Interview mit Felix Magath:"Ich habe immer Angst"

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Felix Magath, Trainer des VfL Wolfsburg, spricht über Selbstzweifel, den schnellen Wechsel vom FC Schalke zurück nach Wolfsburg, ein besetztes Haus und die bevorstehende Entscheidung im Abstiegskampf.

Boris Herrmann

SZ: Herr Magath, wissen Sie schon, mit welchem letzten Satz Sie Ihre Mannschaft am Samstag in dieses vielleicht existenziell wichtige Spiel in Hoffenheim schicken werden?

Felix Magath, schimpfend auf der Wolfsburger Bank.  (Foto: Bongarts/Getty Images)

Magath: Nö. Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber die Situation ist ja deutlich klarer als letzten Samstag. Deshalb denke ich mir, dass der letzte Satz nicht so entscheidend sein wird.

SZ: Halten Sie Ihre Kabinenansprachen intuitiv oder machen Sie sich vorher einen Spickzettel?

Magath: Ich würde mir da niemals vorher eine Rede konzipieren. Das kommt dann eben, wie es kommt.

SZ: Beim VfL Wolfsburg könnte man seit einem halben Jahr in der Kabine sagen: Jetzt geht es um alles! Das ist das wichtigste Spiel des Jahres! Wie kann man da als Trainer dramaturgisch jeweils noch einen draufsetzen?

Magath: Indem man das von Anfang an eben nicht sagt. Diese Diktion vom wichtigsten Spiel benutze ich nicht. Ich will meine Spieler zu Profis erziehen. Und professionell würde für mich heißen: Ich gehe jedes Spiel gleich an. Ich will gewinnen - egal, gegen wen es geht, egal, um was es geht. Ich mache mich nicht abhängig von der aktuellen Lage.

SZ: Wenn es schlecht läuft, könnte Wolfsburg selbst mit einem Unentschieden in Hoffenheim direkt absteigen. Würde diese Situation nicht mal ausnahmsweise den Satz rechtfertigen: Das ist jetzt das wichtigste Spiel?

Magath: Noch nicht einmal diese Konstellation rechtfertigt das. Theoretisch könnte es ja sein, dass wir danach noch zwei Relegationsspiele haben. Und dann könnte das letzte davon noch wichtiger sein als dieses jetzt. Wir sind im Übrigen in der guten Situation, dass wir selbst bei einer Niederlage die Chance hätten, uns für die Bundesliga zu qualifizieren - falls Eintracht Frankfurt auch verlieren würde. Ich will nicht sagen, unsere Situation sei entspannt. Aber es wäre auch falsch, zu sagen, wenn wir dieses Spiel nicht gewinnen, bricht alles zusammen.

SZ: Kennen Sie so etwas wie Angst denn gar nicht?

Magath: Selbstverständlich kenne ich das. Ich habe immer Angst.

SZ: Wovor?

Magath: Zum Beispiel, zu wenig zu trainieren.

SZ: Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Man staunt allerdings über Ihre beneidenswerte Seelenruhe.

Magath: Ich dramatisiere die Situation eben nicht. Ich versuche, sie objektiv zu betrachten. Das habe ich mir über Jahrzehnte angeeignet. So war ich natürlich auch nicht immer. Ich hatte als Spieler aber das Glück, mit Branko Zebec einen Trainer zu haben, der uns professionelles Verhalten eingebläut hat. Das habe ich mir bewahrt. Und ich glaube, mein Vorteil gegenüber anderen ist, dass ich weiß, dass man dadurch im bezahlten Fußball ganz nach oben kommt.

SZ: Jetzt geht es aber erst einmal darum, ob die Reise nach unten geht. Objektiv betrachtet ist ein Trainer Magath in der zweiten Liga nur schwer vorstellbar.

Magath: Ach, ich war schon mit Nürnberg in der zweiten Liga erfolgreich. Ich habe als Trainer in der Verbandsliga begonnen und in der Regionalliga die HSV-Amateure betreut. Keine Sorge, ich bin auch fit für die zweite Liga.

SZ: Haben Sie sich das bei Ihrer Rückkehr hier so schwierig vorgestellt?

Magath: Ich hatte zumindest die Hoffnung, dass es anders kommt. Mein Schlüsselerlebnis war das Gegentor zum 1:1 in Stuttgart - 94. Minute. Da spürte ich spontan auf der Bank: Dieses Tor wird uns bis zum Saisonende begleiten.

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SZ: Was ist an dieser Mannschaft anders als vor zwei Jahren, als sie die gesamte Konkurrenz vorführte?

Magath: Es ist gar keine Mannschaft. Das kann ich seit der Heimniederlage vom vergangenen Samstag gegen Kaiserslautern sagen. Wir hatten ja den richtigen Weg gefunden. Nach den Siegen gegen Köln und Bremen war für mich klar, die Mannschaft hat verstanden, sie ist über den Berg. Das war ein Trugschluss.

SZ: Diego Benaglio beispielsweise war im Meisterjahr einer der besten Torhüter der Liga. Wenn man ihn jetzt sieht, ist es schwer vorstellbar, dass das noch derselbe Spieler ist. Wie ist so etwas möglich?

Magath: Das kann ich auch nicht erklären. Ich weiß nicht, wie er seine Form zwischenzeitlich derart verlieren konnte. Sie kommen mit Ihrer Frage aber gerade im richtigen Moment. Ich habe vorhin zu ihm im Training gesagt: Was ist denn mit dir los? Du bist ja wieder der Alte!

SZ: Woran haben Sie das erkannt?

Magath: An seinem Auftreten. Er ist wieder laut, dirigiert wieder von hinten, ist präsent. Er stellt sich ganz anders dar.

SZ: Und das ist einfach so passiert?

Magath: Ja.

SZ: Wie viele Spieler haben sich über Ihre Rückkehr gefreut? Und wie viele haben gezittert?

Magath: Ich habe da nicht nachgefragt. Ich bin bereit, mit allen zu arbeiten. Ich habe auch versucht, ihnen zu erklären, dass sie den Verein erst in die Situation gebracht haben, mich zu holen. Und sie das jetzt eben auch, nun ja ...

SZ: ... ausbaden müssen?

Magath: Wenn man so will, ja. Es ist doch mittlerweile übel in unserer Gesellschaft, dass die Dinge immer verdreht werden, wie man es gerade braucht. Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass ich hier bin! Zumal ich mich in Gelsenkirchen ja nicht selbst entlassen habe. Man wollte mich da nicht mehr. Ich war darauf eingestellt, ins Ausland zu gehen, meinetwegen Cambridge oder Venedig zu trainieren, aber nicht den VfL Wolfsburg. Und von daher hätte ich kein Verständnis, wenn sich jetzt Spieler beschweren würden, dass ich nicht so der Richtige wäre. Bei mir hat sich noch keiner gemeldet, wobei das durchaus ins Bild passen würde, weil wir die Spieler im Fußballsport, oder besser gesagt im Fußballgeschäft dazu erziehen, dass sie immer glauben, sie könnten nichts dafür. Schuld hat immer der Trainer. Vor allem, wenn es schlecht läuft.

SZ: Sie sagten, Sie hätten bei Ihrer Rückkehr zerstörte Strukturen vorgefunden. Was meinen Sie damit konkret?

Magath: Ich habe immer mal wieder den Vorwurf gehört, dass ich hier alles im Stich gelassen hätte. Richtig ist, dass ich eine der jüngsten Mannschaften der Liga zurückgelassen habe, die nicht nur Meister geworden ist. Sie hat auch attraktiven Fußball gespielt. Und wenn man dann anfängt, ohne Not ein solch erfolgreiches Gefüge zu verändern, dann muss man schon ziemlich gut sein, um etwas Besseres daraus zu machen.

SZ: Bei Dieter Hoeneß, Ihrem Nachfolger und Vorgänger auf dem Manager-Posten, klang der Vorwurf durch, Sie hätten ausgebranntes Personal hinterlassen.

Magath: Ich kenne diesen Vorwurf nicht, aber das würde mich schon sehr wundern. Da müssen Sie mal einen Physiologen fragen, ob das tatsächlich möglich ist, dass ein 23-jähriger Mann über Monate ausgebrannt sein kann. Wir haben das letzte Spiel in der Meistersaison 5:1 gewonnen. Das spricht nicht unbedingt für eine ausgebrannte Mannschaft.

SZ: Hoeneß zog später in das Haus ein, das Sie in Ihrer ersten Wolfsburger Zeit gekauft haben. Hat er es inzwischen wieder freigeräumt?

Magath: Nein, das hat er noch nicht geschafft. Ich bin noch im Hotel.

SZ: Das könnte man als süße Rache interpretieren.

Magath: Als ich nach Gelsenkirchen gegangen bin, hat sich zunächst mein direkter Nachfolger Armin Veh entschieden, in das Haus zu gehen. Ich habe damals sofort meine Möbel zwischengelagert. Ich fand das selbstverständlich.

SZ: Muss ja ein sehr schönes Haus sein, wenn da immer alle VfL-Manager einziehen wollen.

Magath: Meine Frau hat das damals wunderbar umgebaut. Und ich würde eigentlich auch gerne dorthin zurück.

SZ: VW-Boss Martin Winterkorn hat angesichts der Krise Konsequenzen angekündigt. Ihre Rückkehr sei die erste Konsequenz gewesen. Was kommt noch?

Magath: Die Spieler haben gerade ihre Urlaubstermine bekommen. Falls wir im nächsten Jahr in der zweiten Liga spielen, hat das die Konsequenz, dass sie mit 14 Tagen Urlaub auskommen müssen.

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SZ: Müssen denn im Ernstfall tatsächlich Spieler auch wie Diego oder Arne Friedrich mit in die zweite Liga?

Magath: Das ist die nächste Konsequenz. Der Verein hat bei jedem Stammspieler die Möglichkeit, eine Option für die zweite Liga zu ziehen. Das entsprechende Schriftstück hat in dieser Woche jeden Spieler erreicht.

SZ: Falls es soweit käme, wäre Hertha BSC aber nicht lange die teuerste Mannschaft der zweiten Liga gewesen.

Magath: Hertha war ein billiger Jakob.

SZ: Wäre es denn auch denkbar, einen Ihrer ehemaligen Lieblingsspieler wie Zvjezdan Misimovic oder Edin Dzeko zurück zu holen?

Magath: Denkbar ist alles. Ich tue immer das, was für den Verein am besten ist. Das kann auch sein, dass man einen Spieler zurückholt, mit dem man einmal erfolgreich zusammengearbeitet hat.

SZ: Kann man Ihre Rückkehr nach Wolfsburg als die Pointe eines absurden Trainerwechsel-Reigens bezeichnen?

Magath: Es war ein Paukenschlag.

SZ: Haben Sie zumindest mal kurz darüber nachgedacht, dass dieser Schlag vielleicht auch zu heftig sein könnte?

Magath: Zu keiner Zeit. Ich wäre nicht traurig gewesen, wenn ich ein paar Tage die Füße hätte hochlegen und die Entwicklung meiner Kinder näher betrachten können. Als mir jedoch die Möglichkeit Wolfsburg am Telefon offeriert wurde, gab es für mich keine Überlegung. Ich kannte den Verein ja gut. Und ich behaupte, dass das meine letzte Trainerstation in der Bundesliga sein wird.

SZ: Was macht Sie da so sicher? Diese Saison lehrt doch gerade, dass heute Dinge passieren können, die sich gestern noch niemand vorstellen konnte.

Magath: Ich habe in meiner Trainerlaufbahn immer einen Verein gesucht, der eine stabile Führung besitzt, die dasselbe Interesse hat wie ich. Da habe ich bis heute nur den Professor Doktor Martin Winterkorn und den VfL Wolfsburg gefunden. Alle anderen Vereinsführungen waren nicht mit mir auf einer Linie.

SZ: Jenseits von Cambridge und Venedig gäbe es im Ausland ja noch ein paar andere Möglichkeiten. Haben Sie ein Angebot von Dynamo Moskau oder nicht?

Magath: Die waren wohl interessiert, mit mir zusammenzuarbeiten, falls ich mal frei wäre. Moskau hatte schon im Februar Kontakt zu mir gesucht. Aber das hatte sich dann schnell erledigt.

SZ: Wieso?

Magath: Weil ich hier bin und mich an den VfL gebunden habe, sowohl für die erste als auch für die zweite Liga. Nachdem, was mir aus Moskau zugetragen wird, könnte ich immer noch sagen, die zweite Liga ist doch nicht mein Ding - und ich würde dort ein Plätzchen finden. Aber das ist bei mir keine Überlegung.

SZ: Wie kamen Sie auf die Idee, sich im Fall des Wolfsburger Klassenerhalts einen Bentley zusichern zu lassen?

Magath: Ich habe mir nie eine Nichtabstiegsprämie in einen Vertrag schreiben lassen. Der Klassenerhalt ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Andererseits war ich nicht abgeneigt, eine Anerkennung für meine Arbeit entgegenzunehmen. Ich bin eigentlich kein Autonarr. Aber einen Bentley habe ich vor zwei, drei Jahren mal gefahren, und das hat mich berührt. Im Übrigen ist auch das eine Konsequenz der Situation: Der Bentley wird verzaubert in sechs Kleinbusse, die wohltätige Stiftungen bekommen.

SZ: Wie kommen Sie dann nach dem Spiel in Hoffenheim zurück nach Hause?

Magath: Mit der Bahn. Gemeinsam mit den Fans.

SZ: Das könnte im Fall einer Niederlage eine unangenehme Fahrt werden.

Magath: Ich fahre mit dem Zug, wenn wir die Klasse halten.

© SZ vom 14.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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