Hamburger SV:Im schwarzen Loch

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Bedient: Der HSV-Kapitän Sebastian Schonlau. (Foto: Kalle Meincke/Imago)

Der HSV verliert zu Hause 1:2 gegen Paderborn - und droht zum vierten Mal die Rückkehr in die erste Liga zu verpassen. Trainer Tim Walter wirbt immer noch um Geduld.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Wenige Hundert Meter vom Volksparkstadion steht sie noch, die Kneipe "UnabsteigBar". Eine Institution für Fans des Hamburger SV, die wegen der Mischung aus geselliger Atmosphäre und rauem Ambiente kommen, aber auch für ein selbstironisches Statement und die Erinnerung an bessere Zeiten.

Als der HSV dann zum ersten Mal in seiner Geschichte abstieg, da wurde kurz debattiert, ob der beliebte Treffpunkt nicht "WiederaufsteigBar" heißen müsse, für eine Saison zumindest. Und nun, fast vier Jahre später? Zumindest für Spaßbremsen und Pedanten dürfte eine Umbenennung seit Samstag nun unausweichlich sein, denn durch eine 1:2-Heimniederlage gegen den SC Paderborn scheint sich eine besorgniserregende Tendenz zu verfestigen: Der HSV, der frühere Meister und Europapokalsieger, ist offenkundig "unaufsteigBar" geworden.

Rechnerisch ist die Rückkehr in die Erstklassigkeit noch möglich, doch solche Überlegungen sind jetzt eher was für Professoren der angewandten Mathematik. An ein Hamburger Comeback im Aufstiegsrennen glaubt niemand mehr. Wie auch? Die Zahlen sind verheerend, der Traditionsklub ist wieder einmal pünktlich zur Crunchtime auf Tauchstation gegangen: Seit fünf Partien sieglos, darunter drei Niederlagen, die direkten Aufstiegsränge könnten nach dem Spieltag elf Punkte entfernt sein - und es ist nicht unbedingt das beste Omen, dass der HSV im April noch nie ein Zweitligaspiel gewinnen konnte.

Der HSV hatte nach dem Gegentreffer Zeit zum Aufbäumen - es geschah aber nichts

"Es tut schon sehr weh heute", sagte der Hamburger Stürmer Robert Glatzel, der einen Elfmeter zum möglichen Ausgleich verschoss. Verdient wäre das nicht gewesen, denn die Heimelf wirkte gehemmt, kraftlos, lethargisch. Nach nicht einmal einer Minute lagen die Hamburger bereits zurück, durch einen Kunstschuss des Paderborner Stürmers Dennis Srbeny, der aus 40 Metern den weit aufgerückten HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes düpierte. Es wäre also genug Zeit gewesen für ein Aufbäumen, ein ganzes Fußballspiel lang, um genau zu sein. Es geschah jedoch: nichts. Stattdessen traf Srbeny erneut, und die Sache war erledigt.

Der Hamburger Trainer Tim Walter wollte diesen Leerlauf hinterher auch damit erklären, dass Entwicklung eben "nicht immer nur in eine Richtung" gehe. "Entwicklung", das ist das Leitwort, auf das man sich beim HSV für diese Spielzeit verständigt hat, eine Art rhetorischer Schutzpanzer vor Kritik und ein stetes Werben um Geduld. In der Tat hat der HSV ein junges Team, das gewissen Schwankungen unterliegt, aber eine Auffälligkeit ist in dieser Saison insbesondere das konstante Nichtgewinnen: Eine Kaskade aus Unentschieden hungerte die Bilanz auf nur zehn Siege aus 27 Spielen aus, so wenige wie nie in den vier Zweitligajahren - und der Hauptgrund, dass die Hamburger kein einziges Mal an der Tabellenspitze standen.

Jedes Jahr landen kleinere Rivalen vor dem HSV

Das Spiel gegen Paderborn wollten nur wenig mehr als 27 000 Zuschauer sehen, denn die Euphorie ist schon länger gedämpft im HSV-zugewandten Teil der Hansestadt, die eigentlich eine echte Sportstadt und schnell zu begeistern ist. Diese emotionalen Ausschläge werden von den Hamburger Verantwortlichen gerne als Auslöser für das Scheitern angeführt, doch nur selten wird erwähnt, dass der Kader weiter zu den teuersten in der zweiten Liga gehört und jedes Mal kleinere Rivalen wie Bochum, Bielefeld oder jetzt Darmstadt vor dem HSV landen.

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Für Begeisterung sollte auch der Fußball von Trainer Walter sorgen, ein radikaler Offensivlehrer mit einer außergewöhnlichen Spielidee. In den vergangenen Wochen drängt sich aber der Eindruck auf, dass diese Idee entschlüsselt wurde, wie schon bei seiner vorigen Station VfB Stuttgart. Die Gegner verbarrikadieren sich um den eigenen Strafraum, wie ein schwarzes Loch absorbieren sie das Tempo, und dann stoßen sie in die Lücken in der hochstehenden HSV-Defensive.

Hinten ist das System extrem störanfällig, vorne folgte es dem immer selben Muster: Rochaden am Mittelkreis, aus denen nur wenige Raumgewinne entstehen - in die Vertikale geht es zumeist mit einem Steilpass auf der rechten Angriffsseite, auf den pfeilschnellen Bakery Jatta, dessen flache Hereingaben am Samstag aber nur bei Paderbornern landeten.

Wichtige HSV-Spieler befinden sich in der entscheidenden Phase im Formtief

Das Kreativitätsdefizit liegt aber nicht nur an der Strategie, sondern auch daran, dass die Samtfüße im Team zu wankelmütig sind. Der Spielmacher Sonny Kittel zum Beispiel, eigentlich viel zu begabt für Zweitligafußball, kann sein Talent wieder nicht in der entscheidenden Saisonphase zeigen. Und beim jungen Flügelflitzer Faride Alidou, der sich in der Hinrunde um seine Gegner drehte wie ein Kreisel, dreht sich seit seinem feststehenden Wechsel im Sommer zu Eintracht Frankfurt angeblich viel um sich selbst.

"Kontinuität kommt über die Dauer", sagte der HSV-Trainer Walter am Samstag noch. Es war ein erneutes Werben um Geduld, es war womöglich auch ein Werben für sich selbst - und es klang ein bisschen nach den Parolen des Imperators im Film "Star Wars", der jeden Rückschlag mit dem Satz "Es läuft genauso, wie ich es vorhergesehen habe" kommentiert.

Im Kino ist das Imperium bekanntlich gescheitert.

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