DFB-Elf:Löws Team hat plötzlich wieder Strom

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  • In der Nationalelf herrscht trotz des 1:2 in Frankreich wieder neuer Glaube an die eigene Stärke.
  • Joachim Löw scheint die richtigen Schlüsse aus der aktuellen Misere zu ziehen - er sorgt mit seinen Veränderungen im Team dafür, dass der Fußball der Elf wieder frischer wirkt.

Von Christof Kneer, Paris

Einmal hinschauen, zweimal hinschauen, doch, doch, es war schon Joachim Löw, der da in der Pressekonferenz auf dem Podium saß. Der doppelte Kontrollblick war wichtig an diesem Abend, tief drunten in den Katakomben des Stadions St. Denis, denn der Mann, der aussah wie Joachim Löw, hörte sich gar nicht an wie Joachim Löw. Er war heiser, eine lästige Erkältung, und dann noch dieser anstrengende Neuaufbau, bei dem man manchmal sogar was ins Spielfeld rein schreien muss: Okay, das war das eine. Das andere war, dass dieser löwartige Mensch da vorne gar keine Löw-Sachen sagte. Seine Spieler hätten "ihr Herz in die Hand genommen", sagte der Mensch, sie hätten "in 90 Minuten alle Körner rausgehauen". Und dann sagte er noch, sein Team sei "auf Augenhöhe gewesen mit der besten Mannschaft der Welt".

Tatsächlich hatte die deutsche Elf ein sehr neues Spiel abgeliefert in Paris, sie hatte etwas gezeigt, was man ihr gar nicht zugetraut hatte: Sie hatte leidenschaftlich verloren. Niederlagen wie dieses 1:2 beim Nations-League-Spiel in Frankreich kann Löws Team eigentlich gar nicht, jedenfalls kann man sich an kaum eine erinnern. Wenn diese Elf mal verloren hat, dann ist sie hinten raus irgendwie weggestorben, oft hat die Mannschaft hinter starke Turniere schwache Pointen gesetzt.

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Nicht selten war das letzte Spiel eines Turniers das dünnste, und immer hieß es dann: Eine hymnische Niederlage hätte die Nation wohl verziehen, einen ungestümen, romantischen Schlagabtausch vielleicht - aber halt nicht so was Runtergedimmtes wie das EM-Finale 2008, das WM-Halbfinale 2010, die EM-Halbfinals 2012 und 2016 und sowieso das komplett verdämmerte letzte Vorrundenspiel gegen Südkorea bei der jüngst erlittenen WM in Russland.

Die Dreierkette sorgt für Kompaktheit

Am Ende spielte Löws Team oft unplugged, umso auffälliger war, wie fest der Stecker in Paris in der Dose steckte. Löws Deutschland hatte wieder Strom. Und diese Erkenntnis überraschte offenbar selbst den Bundestrainer so sehr, dass er plötzlich solche Körner-raushau-Sachen sagte.

Joachim Löws Rhetorik kommt neuerdings von unten, vielleicht ist es auch das, was die Nation hören wollte. Löw geht nicht mehr wie selbstverständlich davon aus, dass er mit seinem Schwarzwald-tiki-taka den Rest der Welt schon an die Wand spielen wird, und wenn es mal nicht klappt, dann ist halt der Rest der Welt schuld. Löw hat Frankreich - "die beste Mannschaft der Welt" (s.o.) - als neuen Titelträger akzeptiert, und dementsprechend hatte er seinem eigenen Team an diesem Abend im St. Denis eine Art Außenseitertaktik verordnet. Mit einer Dreier-Abwehrkette (Matthias Ginter, Niklas Süle, Mats Hummels) und zwei davor postierten Zentralspielern (Joshua Kimmich/Toni Kroos) verdichtete er die Spielfeldmitte, und auf diesem Fundament ließ Löw vorne seine drei wilden Jungs tanzen (Leroy Sané, Serge Gnabry, Timo Werner).

"Übers Ergebnis sind wir enttäuscht", sagte Löw, "aber die Leistung der Mannschaft war großartig. Wir hätten auch gewinnen können, aber dem ein oder anderen hat heute halt noch die Reife gefehlt."

Das hätte man auch nicht gedacht, dass man Löw so was noch mal über sein Team sagen hört. Über ein Team, dessen Problem es noch bis vorgestern war, dass es womöglich zu überreif ist.

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Bisher war Löws "Ich habe begriffen"- Rhetorik vom Spätsommer nur bloße Behauptung gewesen, die viele Beobachter diesem in seinen Routinen und Kauzigkeiten eingefahrenen Trainer nicht mehr abnehmen wollten. In Paris hat es Löw nun immerhin geschafft, seine Mea-Culpa-Rede mit frischen Bildern zu unterlegen.

Im ersten Bild ist zum Beispiel Thomas Müller zu sehen, wie er sich draußen warm läuft, während drinnen Serge Gnabry stürmt. Löw hat sich überwunden und jene alten Seilschaften gelockert, die ihn mit seinen Weltmeistern verbinden. Nur mit jungen Spielern könne man nicht spielen, eine gesunde Mischung bleibe wichtig, darauf hat Löw später (zurecht) bestanden, aber das Paris-Spiel war doch das Signal, dass er bereit ist, seinen Kader zu vitalisieren.

Löws Team war jung wie selten, ein 23-Jähriger gab den Chef einer Abwehr (Süle), in der auch ein 24-Jähriger überzeugte (Ginter); ein anderer 23-Jähriger organisierte das defensive Mittelfeld (Kimmich); die rechte Seite verantwortete ein 22-Jähriger (Thilo Kehrer); und von den drei rasenden Buben vorne war Gnabry, 23, der Älteste.

Das zweite Bild zeigt den berühmtesten der rasenden Buben, Leroy Sané, an den sich der Bundestrainer inzwischen herantraut. Löws Weigerung, bei der WM auf den besten Newcomer der Premier League zu verzichten, war eine pädagogische Kapitulation und ein fatales Signal. Der Trainer hatte das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt, und so wussten Spieler wie Julian Draxler schon zwei Wochen vor dem ersten WM-Spiel, dass sie in der Startelf stehen würden. Sané bestätigte in Paris Urteile und Vorurteile gleichermaßen, er war manchmal schneller, als es seinem Spiel gut tut, aber er hielt Frankreichs Abwehr beständig unter Stress. Das Tempo - kostbarstes Gut im modernen Fußball - ist endlich auch in Löws Team angekommen.

Im dritten Bild steht eine Dreierkette gut gestaffelt in der Gegend herum, an ihren Rändern verstärkt durch die Außenverteidiger Kehrer und Nico Schulz. Vor der Dreierkette kann man die Spieler Kimmich und Kroos erkennen, und alle zusammen bilden eine kompakte Gruppe, durch die man nicht mehr so lässig durchmarschiert wie bei der WM, als Deutschlands Zentrum aus Spielern bestand, die entweder am falschen Ort rumrannten (Khedira) oder am richtigen Ort rumstanden (Kroos).

Löw dürfte gemerkt haben, dass er mit diesen drei neuen Trends (Verjüngung, Leistungsprinzip und taktische Variabilität) vor allem sich selbst einen Gefallen tut. Er bringt nicht nur die öffentliche Meinung wieder auf seine Seite, er schafft sich auch als Trainer mehr Optionen.

Ob er die Paris-Elf nicht schon am Samstag zuvor in Holland hätte bringen sollen, wurde er noch gefragt. Löw ist gerade auf dem Demutstrip, aber diese Frage war ihm doch zu viel. Er mache die Formation für jedes Spiel neu und stets aus Überzeugung, sagte er, und in seiner Trainerkarriere seien "bestimmt mehr richtige als falsche Aufstellungen" dabei gewesen. Ein bisschen vom alten Löw, fand er wohl, müsse schon noch erlaubt sein, und er klang auch plötzlich überhaupt nicht mehr heiser.

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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