Stadtderby in Hamburg:Wie der HSV sich selbst und seinen Torwart rettete

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Daniel Heuer Fernandes (rechts) hat sich gerade den Ball selbst ins Netz gehauen - St. Pauli freuts. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Daniel Heuer Fernandes unterläuft beim 2:2 gegen St. Pauli ein haarsträubendes Eigentor. Durch ein Comeback in Halbzeit zwei verhindert der Hamburger SV akute Krisenstimmung - doch die Probleme der Mannschaft sind trotzdem deutlich.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Fußballspiele haben die Eigenart, dass sie manchmal eine riesengroße Geschichte erzählen, die am Ende doch gar nicht so groß ist. Wie am Freitagabend: Was hätte diese Szene alles in Gang setzen können? Riesengroß wäre die Geschichte gewesen, wenn das Spiel so weitergegangen wäre, wie es die Bilder bis dahin nahelegten. Bilder, auf den zu sehen ist, wie der HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes einen gemeinen Rückpass zugespielt bekommt, wie der Ball auf dem holprigen Untergrund dann eher hüpft als rollt, wie Heuer Fernandes unmittelbar vor dem Pfosten mit seinem rechten Fuß ausholt, um sich des Problems per Notabschlag zu entledigen - und wie er den Ball dann per Volleytreffer aus einem Meter ins Netz drischt, weil er seinen gemeinsten Hüpfer unmittelbar vor der Rettungsaktion machte.

Die Szene, das ist die schlechte Nachricht für den sonst so zuverlässigen Heuer Fernandes, wurde längst zu Internetmemes verarbeitet, die vom Saarland bis nach Indonesien geteilt werden. Die Geschichte dahinter, das ist die gute Nachricht für den Torwart, hat bis zum Schlusspfiff aber einiges an Symbolkraft verloren. Als Heuer Fernandes nach 27 Minuten ins eigene Tor traf, stand es 2:0 für den Stadtrivalen FC St. Pauli, ein Debakel für den HSV erschien in unmittelbarer Sichtweite. Am Ende stand es 2:2. Und aus Sicht des Traditionsklubs war das eine Menge wert.

Reicht die Comebackgeschichte des HSV, um daraus eine Aufstiegsgeschichte zu machen?

Eine Niederlage im Hamburger Stadtderby, zumal eine deutliche, hätte beim HSV eine Krisenstimmung evoziert, die er bis zum Weihnachtsfest nicht mehr losgeworden wäre. Durch das Unentschieden fehlen nun lediglich drei Pünktchen zum Tabellenführer St. Pauli, ein Rückstand, der gerne mit der Floskel "unmittelbare Schlagdistanz" zusammengefasst wird. Und vor allem: Beim HSV haben sie wieder an ihrer Erzählung gearbeitet, die so etwas wie das bestimmende Motiv während der zweieinhalbjährigen Amtszeit des Trainers Tim Walter ist. Wenn's zappenduster ausschaut, schafft es die Mannschaft, immer irgendwie zurückzukommen - in einzelnen Spielen, aber auch nach schwierigen Phasen innerhalb einer ganzen Saison. Die Frage ist nur: Reicht diese ewige Comebackgeschichte, um daraus eine Aufstiegsgeschichte zu machen?

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"Wir hatten uns mehr vorgenommen", sagte Heuer Fernandes. Sein Missgeschick sei "maximal unglücklich" gewesen, fügte er an, aber da sprach er schon wieder mit der Autorität eines Torwarts, der seine Fehlerquote im Laufe des Spiels reduzieren und sich deshalb rehabilitieren konnte. Und das war ein weitaus holprigerer Weg, als es jeder Sprint über den frostigen Boden im Millerntorstadion hätte sein können: Jeder Ballkontakt von Heuer Fernandes wurde von den St. Pauli-Fans hämisch begleitet, sie jubelten ihm zu, als habe er statt Rautenlogo einen paulianischen Totenkopf auf der Brust - wer seine komplexe Rolle als spielgestaltende Passmaschine in Torwandhandschuhen kennt, wird ahnen, dass das eine gewaltige Portion Häme gewesen sein muss.

Es spricht für Heuer Fernandes und den HSV, dass sie sich im wilden Hamburger Schneegestöber eine Coolness zurückerlangt haben, wie das nur wenige Teams schaffen. Für sie spricht außerdem, dass sie die recht dürftige Leistung des Schiedsrichters Felix Zwayer nicht überthematisiert haben: Vor dem 1:0 durch St. Paulis Jackson Irvine (15. Minute) wurde HSV-Mittelfeldmann Jonas Meffert im eigenen Strafraum umgestoßen, ein Vergehen, das in der Praxis eher geahndet als nicht geahndet wird. Und der kurz ausgeführte Torabstoß von Heuer Fernandes, der kurz darauf wieder als hoppelnder Rückpass zu ihm zurückkam und zur Szene des Spiels führte, hätte eigentlich wiederholt werden müssen, weil zwei St. Pauli-Spieler bei der Ausführung auf der Strafraumlinie standen. Hauchzart zwar, aber in den Wiederholungen deutlich zu sehen - Wiederholungen, die sich offenkundig weder Zwayer noch der Kölner Keller nochmals ansehen wollten.

Stürmer Glatzel monierte, der HSV müsse erst "auf die Schnauze fallen, um dann aufzuwachen"

Was dagegen nicht für den HSV spricht, ist, wie er Fußball gespielt hat: Die Kiezkicker lagen hinterher in allen relevanten Statistiken vorne, sie hatten öfter den Ball, sie passten öfter und präziser, sie liefen mehr und schossen drei Mal öfter aufs gegnerische Tor. St. Pauli-Coach Fabian Hürzeler konnte mit Fug und Recht behaupten, dass seinem Team lediglich der Treffer zum 3:0 gefehlt hat, um das Derby bereits in der ersten Hälfte zu "killen". Mitunter wirkte es, als spiele da eine akribisch ausgerichtete Trainermannschaft gegen ein HSV-Team, das nicht genau weiß, was es sein und wo es hin will. Und dieser Eindruck wurde auch nicht dadurch entschärft, dass die Walter-Elf durch eine rasche Trefferkombination von Robert Glatzel (58. Minute) und Immanuel Pherai (60.) aus einer möglichen Schmach noch einen stimmungsaufhellenden Abend machte, der als Beweis für intrinsische Aufbäumqualitäten der Hamburger Spieler taugt - aber halt nicht für eine Spielidee, die aus den wohl besten Individualisten der zweiten Liga eine Gruppe macht, die mindestens so gut ist wie die Summe ihrer Teile.

Stürmer Glatzel monierte jedenfalls hinterher, der HSV müsse immer erst "auf die Schnauze fallen, um dann aufzuwachen". Das ist zwar jedes Mal eine spannende, erzählenswerte Geschichte - die verlässlich eintretende Schlusspointe hat den Traditionsklub bislang aber halt auch nicht dorthin geführt, wo er hin will: zurück in die erste Liga.

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