Italien in der WM-Qualifikation:"Do you remember Wembley?"

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Roberto Mancini und seine Italiener müssen Nordmazedonien schlagen, um noch eine Chance auf die WM zu haben. (Foto: Gregorio Borgia/AP)

Europameister Italien bangt vor dem Playoff gegen Nordmazedonien um die Teilnahme an der WM in Katar - und beschwört den Geist eines Sommers . Fehlt die Squadra Azzurra, wäre das schon das zweite Mal hintereinander.

Von Oliver Meiler, Rom

In der kollektiven Selbsthypnose soll eine Menge Kraft liegen. Und so reden sich die Italiener vor dem Playoff, das sie nun vielleicht doch noch zur WM in Katar führen wird, ein dass die ganze Fußballwelt für sie mitfiebert. Global. Denn, so schreibt die Gazzetta dello Sport: Was verlöre die WM doch ohne die Azzurri - immerhin viermaliger Titelhalter und amtierender Europameister - "an Prestige, an Palmares, an finanziellen Einnahmen?" Zum zweiten Mal hintereinander dann noch, denn Italien fehlte ja bereits bei der WM 2018, schon damals aus eigenem Unvermögen.

Ganz so sicher ist den Italienern dieser herbeigeredete tifo der ganzen Welt allerdings nicht: Bei solchen Turnieren steht sich ja jedes Land zuerst selbst am nächsten, das liegt ein bisschen in der Natur der Sache. Selbsthypnose kippt eben auch mal in Selbsttäuschung.

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Zunächst, im Halbfinale dieser Barrage, geht es für Italien nun am Donnerstagabend (20.45 Uhr) gegen Nordmazedonien. Übersteht man diese Hürde, von der etwa Ex-Trainer Arrigo Sacchi sagt, sie sei "sehr dürftig hoch", dann stünde anschließend entweder Portugal oder die Türkei an, die das andere Halbfinale der Gruppe austragen. Das Endspiel wäre dann auswärts.

Für das Heimspiel gegen Nordmazedonien hat man sich für das "Barbera" entschieden, das Stadion von Palermo. Das hat schon oft Glück gebracht: Von 15 Länderspielen, die Italien dort bestritt, gewann man 13, nur ein einziges verlor man - gegen Kroatien, 1994. Die Arena wird voll sein, 33 000. Die Regierung hat den Wunsch des Fußballverbands erhört und die pandemiebedingte Begrenzung auf 75 Prozent der Kapazität aufgehoben. Erwartet werden Fans aus allen Ecken Siziliens. Die Tickets waren schnell weg, und das ist auch kein Wunder, denn auf der Insel bekommen sie nur noch sehr selten großen Fußball geboten: Palermo, Catania, Messina - alle spielen inzwischen in der Serie C, dritte Liga.

Die Betonmischer fehlen, dafür spielen nun zwei Brasilianer mit

Nationaltrainer Roberto Mancini, Held unter Helden im EM-Sommer 2021, ist schon von Berufes halber fest überzeugt, dass sich Italien qualifizieren werde für Katar, er geht aber gleich noch ein bisschen weiter: "Und wir werden den WM-Titel gewinnen." Sein Team hat er nur leicht verändert. Um einige Absenzen und Schwächen zu kompensieren, bietet er auch zwei Brasilianer mit mehr oder weniger italienischen Ursprüngen auf: João Pedro, Stürmer von Cagliari, wurde schnell eingebürgert und dem Routinier Mario Balotelli vorgezogen; Luiz Felipe, Verteidiger von Lazio Rom, ist in der Jugend für Brasilien angetreten, besaß aber bereits beide Pässe.

Ob sie in Palermo spielen werden, ist nicht so klar. In der Innenverteidigung fehlen wohl beide "Senatoren", die Betonmischer von Juventus Turin: Leonardo Bonucci, 34, erholt sich nur langsam von einer Verletzung, und Kapitän Giorgio Chiellini, 37, trainiert zwar wieder normal mit, schont sich aber für ein mögliches Finale nächsten Dienstag. An ihrer Stelle werden wohl Alessandro Bastoni von Inter Mailand und Gianluca Mancini von AS Rom gegen Nordmazedonien auflaufen.

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Hinter ihnen: Torwart Gianluigi Donnarumma, ein junger Mann mit viel Zukunft in Beinen und Händen - und einer Zentnerlast auf den Schultern. "Gigio" macht gerade eine schwere Zeit durch. In Paris, wo ihn das Geld hingezogen hatte, ist er nicht erst seit seinem spielbrechenden Patzer in der Champions League, der das 1:3 gegen Real Madrid verursachte, umstritten. Bei PSG haben sie den Neapolitaner Donnarumma, den großen Penaltykiller im EM-Finale gegen England, gar nicht erst in ihr Herz aufgenommen - nicht einmal in der Umkleide. Die vielen Südamerikaner im Pariser Starensemble halten lieber zum anderen Torwart, Keylor Navas aus Costa Rica. Donnarumma reiste also nun mit Freude zur Nazionale, für etwas Wärme.

Ciro - und die ewige Frage nach der Übertragbarkeit der Klasse

Doch wieder schaut alles auf den Sturm des Europameisters, die eigentliche Problemzone der Italiener. Es ist ein ewiges Mysterium: Ciro Immobile, 32 Jahre alt, Mittelstürmer von Lazio, reiht eine tolle Klub-Saison an die andere. 144 Meisterschaftstore erzielte er in den vergangenen fünfeinhalb Jahren - in Europas großen Ligen trafen in dieser Zeit nur Leo Messi und Robert Lewandowski noch öfter. Cristiano Ronaldo? Gleichauf mit Ciro! Auch in der aktuellen Meisterschaft wieder: 21 Tore, "Capocannoniere". Immobile ist Weltklasse im Verein, aber leider oft nur Kreisklasse in der Nationalmannschaft. In 54 Länderspielen gelangen ihm 15 Tore, das ist eine dürftige Quote. Doch Mancini hält an ihm fest, aller Kritik zum Trotz. Fehlt Chiellini, wird Immobile sogar Kapitän.

Normalerweise machte ihm jeweils sein guter Freund Andrea Belotti (FC Turin) den Platz im Sturmzentrum streitig. Diesmal sind es andere, einer vor allem: Gianluca Scamacca ist 23 Jahre alt, 1,93 Meter groß, Römer im Dienst von Sassuolo Calcio, ein drahtiger, üppig tätowierter Mann mit viel technischem Können und einem erstaunlichen Aufstiegspotenzial. Alle großen Vereine im Land reißen sich um Scamacca, im Sommer wird er wechseln. Palermo könnte eine ideale Bühne sein, um den Preis nochmal ein bisschen in die Höhe zu treiben, ein Katapult. Manchmal braucht es ja nur ein paar Minuten dafür.

"Do you remember Wembley?", titelt die Zeitung La Stampa, und spricht damit vor allem die an, die damals in London dabei waren - für eine zeitgerechte Beflügelung der zuletzt etwas lahm gewordenen Europameister.

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