Verunglückte Leichtathletin aus Österreich:Die Geschichte ihres zweiten Lebens

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Auf vielen Bühnen präsent: Kira Grünberg vor zwei Jahren bei einer Sitzung im österreichischen Parlament. (Foto: Martin Juen/Imago)

Ein schwerer Unfall beendete die Karriere der Stabhochspringerin Kira Grünberg - heute setzt sich die 30-Jährige als Politikerin für Menschen mit Behinderungen ein.

Von Ewald Walker

Den 30. Juli hält Kira Grünberg noch immer fest im Gedächtnis, im vergangenen Jahr hat sie mit ihrer Familie sogar darauf angestoßen: als "Lebenstag". Es war der 30. Juli 2015, an dem sich das Leben der Stabhochspringerin Kira Grünberg in ein Davor und Danach teilte - als sie bei einem Trainingsunfall aus vier Metern Höhe auf der Metallumrandung des Einstichkastens vor der Matte aufschlug. Diagnose: Querschnittslähmung. Die Meldung des Unfalls schaffte es international in die Schlagzeilen, vor allem in Österreich nahm die Öffentlichkeit großen Anteil. Heute sagt ihr Vater: "Kira war so nahe am Tod, da braucht es lange, um ins Leben zurückzukommen."

Frithjof Grünberg stammt aus Pfullingen in Baden-Württemberg, seine Familie lebt in Pliezhausen. Der ehemalige Stabhochspringer bei der TSG Reutlingen (Bestleistung 4,70 Meter), der mit seiner Familie einst nach Kematen bei Innsbruck zog, hatte seiner Tochter den Traum vom Fliegen weitergegeben - und damit vom Stabhochspringen. "Der ist eigentlich nicht gefährlich", sagt Kira Grünberg. Sie war EM-Finalistin und hält mit 4,45 Meter noch immer die österreichischen Rekorde in der Halle und im Freien. Dann kam jener Tag im Juli 2015.

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Der Vater stand als Trainer an der Matte, die Mutter mit der Videokamera, sie filmte den schrecklichen Unfall: Bruch des fünften Halswirbels, Notoperation, sieben Monate Reha. Der einstige Stabhochsprung-Weltrekordhalter Sergej Bubka, Frankreichs einstiger Überflieger Renaud Lavillenie, Diskus-Olympiasieger Robert Harting, sie alle meldeten sich oder kamen ins Krankenhaus. Den größten Rückhalt aber spendete die Familie. "Während 70 Prozent der Familien in einer solchen Situation zerbrechen, hat sie uns zusammengeschweißt", sagt Frithjof Grünberg.

Acht Jahre nach dem Unfall erzählt Kira Grünberg die Geschichte ihres zweiten Lebens. Es ist eine Erzählung ohne Leiden, mit viel Zuversicht. "Mein Leben verläuft völlig konträr zu dem von früher im Leistungssport", sagt die inzwischen 30-Jährige, "es ist aber erfüllt, ich bin glücklich." Nach dem Schock des Unfalls - "Schock und Chance zugleich", sagt sie - kämpfte sie sich mit Eigenschaften, die sie im Sport gelernt hatte, zurück: Kampfgeist, Durchhaltevermögen. Sie lernte wieder zu lesen, zu schreiben, selbständig zu essen, Zähne zu putzen, mithilfe von Ärzten in Europa und den USA, Therapeuten, Psychologen.

Sebastian Kurz schob ihre politische Karriere entscheidend an

Es war auch diese Zeit, in der Grünberg ihr Lebensmotto neu fasste: "Ich dachte immer, wenn man sich das Genick bricht, ist man tot", sagt sie: "Offenbar doch nicht. Glück gehabt."

Derzeit drehe sich viel um die Politik, "das hätte ich nie gedacht", sagt Grünberg: "Aber ich habe hier meine Berufung gefunden". Österreichs inzwischen demissionierter Bundeskanzler Sebastian Kurz holte sie 2017 in sein ÖVP-Team. Ein medialer Coup, bei dem viele Beobachter damals auch vermuteten, Kurz gehe es vor allem darum, aus Grünbergs Bekanntheit und Schicksal Kapital zu schlagen. Die Karrieren der beiden haben sich seitdem jedenfalls, nun ja, konträr entwickelt. Während Kurz gerade wegen Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss angeklagt ist, sitzt die ehemalige Sportlerin als Nationalrätin im Parlament in Wien, ist Sprecherin ihrer Partei für Menschen mit Behinderungen und Inklusion.

So wie hier im Letzigrund in Zürich flog Grünberg noch 2014 durch die Luft. (Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

"Menschen mit Behinderungen brauchen eine starke Stimme", sagt Kira Grünberg. Sie hat durchaus Projekte zur Verbesserung der Situation vorangetrieben; unlängst stellte der Bund etwa 100 Millionen Euro dafür bereit, um Menschen mit Behinderungen in der Freizeit und im Beruf eine persönliche Assistenz zu ermöglichen. Auch da verbreitet sie Ihre Lebensphilosophie: Hoffnung statt Resignation.

"Vielleicht erreiche ich mehr als alle glauben und kann Menschen mit ähnlichem Schicksal etwas zurückgeben", sagt sie. Sie hadert nicht mit ihrem Schicksal, auch Jahre später nicht. In ihrem Buch ("Mein Sprung in ein anderes neues Leben") hat sie den ersten Teil ihrer Geschichte verarbeitet. Sie habe gelernt, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen.

Mächtige Förderer: Kira Grünberg im Wahlkampf 2019 mit dem einstigen Kanzler Sebastian Kurz (links) und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. (Foto: Leopold Nekula/Imago)

"Mein zweites Leben in der Politik ist vielleicht etwas komplizierter, aber genauso schön und erfüllend wie das zuvor im Sport", sagt Grünberg. Statt zu Olympischen Spielen in Rio, Tokio oder Paris zu fahren, tourt sie jetzt zu Vorträgen im In- und Ausland, bis hin zu Auftritten bei der Festsitzung des Augsburger Landkreisamts, ist Botschafterin für Stiftungen, die Studien fördern, um die Heilung von Querschnittslähmungen zu erforschen. Und sie sitzt im österreichischen Parlament in Wien am Rednerpult und besucht Behinderteneinrichtungen, um sich auch dort für tägliche Sport- und Bewegungszeiten einzusetzen.

Derzeit bereitet sich Kira Grünberg auf zwei Ereignisse im Sommer 2024 vor. Der Wahlkampf für ihren dritten Einzug in den Nationalrat - und den Umzug mit ihrer Familie von Innsbruck nach Niederösterreich. Der erneut geplante Umbau des Grünberg-Hauses mit einer eigenen Wohnung für die Tochter in Kematen wurde von der Gemeinde aus Denkmalschutzgründen verwehrt.

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Auch ihrem alten Leben ist sie gelegentlich noch verbunden. Bei den Europameisterschaften 2022 in München erlebte sie eine "bombastische Stimmung", obwohl sie unter dem Zeltdach des Olympiastadions am liebsten mit dem Stab hätte antreten wollen. Wehmut verspüre sie dabei aber nicht: "Ich habe andere Ziele als Weltmeisterin zu werden", sagt sie. "Und ich bin der gleiche Mensch geblieben, nur ein bisschen gelassener."

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