand, dass sie weiterhin Einzelspieler haben, die fähig sind, eine ganze Mannschaft zu tragen. Ivan Perisic erzielte das 1:1 gegen Tschechien mit einer Einzelleistung, die an seine besten Zeiten erinnerte - der Linksaußen ist einer derjenigen, der sein Niveau von 2018 halten konnte. Dasselbe gilt auch für den Regisseur in der Mitte: Von Luka Modric ist auch gegen Schottland eine weitere Leistung zu erwarten, die ihn zum Mann des Spiels macht. Diesmal sollte seine Mannschaft aber zusehen, dass sie dieses Spiel dann auch gewinnt.

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