HSV-Trainer Christian Titz:Der Chef-Renovierer

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Trainer Christian Titz will mit dem HSV wieder nach oben. (Foto: dpa)
  • Beim HSV freut man sich auf den Zweitligastart gegen Holstein Kiel am Freitagabend.
  • Trainer Christian Titz hat es geschafft, dass die Fans trotz des Abstiegs an seinen Fußball glauben.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

In der jüngsten Ausgabe des Vereinsmagazins HSV live hat Lewis Holtby die Spielweise des Zweitliga-Neulings Hamburger SV als "revolutionär, querdenkend und erfrischend" gelobt. Es mache Spaß, wenn die Zuschauer plötzlich sagen, dass ihr Klub "coolen Fußball spielt". So etwas hat man zumindest in dieser Dekade noch nie gesagt über jenen Verein, der eher durch dauerhaftes Missmanagement aufgefallen war, bis er im Mai erstmals nach 55 Jahren die Bundesliga verlassen musste. Auch deshalb, so Holtby, habe er genau wie Aaron Hunt dem Verein trotz des Zweitliga-Aufenthalts nicht Lebewohl gesagt. Und das, obwohl sein bisher stolzes Jahresgehalt von 3,5 Millionen Euro nach dem Abstieg um die Hälfte geschrumpft ist.

Am Freitagabend bestreitet der HSV das erste Zweitligaspiel seiner Geschichte. 57 000 wollen die Partie gegen Holstein Kiel im ausverkauften Volksparkstadion sehen. 7000 neue Mitglieder sind nach dem sportlichen Fiasko dem HSV beigetreten, 25 000 Dauerkarten wurden abgesetzt - ähnlich viele wie vorher in Liga eins. Wie ist das möglich, dass die Hamburger so viel positives Feedback nach dem größten Unglück der Vereinshistorie erfahren?

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Das hat auch mit einem Mann zu tun, der bis zum März 2018 im Profifußball keine Rolle spielte, obwohl er bereits 47 Jahre alt ist: Christian Titz, bis dahin für das HSV-Regionalliga-Team zuständig, ist als Trainer das Gesicht des renovierten HSV. Als höflicher Mensch begrüßt er die Trainingskiebitze mit einem "Guten Morgen". Vor allem aber hat Titz jede Menge Ideen, wie man aus dem defensiven Hau-Ruck-Stil seiner Vorgänger ansehnlichen Fußball macht. Das hat er schon in seiner kurzen Bilanz als Bundesligatrainer bewiesen. In acht Spielen holte er fast so viele Punkte (13) wie Vor-Vorgänger Markus Gisdol in 19 Partien (17) - mit attraktiven Auftritten.

Nach dem 2:1 im Testspiel gegen Rapid Wien fragte ihn kürzlich ein österreichischer Journalist, ob der HSV künftig mit elf Feldspielern antreten wolle - weil Torwart Julian Pollersbeck oft weit vor dem Strafraum ins Spiel mit einbezogen wird. Das ist eine Idee, die der Torwart-Titan und TV-Experte Oliver Kahn bei der WM als bahnbrechend lobte. Titz sagt dazu: "Wenn wir in Ballbesitz sind, möchten wir unseren Torwart vorschieben." Das berge bei Ballverlusten gewisse Risiken, aber man habe beim Spielaufbau einen Mann mehr und zwinge den Gegner, sein gewohntes Anlaufverhalten zu verändern, so dass neue zusätzliche Räume geschaffen werden.

Titz hat viele Fußballbücher geschrieben, etwa "Passen und Ballkontrolle", "Das 4-4-2-System" oder "Torwarttraining". Man hätte ihn als Theoretiker abstempeln können. Doch schon beim FC Homburg, den er 2012 zum Aufstieg in die Regionalliga Südwest führte, schienen seine taktischen Einfälle auch in der Praxis zu funktionieren. Ebenso bei der jungen HSV-Reserve, die er fast in die dritte Liga lotste. Viele Spieler, die jetzt im jüngsten Zweitliga-Kader stehen (Schnitt: 22,9 Jahre), hat Titz vorangebracht, auch den vom FC Bayern umworbenen Jann-Fiete Arp, 18, oder den oft gescouteten Josha Vagnoman, 17.

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Er werde oft gefragt, verrät Titz, ob sein Ballbesitzfußball gegen vermutlich tief stehende Gegner auch in der zweiten Liga funktioniere, wo es mehr auf Zweikampfhärte als auf Spielkunst ankomme. Seine Antwort: "Ich glaube, was wir spielen, ist ligaunabhängig." Wichtig ist ihm, dass seine Spieler flexibel sind und begreifen, was er will. Auch wenn er ein System vorgebe, seien die Spieler "zu 50 Prozent frei" in ihrem Handeln auf dem Feld. Je sicherer sie sich im System bewegen, desto stärker könnten sie ihren "Freigeist" einbringen, sagt er - mit Dribblings und Laufwegen, die das Spiel unberechenbar machen.

Titz liebt variable Profis wie den aus Fürth geholten Khaled Narey, der rechter Verteidiger, aber auch Linksaußen spielen kann und zuletzt zwei Tore beim 3:1 gegen Frankreichs Spitzenteam AS Monaco erzielte. Titz liebt Kämpfer wie den früher von ihm als Personalcoach betreuten Holtby, gute Spielleser wie Matti Steinmann oder Christoph Moritz, den er zu seiner Aachener Zeit kennenlernte und nun aus Kaiserslautern holte. Und er mag Jung-Profis wie Rick van Drongelen, der zunächst Probleme hatte mit dem neuen Stil, Titz aber ein Loch in den Bauch fragte, um zu lernen.

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Dass Titz - der erste Trainer, der mit dem HSV abstieg - jetzt gleichzeitig Hoffnungsträger ist, ist vor allem dem Direktor Sport, Bernhard Peters, zu verdanken. Bernd Hoffmann, der Ende Mai nach sieben Jahren wieder Vorstandsboss wurde, hatte ursprünglich andere Ideen. Er wollte lieber mit dem früheren Leverkusener Trainer Roger Schmidt den Wiederaufstieg angehen. Doch Peters warf sich öffentlich für Titz in die Bresche. Er verglich ihn sogar mit dem begehrten Julian Nagelsmann, den er einst in Hoffenheim mit ausbildete.

Titz, findet Peters, sei "kommunikativ, ehrlich, direkt". Und der HSV brauche "eine Gesamtidee, für was wir stehen wollen". Diese Idee fehlte im Volkspark seit Jahren. Und weil auch der neue Sportchef Ralf Becker für Titz plädierte, hatte sich die Debatte bald erledigt. Becker, der bis Mai Manager von Auftaktgegner Kiel war, wollte Titz eigentlich für Holstein als Nachfolger von Markus Anfang (nach Köln) verpflichten.

Leicht stellt sich Titz die Aufgabe in der zweiten Liga nicht vor: "Köln und wir werden die Gejagten sein. Jedes unserer Spiele wird Pokalcharakter haben gegen meist tief stehende Gegner." Für sein junges Team heiße das: "Wir müssen den Kampf annehmen und immer 100 Prozent am Anschlag sein." Schon bald wird man zumindest ahnen, ob Titz auch der erste Trainer sein kann, der mit dem HSV aufsteigt.

© SZ vom 03.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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