Korruption im Welt-Fußballverband:Versackt im Sumpf der Fifa-Familie

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João Havelange, Ricardo Teixeira, Sepp Blatter: Auf 41 Seiten hält die Schweizer Justiz fest, wie die Fifa-Führung Teil eines korrupten Systems wurde. Der Weltverband wollte lange Zeit eine Veröffentlichung des Dokuments verhindern - doch das Gericht entschied nun, dass es ein weltweites Interesse an der Aufklärung gibt.

Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Ende Juni 2010 setzte sich der Schweizer Journalist Jean-François Tanda an seinen Computer und schrieb eine kurze, formlose E-Mail an die Staatsanwaltschaft Zug. Das Anliegen war einfach: Er hätte gerne Einsicht in ein 41 Seiten umfassendes Dokument mit dem komplizierten Titel "ISL-Einstellungsverfügung".

Mit diesem Papier hatte die Schweizer Strafbehörde wenige Wochen zuvor gegen die Zahlung von 5,5 Millionen Euro zwar ein Verfahren gegen den Weltfußballverband Fifa eingestellt - damit zugleich aber festgehalten, dass rund um die mächtigste Sportorganisation der Welt ein korruptes System existiert und mehrere Spitzenfunktionäre von der früheren Fifa-Rechteagentur ISL Schmiergelder erhalten hatten. Und Jean-François Tanda wollte nun Details wissen.

"Ich dachte damals, das wird eine kurze Angelegenheit", sagt der Autor der Handelszeitung, des führenden Wirtschaftsblatts der Schweiz. Tatsächlich dauerte die Angelegenheit mehr als zwei Jahre. Denn erst jetzt, nach einem Entscheid des Schweizer Bundesgerichtes, können Tanda und die Öffentlichkeit das 41-Seiten-Dokument einsehen. Und darin weitere Beispiele nachlesen, wie weit verzweigt das Korruptionssystem der Anfang der Achtziger vom sportpolitischen Strippenzieher Horst Dassler gegründeten und 2001 bankrottgegangenen ISL war.

Beispielsweise, dass der langjährige brasilianische Fifa-Präsident João Havelange, 96, Gelder in Höhe von 1,5 Millionen Franken (zirka 1,25 Millionen Euro) erhielt. Oder dass dessen Kompagnon und früherer Schwiegersohn Ricardo Teixeira, 65, sogar mehr als zwölf Millionen Franken kassierte.

Oder dass sich die "Provisionen" der Agentur an wichtige Funktionäre des Weltsports nicht nur auf mindestens 140 Millionen Franken beliefen, wie anhand bisheriger Gerichtsakten angenommen, sondern sogar auf mindestens 160 Millionen Franken und vermutlich noch einiges mehr. Gezahlt wurde vorwiegend bei der Vergabe von Fernseh- und Marketingrechten. Vor allem aber war anhand der Dokumente die Schlussfolgerung naheliegend, dass der amtierende Fifa-Chef Sepp Blatter von diesen Methoden gewusst haben muss.

Havelange, Teixeira, Blatter - es geht also um das Trio, das in den vergangenen Jahrzehnten den Weltfußball maßgeblich bestimmte. Entsprechend lässt sich auch die massive juristische Gegenwehr der Fifa als Organisation einerseits sowie der beiden brasilianischen Funktionäre andererseits gegen die Veröffentlichung des Dokumentes erklären. Von der Behörde in Zug ging es im Dezember des vergangenen Jahres ans Obergericht des Kantons und von dort bis ans Bundesgericht.

Jean-François Tanda berichtet seit etlichen Jahren über die Vorgänge in der Fifa. Doch in dieser juristischen Auseinandersetzung gab es einen Moment, in dem er schon "ein bisschen erschrocken" war - als nämlich die gegnerischen Anwälte zwischenzeitlich forderten, Tanda müsse alle Anwalts- und Gerichtskosten sowie eine "angemessene Parteientschädigung" bezahlen.

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Andererseits hatte der Schweizer Journalist auch schnell etwas Grund zur Beruhigung: Zum einen kam es in der Schweiz zu einem Präzedenzfall, wie die dortigen Gerichte mit Einstellungsverfügungen umgehen - ein früherer Armeechef des Landes wehrte sich vergeblich gegen eine Veröffentlichung. Und zum anderen schlossen sich nach dem Bekanntwerden dieses Präzedenzfalles weitere Medien, drei schweizerische Zeitungen und die englische BBC, Tanda an und stellten ebenfalls den Antrag auf Akteneinsicht.

Korruption bei der Fußball-Familie Fifa: Joao Havelange und Ricardo Teixeira haben mehrere Millionen Schweizer Franken an Schmiergeldern angenommen. (Foto: dapd)

Während Havelange und Teixeira dabei bei ihrer Beschwerdestrategie blieben, gab es beim Weltfußballverband einen bemerkenswerten Meinungswandel. Denn mitten in den juristischen Auseinandersetzungen - und angesichts einer drohenden Niederlage? - erklärte Fifa-Chef Blatter im Herbst 2011 plötzlich, auch er sei für eine Freigabe der Dokumente. Doch wie erklärt sich dann, dass die Fifa noch bei der Entscheidung des Obergerichts ein paar Monate später neben den beiden Brasilianern zu den Beschwerdeführern zählte?

Und warum tat sie nicht das, was Schweizer Rechtsexperten als problemlos erachten, nämlich einfach ihrerseits die entsprechenden Passagen der Einstellungsverfügung unter Schwärzung der beiden konkreten Namen zu veröffentlichen?

Stattdessen brachte also erst das Schweizer Bundesgericht Klarheit - etwas früher als erwartet. Dafür aber mit einer Begründung, die Sepp Blatter, der den weltweiten Einfluss seiner Fifa-Fußball-Familie ja so gerne betont, in einem anderen Kontext gefallen hätte. Es gebe, so schrieb das Gericht, ein weltweites Interesse an der Veröffentlichung. Das Interesse der Öffentlichkeit an den Geschehnissen um die Fifa sei vergleichbar mit dem an "politischen oder wirtschaftlichen Vorkommnissen".

Es dürfte in der immer noch nur teilweise aufgearbeiteten Korruptionsmaschinerie rund um die Fifa und die ISL nicht die letzte langwierige Auseinandersetzung gewesen sein. "Dieser Fall zeigt, dass es in der Schweiz Mittel und Möglichkeiten gibt, so etwas zu verzögern", sagt Jean-François Tanda. "Aber letztlich habe ich ja gewonnen und hat das System funktioniert."

© SZ vom 13.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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