Zweitligist Hamburger SV:Der nächste Kapitalpatzer

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Ratlos: HSV-Verteidiger Moritz Heyer. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Der HSV bleibt das Klischee seiner selbst - und verspielt im Nordderby gegen Hannover eine 3:0-Führung. Wiegt die Last, aufsteigen zu wollen, tatsächlich so schwer?

Von Thomas Hürner, Hamburg

Ist es ein dunkler Fluch? Einfach nur Unvermögen? Oder liegt auf einem Fußballer wirklich eine zentnerschwere Last, sobald er sich das traditionsreiche Trikot des Hamburger SV überzieht? Fans, Experten, Verantwortliche und die Fußballer selbst haben sich in der jüngeren Vergangenheit vergeblich an Erklärungen versucht, wenn der HSV mal wieder an sich selbst gescheitert war. Eine abschließende Erkenntnis jedoch blieb aus, das Unerklärliche bleibt unerklärlich - und das Schauspiel vollzieht sich einfach weiter.

Die neueste Episode: Nordderby bei Hannover 96, Spitzenspiel in der zweiten Liga. Der HSV spielte wie ein Aufsteiger, routiniert, organisiert und effizient. Kurz nach der Halbzeitpause erzielte Aaron Hunt seinen dritten Treffer, was passte, der Spielmacher war auch ansonsten der herausragende Akteur des Tages. Hunts sattem Linksschuss zur 3:0-Führung wurde von der Ersatzbank des HSV mit stehenden Ovationen gehuldigt, die Partie war im Grunde entschieden. Oder? War sie nicht, der HSV bleibt manchmal das Klischee seiner selbst: am Ende stand es trotzdem nur 3:3-Unentschieden.

HSV-Torwart Sven Ulreich spricht von "dummen Fehlern"

"Völlig überflüssig", fand der sichtlich pikierte HSV-Trainer Daniel Thioune: "Im Fußball darf man mit vielen Dingen rechnen, bei uns auch mal mit besonderen Dingen." Torwart Sven Ulreich sprach von "dummen Fehlern", gerade "in der Phase, in der wir uns befinden": ein verzwickter und enger Kampf um den Aufstieg, wie es ihn schon lange nicht mehr gab. Ganz vorne in der Tabelle steht Bochum, dahinter folgen der HSV und die punktgleichen Fürther, die sich in ihren vergangenen beiden Partien mit Last-Minute-Toren wichtige Punkte sichern konnten. Sozusagen die umgekehrte HSV-Dramaturgie. Und dicht dahinter lauert schon Kiel, das am Wochenende zwar gegen Bochum im anderen Spitzenspiel verloren hat, allerdings aufgrund einer Corona-Quarantäne noch zwei Nachholpartien bestreiten darf.

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Ausrutscher kann sich keiner aus dem Quartett leisten, der HSV leistet sich diese aber eben doch manchmal. Und das meist, wenn die Mannschaft zuletzt eigentlich stabil und selbstbewusst gewirkt hatte: In Aue wurde aus einer 2:0-Führung mal ein 3:3, in Heidenheim ein 2:3, im Stadtderby gegen St. Pauli fiel der Treffer zur 0:1-Niederlage kurz vor Schluss. Nicht auszudenken, wie souverän die Hamburger in der Tabelle voraus galoppieren könnten, wenn sich solche Kapitalpatzer nicht ständig wiederholen würden. Stattdessen wabern wieder die Erinnerungen an die vergangenen beiden Saisons über dem Volkspark, als der HSV den sicher geglaubten Aufstieg im Endspurt doch noch verspielte. Und nun also dieses sensationell unnötige Remis in Hannover.

Stürmer Bobby Wood vergibt zwei Großchancen kläglich

Das Gesicht des Scheiterns ist in weiten Teilen der HSV-Anhängerschaft das von Stürmer Bobby Wood, ein Kaderrelikt aus Erstligazeiten mit entsprechendem Gehalt. Nicht immer war das fair, der Ausflug nach Niedersachsen dürfte seine Beliebtheitswerte jedoch nicht gerade gesteigert haben. Wenn drei Treffer schon nicht zur Vorentscheidung reichen, dann ja vielleicht derer vier, aber Wood versemmelte zwei Mal beste Gelegenheiten, weil er nach flachen Hereingaben mit seinem rechten Fuß abschließen wollte, obwohl der linke die richtige Wahl gewesen wäre.

Das ist einfachstes Stürmer-Einmaleins, das der HSV-Torjäger Simon Terodde natürlich auswendig aufsagen kann: der kam nach einer überstanden Corona-Infektion nur für die Schlussphase und erzielte sogar ein Tor, vor dem er nach Ansicht des Videoassistenten aber ein paar Nanometer im Abseits gestanden haben soll. Auf den handelsüblichen Fernsehbildern war das nicht zu erkennen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der HSV seine Dominanz bereits eingebüßt, und die ebenfalls mit Aufstiegsambitionen in die Saison gestarteten Hannoveraner verfügen über genug Qualität, auf die Offerten eines inzwischen wankenden Zweitligisten einzugehen: Stürmer Marvin Duksch und Spielmacher Genki Haraguchi (doppelt) trafen noch für 96, weil der HSV in der zweiten Hälfte mit defensiven Nachlässigkeiten das erforderliche Beiwerk leistete.

Vor der Partie hatte der Hamburger Trainer Thioune dem Onlineportal T-online gesagt, dass die Enttäuschungen der vergangenen Jahre für ihn ein "Antrieb" seien. Und: "Wir müssen einen Raum für uns schaffen, der viele positive Erinnerungen in sich birgt." Es darf davon ausgegangen werden, dass das Spiel in Hannover eher nicht dazugehört.

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