In den Roaring Twenties, den rasenden Zwanzigerjahren, also in der Zeit der amerikanischen Prohibition, wurden die Lastzüge der Alkoholschmuggler in Chicago von weiß gekleideten Polizisten auf Motorrädern eskortiert. John Torrio oder Alphonse Capone galten als große Unternehmerpersönlichkeiten und Korruption war ein anderes Wort für Gesetz.
Wenn die Autokolonnen der Fifa-Größen heranpreschen und vor Regierungssitzen haltmachen, könnte man meinen, ein Staatspräsident rausche heran. Vorfahrten mit Polizei und Blaulicht, rote Teppiche, Blitzlichter. Viele Politiker sind stolz, wenn Joseph Blatter höchstselbst vorbeischaut. Sie behandeln ihn wie eine Macht.
In der Fifa hätten sich Mafiosi aus den Zwanzigerjahren bestens zurechtgefunden
Dabei ist Blatter der Chef einer Organisation, in der sich Diamanten-Jimmy oder Quinta der Springfrosch, Figuren aus dem alten Chicago, gut zurechtgefunden hätten. Fifa-Funktionäre lassen sich schmieren; wer nicht spurt, wird bedroht, und die Gier gibt den Takt vor. Nur wenn bei Feierlichkeiten der Geigenkasten aufspringt, ruht da, anders als zur Zeit Capones, keine Maschinenpistole im grünen Samtfutter, sondern tatsächlich eine Geige. Das Gewese, das in diesen Tagen von der Welt bestaunt wird, müsste ihr also eigentlich vertraut sein.
Je nach Betrachtungsweise ist die Fifa ein von Korruption zerfressener oder ein von Korruption infizierter Verband. Dieser Zustand dauert länger als die Ära der Prohibition währte - die ging nach 14 Jahren zu Ende. Warum ist die Fifa damit bislang durchgekommen? Hat jemand die gravitätischen Begriffe, zu denen Blatter gerne greift, wie "Integrität", "Solidarität" und "Respekt" wirklich mit den Geschäften dieser Organisation in Verbindung gebracht? Als ginge es um einen Verband irgendwo zwischen Vereinten Nationen und Amnesty International. Die Realität sind epidemische Korruption und das Elend der Arbeiter beim Bau der WM-Stadien in Katar.
Korruption ist der Missbrauch eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken
Als Blatter vor vierzig Jahren bei der Fifa begann, hatte der Verband nur ein paar Mitarbeiter. Heute sind in Zürich mehr als 400 Fifa-Angestellte beschäftigt, und die rasante Kommerzialisierung des Fußballs weltweit wird als Erfolg verkauft. Jedem das Seine, mir das meiste - das ist die heimliche Botschaft der Fifa. Blatter gibt den Ehrenmann und lässt sich mit den Voten der Korrumpierten wählen. Er zahlt hohe Beträge an Mitgliedsverbände, angeblich nur um die Entwicklung des Fußballs global zu fördern, aber das viele Geld macht seine Unterstützer gefügig und gierig zugleich. Er spielt den Wohltäter und ist doch Pate oder eine Art Zar.
Die kriminologische Forschung definiert Korruption als Missbrauch eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken. Der Begriff beschreibt auch den allgemeinen moralischen Verfall, der in vielen Ländern Lateinamerikas zu beobachten ist. So ist es auch kein Zufall, dass die US-Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen dort sehr fündig geworden ist. Der "Korruptionsstadl" Fifa, von dem Karl-Heinz Rummenigge einmal gesprochen hat - es war eine Verniedlichung.
"Wir können nicht jeden überwachen", so kommentierte Blatter die jüngsten Ermittlungen. Und stellte sich erfolgreich zur Wiederwahl. Zum Wesen der Demokratie gehört aber, Verantwortung zu übernehmen - selbst wenn ein Präsident nicht persönlich in einen Skandal verstrickt ist. Und es gibt ja auch Formen der Korruption, für die es keine Zahlungsströme braucht.