Italien im Confed-Cup-Halbfinale:Notfalls auf Krücken gegen den Weltmeister

Lesezeit: 3 min

Italiens wichtigster Mann: Andrea Pirlo. (Foto: Getty Images)

Razzia in der Serie A, schon acht Gegentore, nun ist auch noch Mario Balotelli verletzt: Italien hat vor dem Confed-Cup-Halbfinale gegen Weltmeister Spanien seine Lieblingsrolle zurückerlangt - die als Außenseiter.

Von Birgit Schönau, Rom

"Spanien mag stärker sein", sagt in Brasilien der Mittelfeldspieler Claudio Marchisio: "Aber das heißt ja nicht, dass wir schon verloren haben. Außerdem hoffen wir, dass sie sich verausgabt haben . . ." Italien, wie es stichelt und feixt. Kaum ist zu Hause der Bunga-Bunga-Präsident Berlusconi von einem strengen Frauentribunal zu sieben Jahren Haft vergattert worden, da verbreitet sich die Kunde von fröhlichen Partys im brasilianischen Trainingshotel der Spanier, mit, wie die Gazzetta genüsslich mutmaßt "Mädchen, die nicht wie Klosterschülerinnen aussahen". Die hilflos anmutende Entrüstung der spanischen Saubermänner ("Wir sind super-ehrlich") löst in Italien statt Solidarität nur puren Sarkasmus aus.

"Wenn man Catenaccio nie geübt hat, kann es ganz schön schwierig werden", höhnt der Corriere della Sera - doch bei aller Schadenfreude darüber, dass endlich mal die anderen einen Skandal pflegen, geht unter, dass Italien selbst ein kleines Problem mit dem Catenaccio hat: Sie haben die alten Abwehrstrategien wahrlich lange genug geübt, aber sie spielen nicht mehr danach. Modern sollen seine Verteidiger sein, verlangt Commissario Tecnico Cesare Prandelli. Nach vorn sollen sie rennen, das Spiel konstruieren, von wegen hinten mauern, das will keiner mehr sehen.

Das Ergebnis sind bisher acht Gegentore, und wenn Prandelli tapfer behauptet: "Vier davon waren ungültig", so gemahnt zumindest diese persönliche Statistik an gute, alte Zeiten. War doch die Fußballmathematik in Italien seit jeher eine Meinungswissenschaft mit vielen Wahrheiten, aber damals stand wenigstens noch die Hintermannschaft da, wo sie hingehörte. Das neue Italien zeigt auch in Brasilien streckenweise sehr unterhaltsamen Fußball - wie gegen Japan -, neigt aber andererseits auch dazu, mit fliegenden Fahnen unterzugehen - wie gegen Brasilien.

Confed Cup
:Paulinho köpft Brasilien ins Finale

Brasilien steht nach einem harterkämpften 2:1 im Finale des Confed Cups. Dort treffen die Gastgeber am Sonntag auf Weltmeister Spanien oder Italien. Während im Stadion gefeiert wird, gehen die Massenproteste in dem Land weiter.

Damit sich zumindest Letzteres gegen Spanien nicht wiederholt, muss Prandelli gleich zwei Probleme lösen. Die verwirrte Abwehr sucht er zu stärken, indem er das Dreiermodell des Kollegen Antonio Conte von Juventus Turin übernimmt - mit dem Juve-Block Barzagli, Bonucci, Chiellini, und natürlich mit Buffon im Tor. Im Mittelfeld soll der gegen Brasilien verletzte Andrea Pirlo wieder das Kommando übernehmen, notfalls auf Krücken. Denn weiter vorn fällt ausgerechnet jener Mann aus, den die Spanier als einzigen wirklich fürchteten: Mario Balotelli.

Italiens bester Angreifer musste wegen einer Muskelverletzung abreisen, und selbst wenn sein Kollege Marchisio nun tapfer behauptet: "Wir fühlen uns nicht verwaist", so reißt Balotellis Ausfall doch eine Riesenlücke in Prandellis Team. Der Trainer wird ihn vermutlich durch Alberto Gilardino ersetzen, einen von der alten Garde, der tatsächlich mit sehr viel gutem Willen und noch mehr Unterstützung auch alle hundert Jahre mal trifft.

Gilardino, 31, war im Weltmeisterteam von 2006, zurzeit ist vom CFC Genua an den FC Bologna ausgeliehen, was vermutlich fast ebenso viel über ihn aussagt wie Prandellis Lob: "Sehr mannschaftstauglich." Also das Gegenteil von genial. Andererseits droht hinter Balotelli das blanke Nichts. In drei Jahren als Nationaltrainer hat Prandelli 22 Angreifer ausprobiert, manche erwiesen sich als Eintagsfliegen, andere kamen noch nicht einmal zum Einsatz, wieder andere wurden voreilig zu Rettern des Vaterlandes hochgelobt. Wie Stephan El Shaarawy, auf den die Azzurri jetzt auch zurückgreifen könnten. Der allerdings nicht ganz so mannschaftstauglich ist wie Gilardino.

Aber vielleicht sind die Spanier ja wirklich müde. Nicht, dass Italien ernsthaft auf eine Revanche für die 0:4-Klatsche im EM-Finale lauern würde, Selbstüberschätzung war selten eine Sekundärtugend der Azzurri. Sie starten lieber als Außenseiter denn als Favoriten, selbst die Razzia der Finanzpolizei am Dienstag bei 18 Serie-A-Klubs wird deshalb als gutes Vorzeichen gewertet. Marchisio: "Die Nationalmannschaft ist daran gewöhnt, dass zu Hause viel passiert, während wir auf einem Turnier sind. Hoffentlich bringt es uns auch diesmal Glück."

Damit seine Azzurri erst gar nicht auf Abwege kommen, hat Prandelli ihnen vorsorglich ein prall gefülltes Freizeitprogramm verpasst. Zweimal führte der Trainer alle zum Abendessen aus, es gab Grillfleisch, was zwar nicht zur sonst so strengen Diät der Squadra passte, aber für eine exzellente Stimmung gesorgt haben soll. Diese war schon auf dem Tiefpunkt, nachdem der brasilianische Zoll die Einfuhr der mitgebrachten Parmaschinken und Parmesan-Käse gestoppt hatte.

Bei seiner Gruppentherapie setzt Prandelli auf Optimismus. Sicher, das 0:4 ist noch nicht verdaut. Aber davor gab es ja noch das 1:1 in der EM-Gruppenphase. Und den italienischen 2:1-Sieg in einem Testspiel vor zwei Jahren. Und überhaupt: Was ist schon der Confed Cup? "Coppa del Nonno" heißt er im Land des viermaligen Weltmeisters. Ein Großväterchen-Pokal.

Außer natürlich, wenn man ihn wider Erwarten gewinnt.

© SZ vom 27.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: