Joshua Kimmich:"Er hat wirklich alles für diese Position"

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Immer Herr der Lage: Joshua Kimmich gegen Frankreich. (Foto: imago/Jan Huebner)
  • Lange wurde Joshua Kimmich als Außenverteidiger zweckentfremdet - im DFB-Team und auch beim FC Bayern.
  • Im Länderspiel gegen Frankreich darf er nun endlich auf der Sechs agieren - und macht seine Sache gut.
  • Zu seiner Zukunft auf der Position sagt er: "Von mir aus gerne öfter."

Von Benedikt Warmbrunn, München

Eines möglicherweise noch fernen Tages wird sich Carlo Ancelotti ein Glas von seinem Lieblingswein einschenken, einen Toscano Italiano, und vielleicht denkt er dann an seine Trainerkarriere zurück. Er wird dann daran denken, dass er viel richtig gemacht hat, dass ihn Fußballer wie Cristiano Ronaldo, David Beckham und Zlatan Ibrahimovic für immer verehren werden. Spätestens beim zweiten Glas wird sich Ancelotti aber selbst eingestehen müssen, dass er einen Spieler völlig unterschätzt hat: Joshua Kimmich.

In den vergangenen drei Jahren ist es ohnehin schon schwierig gewesen, sich von Kimmich nicht überzeugen zu lassen. Pep Guardiola, der Vorgänger von Ancelotti als Trainer des FC Bayern, hat in Kimmich einen Innenverteidiger gesehen; wenige Monate später, bei der EM 2016, entdeckte Bundestrainer Joachim Löw in ihm einen Rechtsverteidiger. Auf dieser Position setzte Ancelotti in seinen letzten Wochen Kimmich ebenfalls ein, allerdings auf gar nicht mal so sanften Druck der Klubbosse - Kimmich wurde zum unumstrittenen Stammspieler, dem es sogar gelang, dass niemand Philipp Lahm vermisste. Am Donnerstagabend jedoch musste Ancelotti sogar feststellen, dass er Kimmich doppelt unterschätzt hat.

Was eine große Karriere auf der Sechs verzögern könnte? Kimmichs Flexibilität

Beim 0:0 gegen Frankreich überzeugte der 23-Jährige auf der Position, auf der Ancelotti am meisten an ihm auszusetzen hatte, obwohl es ja die Position war, auf der Kimmich ausgebildet worden ist. In der ersten Partie nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, in der Partie gegen den Weltmeister Frankreich, in der Partie, in der Löw zeigen musste, dass er die Signale erkannt hat, spielte Kimmich auf der an diesem Abend wichtigsten Position: auf der vor der Abwehr, auf der "Sechs".

Toni Kroos, dem unermüdlichen Ballverteiler, fehlte bei der WM eine Absicherung, auch das war einer der Gründe für das frühzeitige Ausscheiden. Sebastian Rudy machte es gegen Schweden ausgesprochen ordentlich, dann aber brach er sich die Nase. Sami Khedira dagegen, jahrelang der Boss auf der Position, war damit beschäftigt, sein eigener Boss zu bleiben, ihn hat Löw nun nicht mehr nominiert, auch Rudy nicht, da dieser vor seinem Wechsel zu Schalke beim FC Bayern kaum gespielt hatte.

Der einzige gelernte defensive Sechser im Kader, das war Kimmich - dass er auf seine Lieblingsposition zurückkehren würde, damit hatte er dennoch nicht gerechnet. Vor dem Training am Dienstagnachmittag habe ihm Löw mitgeteilt, "dass er überlegt, mit mir auf der Sechserposition zu spielen", erzählte Kimmich am Donnerstagabend. "Da konnte ich ein Grinsen nicht unterdrücken."

Erst ein Mal hatte Kimmich in seinen 31 vorherigen Länderspielen auf der Sechs gespielt, bei seinem Debüt gegen die Slowakei, eine Viertelstunde lang. Gegen Frankreich trat er sofort so auf, als ob er in sein altbekanntes Revier zurückgekehrt sei, obwohl er gerade mal drei Trainingseinheiten zur Eingewöhnung gehabt hatte. Über den Rasen bewegte er sich mit der natürlichen Autorität eines Spielers, der der übernächste oder gar nächste DFB-Kapitän werden könnte, er kommunizierte mit einer ruhigen, klaren Körpersprache.

Und in einer ohnehin auf die Defensive bedachten Mannschaft agierte Kimmich ausschließlich defensiv. Er sicherte Kroos ab, stellte neben und hinter ihm die Räume zu, brachte ihn in keine unangenehmen Situationen, indem er seine Bälle bedacht verteilte, meistens quer, manchmal zurück, ganz selten nach vorne. Dass er die beste Passquote (93,4 Prozent) aller Spieler aus der Startelf hatte, war daher wenig aussagekräftig - wohl aber, dass er die beste Zweikampfbilanz hatte (77,8 Prozent).

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Auch an Kimmich lag es, dass sich die schnellen Franzosen lange nicht weiter nach vorne trauten, zu groß erschien ihnen bei diesem Sechser die Gefahr, selbst in einen schnellen Konter zu geraten. "Er war sehr präsent, sehr zweikampfstark, sehr viel am Ball. Das war eine sehr gute Leistung", lobte Löw. Und er deutete an: "Das ist sicherlich eine gute Lösung." Er habe schon oft gesagt, wiederholte sich Kimmich selbst, dass er "da spiele, wo ich gebraucht werde", das war der diplomatische Teil. Der nicht ganz so diplomatische Teil zu seiner Zukunft auf der Sechs: "Von mir aus gerne öfter."

Wie die gesamte DFB-Elf, so hat auch Kimmich gegen Frankreich noch nicht all sein Vermögen gezeigt. Seine Stärken in der Mitte liegen eigentlich im offensiven Part, wenn er weite Wege gehen darf, wenn er ungewöhnliche Lösungen finden darf, wenn er auch mal im gegnerischen Strafraum auftauchen darf (wenn er also all das machen darf, was Ancelotti von ihm nicht sehen wollte). "Er hat wirklich alles für diese Position", warb Mats Hummels, der hinter Kimmich auch an Souveränität zurückgewann, "aber den kannst du ja gefühlt überall hinstellen - es kommt immer was dabei raus." Und genau das könnte eine große Karriere des Joshua Kimmich auf der Sechs zunächst einmal noch verzögern.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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