UU, riefen reihum die Leute im Stadion, während die Spieler am Mittelkreis die Arme hoben und in die Hände klatschten, KRAAA - II - NAA, setzen die Fans die rhythmische Beschwörung fort. Die einzelnen Silben des kraftvoll vorgetragenen Schlachtrufs hallten durch das Stadion in Leverkusen wie ein Echo im Gebirge.
Dieser Moment des stolzen Rituals und der demonstrativen Gemeinsamkeit von Fußballern und Fans war eigentlich ein Moment, in dem die ukrainischen Spieler mit hängenden Schultern und traurigen Mienen einen letzten Gruß in die Runde hätten winken müssen, denn sie hatten das Spiel nicht gewonnen und ihr Ziel nicht erreicht. 0:0 hieß es nach 90 plus fünf Minuten in der Arena in Leverkusen, wo sich die Ukraine und Italien zum Endspiel in Gruppe C begegnet waren. Die Italiener haben durch das Remis die Zulassung zur EM erreicht, ihre Gegner bekommen in den Playoffs im März noch eine Chance.
Doch für die Ukrainer galten nicht die üblichen Kriterien eines Fußballspiels. Die Partie, wegen des Krieges mit der Unterstützung von Bundesligist Bayer 04 nach Leverkusen verlegt, war zuallererst eine Feier des Zusammenhalts, das Resultat blieb, trotz der sportlichen Wichtigkeit, zweitrangig. Die Italiener besaßen das Taktgefühl, sich als Gewinner des Abends an den Rand zu stellen. Es gab keine exaltierten Jubelszenen auf dem Rasen, keine lauten Gesänge, kein Zelebrieren des Triumphs. Die Spieler freuten sich, aber sie taten es diskret. Viele suchten die Nähe zu den ukrainischen Kollegen, um sie zu umarmen. Inter Mailands Nicolò Barella ließ keinen aus, den er zu fassen bekam, auch nicht die ukrainischen Betreuer.
Schon vor der Partie zeigten die Anhänger und Fußballer der Squadra Azzurra ihre Anteilnahme, indem sie während der ukrainischen Nationalhymne applaudierten. "Die italienischen Zuschauer und Spieler haben uns Respekt gezeigt, das war sehr emotional", sagte der ukrainische Trainer Sergej Rebrow, 49, und lobte die "friedliche Atmosphäre" im Stadion und die Gastfreundschaft, die man in Leverkusen erfahren habe.
"Wir müssen dem Schiedsrichter und dem VAR danken", schreibt eine italienische Zeitung
Dabei bot die Begegnung kurz vor dem Anbruch der Nachspielzeit noch die beste Gelegenheit zu Aufregung und Entzweiung. Die Ukrainer waren mit geduldigem Pass-Spiel in den Strafraum gelangt, der schnelle Linksaußen Mykhailo Mudryk war einen Moment schneller am Ball als Bryan Cristante, und es gab genau jenen "Kontakt", den die TV-Kommentatoren immer heranziehen, wenn sie sagen: Okay, diesen Elfmeter kann man geben. Doch der spanische Schiedsrichter Jesus Gil Manzano gab ihn nicht, und der Videoassistent legte offenbar keinen Protest ein. Mudryk blieb liegen, das Spiel lief weiter.
In aller Ruhe besehen, lässt sich über die Szene streiten. Cristante kam definitiv einen Augenblick zu spät, aber Mudryk fliegt in der Ahnung einer Berührung so schwungvoll davon, dass er sich damit möglicherweise selbst diskreditierte. Manzano hatte das Spiel souverän geleitet und manche Härte laufen lassen. "Wir müssen dem Schiedsrichter und dem VAR danken", meinte die Gazzetta dello Sport und mutmaßte, in Italien hätten die Diskussionen ewig gedauert, wären die Rollen vertauscht gewesen.

Sergej Rebrow, einst Sturmpartner des großen Andrij Schewtschenko - am Montagabend Augenzeuge in Leverkusen -, machte kein großes Aufheben um den entgangenen Schuss ins Glück. "Aus meiner Sicht war es ein Elfmeter", bemerkte er in beinahe gleichgültiger Manier, "aber sie haben es ja geprüft, deshalb war es wohl nur mein Gefühl". Lieber sprach er über die Zufriedenheit, dass sein Team "den Charakter der Ukraine" gezeigt habe. "Der Krieg geht weiter, es ist nicht leicht, in dieser Atmosphäre zu arbeiten. Die Spieler denken an zu Hause, sie haben das Telefon im Blick, sie hören die Nachrichten, so wie ich auch." Das Spiel blieb eng bis zum Ende, die Ukrainer trotzten einem Gegner mit überlegenem Spielvermögen. Deshalb wollte sich Rebrow weder über einen verweigerten Elfmeter noch über das fruchtlose Unentschieden beklagen.
Unter Luciano Spalletti spielt Italien beherzt offensiv
Dieses 0:0 klingt nach einer typisch italienischen Erfolgsgeschichte, es bedient exakt ihre Bedürfnisse, mehr als diesen Punkt brauchten sie nicht. Dennoch war es kein nach dem alten Brauch des Calcio Cinico erstrittenes Minimalresultat. Die Mannschaft des neuen Trainers Luciano Spalletti hatte beherzt und mutig gespielt und ihr Glück die meiste Zeit in der Offensive gesucht - allen voran der draufgängerische Linksaußen Federico Chiesa. Erst als er eine Viertelstunde vor Schluss ermüdet vom Feld ging, entdeckten die Azzurri den Faktor Zeit. Die Ausführung von Einwürfen dauerte jetzt etwas länger, Auswechslungen zogen sich hin, doch es blieb eine harmlose Sabotage - José Mourinho, der Meister des Zeitspielmanagements, wäre wütend geworden, wie schnell der Ball wieder im Spiel war. Nur Torwart Gianluigi Donnarumma tat sich als Minutendieb hervor, wenn er den Ball aus dem Aus hervorholte, um ihn gleich wieder wegzukicken.
Jetzt könne seine eigentliche Arbeit beginnen, sagte ein sehr erleichterter Spalletti. Für den Job als Nationaltrainer hatte der 64 Jahre alte Meistercoach der SSC Neapel sein Sabbatical abgebrochen, aber der Anfang gestaltete sich schwierig ("alle hatten Angst davor, dass es wieder schiefgehen könnte"). In den letzten Spielminuten hatte Spalletti seine enorme Aufregung nicht verbergen können. Aber seine Elf hielt stand, der aktuelle Europameister wird im nächsten Sommer in Deutschland zur Titelverteidigung antreten.