Kroatien schlägt Spanien:Sensation in der 87. Minute

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Bedröppelt: Sergio Ramos verschoss einen Elfmeter. (Foto: Getty Images)

Kroatien quält mit einem überraschenden Sieg den Titelverteidiger Spanien. Der muss im Achtelfinale gegen Italien antreten und Sergio Ramos trägt eine große Mitschuld an dieser Situation.

Von Javier Cáceres , Bordeaux

Ein spätes Tor des früheren Wolfsburgers Ivan Perisic hat am Dienstag für eine handfeste Überraschung in der Gruppe D gesorgt. Vier Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit tankte sich der heutige Stürmer von Inter Mailand auf der linken Seite durch - und sorgte mit einem abgefälschten Schuss, bei dem Spaniens Torwart David de Gea schlecht aussah, für einen verblüffenden, aber alles andere als unverdienten 2:1-Sieg der Kroaten. Die Mannschaft vom Balkan schloss die Gruppe D als Sieger ab, die favorisierten Spanier müssen nun als Zweiter am Montag in Saint-Denis ihr Achtelfinalspiel gegen das noch verlustpunktfreie Italien bestreiten - eine Neuauflage des Finals von 2012.

Zudem befinden sich zwei weitere Turnier-Favoriten (Deutschland, Frankreich) in der unteren Hälfte des Turnier-Tableaus. Drei stilistisch unterschiedliche Gegner hat Spanien in dieser Vorrunde gehabt. Die Tschechen suchten ihr Heil in der Ultradefensive. Die Türken konnten ihre Partitur nicht entziffern. Und eben die Kroaten, die selbst ohne zwei Schlüsselspieler - Trainer Ante Cacic schonte Mittelfeldregisseur Luka Modric und Stoßstürmer Mario Mandzukic - offensiv und intelligent organisiert ihren Rang als beeindruckende, mutige und offensive Combo bestätigten.

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Auch Albanien wäre ein möglicher Gegner. Danach hält der Turnierbaum nur noch Hochkaräter parat.

Sie wurden am Ende dafür belohnt. Spaniens Trainer Vicente del Bosque vertraute zum dritten Mal bei dieser EM der gleichen Startelf - was insofern eine Überraschung war, als er an den vorangegangenen Tagen im Training durchaus Alternativen getestet hatte und Spanien sich ohnehin vorzeitig fürs Achtelfinale qualifiziert hatte. Daher ließ sich die Aufstellung auch als unmissverständliche Absichtserklärung lesen: Spanien wollte den Gruppensieg, um den stärksten Teams des Turniers möglichst lange aus dem Weg gehen zu können. Sogar der Gelb-belastete Sergio Ramos spielte von Beginn an. Und Spanien fabrizierte einen Start, den sie sich kaum besser erträumt haben dürften.

Nach nur sieben Minuten traf Mittelstürmer Álvaro Morata zum 1:0, das der Partie aus spanischer Sicht jede Brisanz zu nehme schien. David Silva, dem Andrés Iniesta am Dienstag den Dirigentenstab auslieh, spielte einen Traumpass auf Cesc Fàbregas, mit dem er drei kroatische Verteidiger ins Leere laufen ließ, und Cesc passte quer auf Morata, der bloß noch den Fuß hinhalten musste. Die Spanier dominierten das Spiel, vor allem durch Cesc und Silva. Doch die Führung verleitete die Spanier zu einer Gelassenheit, die mitunter zu groß geriet. Die Folge: Konzentrationsfehler, die den Kroaten zwei Großchancen bereiteten. Mittelstürmer Nikola Kalinic, ein guter Ersatz für Mandzukic, fing einen haarsträubenden Querpass von Innenverteidiger Sergio Ramos ab und versuchte aus 18 Metern (12. Minute). Dann vertändelte Torwart David de Gea einen Rückpass, der bei Ivan Rakitic landete. Der Mittelfeldspieler von Barça zirkelte den Ball mit einem wundervollen Lupfer über de Gea hinweg - doch er landete erst an der Querlatte und prallte dann vom Pfosten zurück ins Feld. Spanien hatte mehr Ballbesitz und kam zu Chancen, die Kroatien aber nicht den Biss nahmen.

Kapitän Sergio Ramos vergibt am Elfmeterpunkt die Chance zur spanischen Führung

Kurz vor der Pause kam dann der Ausgleich, ein überaus anschauliches Werk. Ivan Perisic versetzte Spaniens Rechtsverteidiger Juanfran und flankte in den Strafraum. Dort sprang Kalinic dem Ball entgegen - und vollendete mit der Ferse (45.).

In der zweiten Halbzeit wirkte Kroatien bissiger, bis Spaniens Trainer del Bosque den Sechser Bruno für Stürmer Nolito brachte und ein Übergewicht im Mittelfeld herstellte, wodurch Spanien das Spiel beruhigte. Mit dieser Ruhe aber war es durch zwei Strafraumszenen vorbei. In der 64. Minute dribbelte sich Marko Pjaca in den Strafraum und kam nach einem Kontakt mit Sergio Ramos zu Fall. Sein Sturz geriet etwas theatralisch; Schiedsrichter Kuipers verweigerte den Strafstoß.

Rund fünf Minuten später zeigte er auf den Punkt, allerdings im anderen Strafraum. Nach einem Traumpass von Iniesta brachte Sime Vrsaljko den Adressaten David Silva aus dem Gleichgewicht, er lief in ihn hinein. Die Frage, ob der Elfmeterpfiff berechtigt war, wurde gewissermaßen hinfällig. Der Grund: Ramos, der kurz zuvor einen Kopfball nur knapp neben das Tor gesetzt hatte, trat an und schoss den Strafstoß dem Torwart Danijel Subasic auf den Körper. Dieser stand aber vier Meter vor der Linie.

Der Fehlschuss rächte sich. Als es den Anschein hatte, dass Spanier und Kroaten sich mit dem Unentschieden arrangieren würden und Ivan Rakitic schon mit seinem Mannschaftskameraden vom FC Barcelona, Gerard Piqué, auf dem Feld scherzte, konterten die Kroaten die Spanier aus. Perisic traf und wurde dann ausgewechselt, unter dem Jubel der kroatischen Fans. Spanien versuchte noch, den Ausgleich zu erzielen, der für den Gruppensieg gesorgt hätte. Doch dafür war die Zeit zu knapp. Es blieb bei dem 1:2, das den Weg des Titelverteidigers bei der EM verkompliziert.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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