HSV und St. Pauli:Blockbuster und Arthouse-Kino

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Zukunft offen, trotz und wegen des großen Erfolgs: Fabian Hürzeler, Trainer des FC St. Pauli (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Der FC St. Pauli und der Hamburger SV führen die zweite Bundesliga an. Wesentlichen Anteil daran haben Tim Walter und Fabian Hürzeler - über zwei Fußballtrainer und ihre unterschiedlichen Erfolgsrezepte.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Was der Flügelmann Jean-Luc Dompé da veranstaltete, das können nur wenige in der zweiten Liga. Dompé wurde auf der linken Seite freigespielt, er nahm Tempo auf und schwang seinen rechten Fuß über den Ball, ehe er den linken und wieder den rechten Fuß folgen ließ. Die Übersteigerkombination sah formvollendet aus, aber das Wichtige war, wie der Franzose diese Bewegung in die nächste überführte. Das Täuschungsmanöver ging nahtlos in eine Chipflanke über, die auf dem Kopf von Bakery Jatta und schließlich im Tor des 1. FC Magdeburg landete. Der Hamburger SV erhöhte auf 2:0, mit einem schicken Treffer in der 72. Minute, der gleichbedeutend mit dem Endstand war.

Ja, richtig: zu null. Der HSV, trainiert vom mitunter radikalen Offensivlehrer Tim Walter, gewann in dieser Saison alle sechs Heimspiele, davon die vergangenen fünf ohne Gegentreffer. Das Hamburger Team präsentierte sich stabil, geradlinig, konzentriert - also wie jener Aufstiegsfavorit, der der HSV allein deshalb ist, weil er der HSV ist. Das Problem ist nur, dass es aktuell zwei HSVs gibt: jenen, der immer im Hamburger Volksparkstadion zu besichtigen ist. Und jenen aus fast allen anderen Zweitliga-Stadien. Die vorzügliche Heimbilanz wird durch eine Auswärtsschwäche konterkariert, die jene Punktverluste verursacht hat, die die Hamburger auf den zweiten Platz vertreiben. Wobei sich die Hansestadt ganz oben nicht unterrepräsentiert fühlen muss: Dort steht der FC St. Pauli, der in HSV-affinen Kreisen zwar gern als vernachlässigbarer Stadtteilklub denunziert wird, der nach einem 2:0-Sieg am Freitag bei der SV Elversberg aber seinen Platz an der Tabellenspitze sichern konnte.

Der HSV kann herrlich kombinieren - ohne das Verteidigen wird das mit Aufstieg aber nichts

Dass zwei Hamburger Vereine die zweite Liga anführen, ist zwar nichts, was Nordlichter zwingend in Begeisterung versetzen muss. Es ist aber ein Beleg dafür, dass das große Potenzial dieser selbsternannten Sportstadt gerade in zumindest zarten Dosen abgerufen wird. Vor allem beim HSV verhält es sich da so wie mit dem Flügelmann Dompé, dem flinken Flankengeber gegen Magdeburg: Klub und Spieler sind eigentlich überqualifiziert fürs Unterhaus - doch weil ihre Leistungskurven massiv ausschlagen, sind keine Absetzbewegungen in der Tabelle drin. Der HSV ist unter Walter wie einer dieser Action-Blockbuster im Kino: Es geht hin und her, rauf und runter, das Stadionerlebnis ist wirklich kurzweilig - doch am Ende fragt man sich, warum die Macher (oder der Trainer) aus dem hohen Budget nicht mehr rausgeholt haben.

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Das Spiel gegen Magdeburg dagegen hat gezeigt, wie es zurück in die Erstklassigkeit gehen könnte. Es gab herrliche Kombinationen wie jene zur 1:0-Führung, als der in dieser Saison herausragende Mittelfeldmann Laszlo Benes (sieben Tore, fünf Vorlagen) der letzte in einer langen Verwertungskette war. Angreifen war diesmal aber kein Dogma, wie Walter erklärte: Man habe "kompakter" stehen wollen, auch weil 120 harte Pokalminuten gegen Bielefeld noch "in den Knochen steckten". Das führte zu einer erstaunlichen Statistik und interessanten Beobachtungen.

Sieg gegen Magdeburg: HSV-Coach Tim Walter nach dem Schlusspfiff. (Foto: Justus Stegemann/Imago)

Die Statistik: Der HSV hatte so wenig Ballbesitz (46 Prozent) im Volkspark wie seit 2019 nicht mehr - Gegner war damals der VfB Stuttgart, der lustigerweise von einem gewissen Tim Walter trainiert wurde. Die Beobachtungen hingegen betrafen Personalien, die es unter dem Coach schwer haben, weil sie nur bedingt zu seinem Absolutheitsanspruch passen: Verteidiger Stephan Ambrosius, ein zumeist auf der Bank platziertes Eigengewächs, ist zum Beispiel keiner, der mit dem Ball "progressiv andribbelt", wie das gerne heißt. Er kann aber resolut verteidigen. Und wenn er mal ran darf, verteidigt auch der HSV meistens besser. Ähnlich wichtig war am Samstag William Mikelbrencis, ein junger und schmächtiger Rechtsverteidiger, der laut Walter eine "französische Mentalität" habe. Sollte heißen: Wenn's läuft, so Walter sinngemäß, stelle sich beim Spieler eine Art Genügsamkeit ein.

Das war mindestens mal ungeschickt formuliert und wirkt noch schräger, wenn man sich das jüngste Titelsammeln des französischen Nationalteams anschaut. Andererseits kann man über fehlendes rhetorisches Geschick hinwegsehen, da Walter ja nicht Bundespräsident, sondern nur der erste Aufstiegscoach des HSV werden soll.

St. Pauli könnte vor dem HSV landen - erstmals in der Geschichte beider Klubs

Wenig präsidial ist auch Fabian Hürzeler, der erst 30-jährige Coach des Stadtrivalen FC St. Pauli. Wenn er etwas sagen will, sagt er es, selbst dann, wenn's nicht allen gefällt. So wie in der Vorwoche, beim 2:1-Sieg gegen Karlsruhe. Da hatte es Pfiffe gegen das eigene Team gegeben, was irritierend war, weil die Kiezkicker eine produktive Saison spielen und derlei Unmutsbekundungen gegen das Grundgesetz auf dem Kiez verstoßen. Hürzeler, der Provokation nicht abgeneigt, erinnerte daran, dass man leider nicht alle Fans "zu einer Fortbildung" einladen könne - ein Satz, der von absolutem Vertrauen in die eigene Spielidee zeugt. St. Pauli betreibt eine Art permanentes Geduldsspiel, der Ball zirkuliert so lange in der Hintermannschaft, bis der Gegner attackiert und Räume öffnet.

Wenn man so will, erinnert dieser Fußball an einen französischen Arthouse-Film: Geschulte Augen erkennen seinen ideellen Wert sofort - andere halten ihn für ein etwas zu kontrolliertes Unterfangen, dem mehr archaische Momente guttun würden. Die Zahlen geben Hürzeler jedoch recht: Tabellenführung, die beste Defensive der zweiten Liga, dazu ein unter anderem mit dem HSV geteilter Spitzenplatz bei den geschossenen Toren. In Elversberg trafen nun Spielmacher Marcel Hartel und Stürmer Johannes Eggestein - zwei zentrale Akteure, deren Können erst so richtig aufblitzt, seit Hürzeler sich ihrer angenommen hat. Was eher in die Kategorie "Potzblitz" fiele, wäre dagegen ein Zieleinlauf des FC St. Pauli vor dem HSV. Das hat es noch nie gegeben und wird in der Sportstadt Hamburg weiterhin für unmöglich gehalten. Wobei: Das galt für die mittlerweile sechs gemeinsamen Zweitliga-Saisons ja auch mal.

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