Abstieg des HSV:Stolz, Tränen und ein Wunsch von Uwe Seeler

Hamburger SV v Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Mit Tränen in den Augen auf die Ehrenrunde: Kapitän Sakai.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der Hamburger SV steigt erstmals nach fast 55 Jahren aus der Bundesliga ab. Einige Chaoten zünden Böller und Rauchbomben - aber die Mehrheit der HSV-Fans beklatscht die Mannschaft.
  • Trainer Christian Titz sagt, er sei "stolz" auf die Mannschaft. Verteidiger Papadopoulos wünschte sich, der Trainer wäre früher gekommen.
  • Uwe Seeler behält den Kopf oben - und wünscht sich zu Lebzeiten einen Wiederaufstieg.

Von Carsten Scheele, Hamburg

Die Luft stank noch nach Rauch, als die Spieler des Hamburger SV tieftraurig, aber Arm in Arm auf dem Rasen standen. Christian Titz, ihr Trainer, befand sich in der Mitte, fuchtelte mit den Händen, redete auf sie ein. Er habe seinen Spielern gesagt, dass er "stolz" auf sie sei, berichtete der Hamburger Trainer später. Stolz im Moment des ersten Bundesliga-Abstiegs der Vereinsgeschichte, so diffus war die Gefühlswelt beim HSV.

Titz und seine Spieler hatten zuvor auch bange Minuten zu überstehen. Als klar war, dass sich der HSV an diesem 34. Spieltag nicht in letzter Sekunde auf den Relegationsplatz retten würde, hatte eine Gruppe von rund 300 Hamburger Chaoten das Stadion in einen Kriegsschauplatz verwandelt. Um 17.21 Uhr flogen dutzende, wenn nicht gar hunderte Böller auf den Platz. Schwarzer Rauch stieg auf, die Polizei stürmte den Platz und zog sofort dichte Schutzriegel vor der Nordtribüne auf, beorderte sogar Hunde und die Reiterstaffel auf den Rasen. Ein Platzsturm konnte verhindert werden, doch es war eine gespenstische Szenerie.

Erst nach 20-minütiger Unterbrechung pfiff Schiedsrichter Felix Brych die Partie wieder an - und sofort wieder ab. Hamburg hatte 2:1 (1:1) gegen Gladbach gewonnen; weil der VfL Wolfsburg zur gleichen Zeit aber 4:1 (1:1) gegen Köln siegte, war der erstmalige HSV-Abstieg nach 55 Jahren ununterbrochener Bundesliga-Zugehörigkeit besiegelt. "Das ist richtig, richtig bitter", sagte HSV-Kapitän Gotoku Sakai mit Tränen in den Augen. "Die Enttäuschung ist riesengroß", attestierte Kyriakos Papadopoulos.

Diesmal lief es anders als in all den Jahren zuvor. Bislang hatte sich Hamburg noch aus jeder noch so ausweglosen Situation befreien können, in diesem Jahr war das Glück aufgebraucht. Der HSV als Zweitligist, an diesen Gedanken muss man sich erst gewöhnen.

Die Stimmung war bei weitem nicht so betrübt, wie zu erwarten war

Kurzzeitig hatte Hoffnung bestanden an diesem Nachmittag. Als der HSV durch einen Elfmeter von Aaron Hunt früh in Führung gegangen war und fortan auf einen Patzer des VfL Wolfsburg gegen Köln hoffen konnte. Der schien zwischenzeitlich möglich, weil Köln die frühe Wolfsburger Führung durch einen messihaften Treffer von Jonas Hector ausglich und weitere Chancen vergab. Am Ende drehte sich das Schicksal gegen den HSV: Hamburg erfüllte zwar seine Pflicht und gewann durch den 2:1-Siegtreffer von Lewis Holtby (63.). Doch Wolfsburg spielte nicht mit, besiegte Köln noch 4:1. Der VfL trifft in der Relegation auf Holstein Kiel, der HSV geht runter.

Doch die Stimmung war bei weitem nicht so betrübt, wie zu erwarten war. Das lag zum einen am Trainer, an Christian Titz, der den HSV auch in der zweiten Liga anleiten wird. Titz hatte den Klub im März nach schlimmen Monaten übernommen; zwischenzeitlich betrug der Abstand auf den Relegationsrang acht Punkte. Seine Mannschaft sei "gut mit der Situation umgegangen", sagte Titz am Samstag. Dass Hamburg überhaupt dieses Endspiel gegen Gladbach erreichte, lag an seiner erfrischenden Art, Fußball spielen zu lassen. Allein drei der letzten vier Saisonspiele gewann der HSV unter Titz, trat dabei selten wie ein Absteiger auf. In der Stunde des Abstiegs blieb der Eindruck, dass in Hamburg gerade ein neuer Geist entsteht.

Uwe Seeler bleibt in der zweiten Liga treu - und äußert einen Wunsch

Das sahen auch die Spieler so. "Der Trainer kam zu spät", schlussfolgerte Papadopoulos energisch: "Mit ihm steigen wir sofort wieder auf." Welche Mannschaft dann auf dem Platz stehen wird, ist unklar. Der HSV wird sich aus Kostengründen von einigen Gutverdienern trennen müssen. Andere wollen bleiben, Papadopoulos etwa, der erklärte, sein Vertrag gelte auch für die zweite Liga. Auch Kapitän Sakai, der kurz nach dem Abstieg seine Zusage gab. Wann er sich dazu entschieden habe, wurde Sakai gefragt: "Jetzt."

Das wiederum lag an einem Großteil der Fans - nicht an den Chaoten, die dem HSV in der sportlich bittersten Stunde den unwürdigsten Abschied beschert hatten. Der friedliche Teil der Anhänger pfiff zunächst die Krawallmacher nieder und grenzte sich lautstark von ihnen ab ("Wir sind Hamburger und ihr nicht"). Nach Abpfiff applaudierten die Fans ihren Spielern, beorderten die abgestiegenen Fußballer sogar auf eine Ehrenrunde. Als ginge es in diesem Moment darum, ihnen neuen Mut zuzusprechen. "In anderen Stadien werden die Spieler ausgepfiffen, hier haben die Leute geklatscht", befand Papadopoulos: "So etwas habe ich noch nie erlebt."

In den nächsten Tagen will der HSV mit allen aktuellen Spielern Gespräche führen und eine gemeinsame Zukunft ausloten. Und versuchen, sich mit der Zweitklassigkeit zu arrangieren. Vielen wird das schwer fallen, auch Uwe Seeler, der HSV-Klubikone. Es gehe ihm "schlecht", sagte der 81-Jährige bei Sky: "Ich hätte nie gedacht, dass ich zu meinen Lebzeiten mal einen Abstieg des HSV erleben muss." Doch selbst "Uns Uwe" hatte geahnt, dass es in diesem Jahr für den HSV nicht reichen würde. "Immer wieder Wunder gibt's nicht", konstatierte Seeler an der Grenze zur Poesie. Er weiß: In der Summe der Ereignisse der vergangenen fünf Jahre, der vielen Spielzeiten nahe am Abgrund, der vielen falschen Entscheidungen in der Vereinsführung, ist dieser Abstieg auch verdient.

Immerhin verstand sich Seeler in der Kunst, in trauriger Stunde den Kopf oben zu halten. Er sprach der Mannschaft ebenfalls Mut zu: "Ich werde mir auch die Spiele in der zweiten Liga anschauen", sagte Seeler und schickte einen Wunsch hinterher: "Ich hoffe, dass ich erlebe, wie der Klub wieder aufsteigt."

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