HSV verliert Derby:Vorboten des nächsten Dramas

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Derbyverlierer: HSV-Profi Josha Vagnoman nach dem 0:1 gegen den Rivalen FC St. Pauli. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Verspielt der HSV schon wieder den Aufstieg? Die Niederlage in der Zweitliga-Stadtmeisterschaft gegen St. Pauli lässt ungute Erinnerungen wachwerden.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Beim Hamburger SV hat es sie schon häufig gegeben, diese vielzitierten und manchmal etwas hochstilisierten "Wochen der Wahrheit". Nur: Was ist das überhaupt, Wahrheit? Seit der Antike werden Streitschriften darüber verfasst, auch Kant, Voltaire oder Bourdieu haben sich mit diesem Begriff beschäftigt - und dann mussten sie allesamt vom Philosophenhimmel aus zusehen, wie auf der Erde manches Unheil im Namen der Wahrheit heraufbeschworen wurde.

Ob diesen schlauen Köpfen auch eine Erklärung für das sich wiederholende Absaufen des HSV einfallen würde? Wegweisende Wochen waren dem Traditionsklub jedenfalls zuletzt von den Kommentatoren in den lokalen und sozialen Medien prophezeit worden, und über die neueste Episode am Montagabend lässt sich festhalten: Sie endete unheilvoll, mal wieder.

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Es war ein strammer Schuss von Daniel-Kofi Kyereh, der in der 89. Minute im Herzen der Raute einschlug, zum späten 1:0-Sieg für den FC St. Pauli. Ein "Punch" sei das gewesen, sagte der HSV-Trainer Daniel Thioune, der hinterher selbst dreinblickte wie ein niedergestreckter Boxer. Von einem "Lucky Punch" sprach hingegen St. Pauli-Coach Timo Schultz, während sich sein schelmischstes Grinsen über die Mundwinkel legte. Vor allem aber war der Heimtriumph für den Kiezklub letztlich eines: hochverdient.

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Nun war es ja nicht so, als sei der HSV als klarer Favorit in diesem Hamburger Derby angetreten. Zur Wahrheit gehört, dass sich die Machtverhältnisse in der Hansestadt schon vor dem Anpfiff verschoben hatten, das Spiel als solches war nur die logische Folge einer Tendenz. St. Pauli, das sich vor Weihnachten noch recht hilflos in den niederen Tabellenregionen der zweiten Liga abstrampelte, wirkt seit einigen Wochen wie wachgeküsst und scheint verinnerlicht zu haben, was Trainer Schultz zu Saisonbeginn als Maßgabe für seine Mannschaft vorgegeben hatte: Mut, Leidenschaft und allen voran ein Pressing, das in dieser rhythmischen Ausführung auch in einem Geburtsvorbereitungskurs gelehrt werden könnte.

Abgesehen von den ersten zehn Spielminuten, in denen der HSV den dominanten Part einnahm, unterstrich der Kiezklub auf diese Weise, weshalb er in der inoffiziellen Rückrundentabelle in der zweiten Liga auf Platz eins steht. Um den Siegtorschützen und Spielmacher Kyereh hat sich eine Offensive formiert, in der jedes Mitglied herausragende Komponenten fürs Unterhaus einbringt; der pfeilschnelle Rodrigo Zalazar wirbelte am Montag so unablässig wie der im Winter aus Wolfsburg geliehene Omar Marmoush. Dieses Trio zieht seine Kreise um den Mittelstürmer Guido Burgstaller, der in der Hinrunde noch einen halbinvaliden Eindruck hinterlassen hatte, sich zuletzt aber als der treffsicherste Protagonist der Liga etablieren konnte.

Gegen den HSV blieb Burgstaller zwar blass, während seine Kollegen parallel Chancenwucher betrieben, aber in der letzten Spielminute stand er doch nochmal im Mittelpunkt des Geschehens. Der Österreicher lieferte sich eine beherzte Frotzelei mit Tim Leibold, was der HSV-Kapitän mit einem Tritt quittierte und dafür zurecht mit Rot des Feldes verwiesen wurde. Ein unrühmlicher Abgang, der sich für die auf Platz vier abgerutschten Hamburger noch als folgenreich erweisen könnte: Die nächsten Gegner heißen Kiel und Bochum, die sich gerade die Tabellenführung teilen und zuverlässig ihre Punkte einsammeln.

Die "Wochen der Wahrheit", für den HSV könnten sie einmal mehr zum Drama werden. Schon in den den vergangenen beiden Spielzeiten wurde der Klub im Frühjahr vom Aufstiegsgespenst heimgesucht, erklärt wurden die verpatzten Rückrunden meistens so: Ein paar unvorhergesehene Niederlagen eingesteckt, verkrampft, und schließlich, in einer finsteren Melange aus Verlieren und Verkrampfen, jedes Selbstvertrauen verloren.

HSV-Trainer Thioune kündigt an, dass sich die Hamburger "wehren" werden

Quo vadis, HSV? Auch das lästige Hintergrundrauschen war ja zuletzt in den Klub zurückgekehrt, als sich am vorläufigen Ende eines Machtkampfs das gesamte Präsidium um den Ex-Profi Marcell Jansen zurückgetreten war. Und nach zuletzt drei Spielen in Serie ohne Sieg, darunter eine verdiente 3:2-Pleite in der Vorwoche beim Tabellenletzten Würzburg, sollte ausgerechnet die Hamburger Stadtmeisterschaft einen Wendepunkt markieren. "Wir hatten das Derby auf eine solche Ebene gehoben, weil wir wissen, was wir damit anstellen können", sagte Thioune, dem zum ersten Mal in seiner Zeit als HSV-Coach eine gewisse Ratlosigkeit im Gesicht stand.

Für Thioune ist es jedoch nicht die erste Krise, die es zu überstehen gilt. Auch in der Hinrunde blieb der HSV fünf Spiele in Serie ohne Sieg, letztlich bewahrheitete sich aber Thiounes vielfach formulierter Leitspruch: Es gelte "resistent" zu bleiben, das wiederholt der Coach mantraartig, seit er im Sommer die sportliche Verantwortung beim früheren Bundesliga-Dino übernommen hat. Mit seiner ruhigen Art konnte er den Verein schon mal stabilisieren.

Immerhin: Als schon die ersten Leuchtraketen aufstiegen, die noch die gesamte Nacht den Himmel über St. Pauli erhellen sollten, war auch beim HSV-Trainer wieder etwas Feuer zurückgekehrt. "Wir haben auch ein paar Straßenköter", sagte Thioune: "Wir werden uns wehren." Ein drohendes Unheil am Horizont aufziehen sehen - das wäre ja zumindest mal neu beim HSV.

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