Dass just dieses eine Schmäh-Banner gegen Dietmar Hopp in Hoffenheim so eine Wucht entfalten konnte, verdankt sich nur dem demonstrativen Ballgeschiebe am Ende. So etwas gab's noch nie; alles andere gehört ja zur festen Sehgewohnheit in der Bundesliga. Aber: War diese Spielverweigerung wirklich so demonstrativ? Hat der Profibetrieb jetzt endlich seine Messlatte gelegt, die rote Linie durchs Stadion gezogen?
Hat er nicht. Er arbeitet weiter mit jener Art Symbolik, die seinen Geschäftsfrieden nicht stört. Kalkül oder nicht, das Ballgeschiebe war angesichts des Spielstands von 0:6 der Königsweg für alle Beteiligten. Der DFB muss keinen spektakulären Spielabbruch aufarbeiten. Die Bayern hatten ihre Punkte sicher - aber hätten sie das Spielen auch beim Stand von 1:1 eingestellt und sich mit einem Punkt im Titelkampf beschieden? Und die TSG musste nicht noch mehr Treffer einstecken und sich später fürs größte Desaster seit Erstligazugehörigkeit rechtfertigen.
Ein echtes Zeichen hätte ein Spielabbruch gesetzt. Oder eine Verweigerung, wie am Samstag, aber dann bei einem offenen Zwischenstand - kurz: etwas, bei dem die Beteiligten selbst hätten Verzicht üben müssen für eine größere Sache.
Gewiss, es ist inakzeptabel, jemanden als "Hurensohn" zu schmähen. Aber um den Milliardär Hopp, der seinen Traum lebt und aus dem Nichts in eine gewachsene Klublandschaft pflanzte, geht es hier kaum noch. Hopp ist zum Kollateralopfer in einer Kontroverse um alte Versprechen und neue Sanktionen geworden, die ein Teil der Fans mit dem DFB führt. Beteiligt sind auch Fankreise, die sich bisher als vernünftig, teils vorbildlich zeigten. Das Problem ist also komplex. Aber das Ballgeschäft ist leider nur im Simplifizieren Spitze und deshalb außerstande, heiklere politische Konflikte zu bewältigen.
Hoffenheim ist nicht der Tiefpunkt der Auswüchse - wie DFB und DFL behaupten
So ist Hoffenheim keineswegs der "Tiefpunkt" der Auswüchse, wie Spitzenvertreter von Klubs, DFB und DFL nun behaupten. Schlimmeres gab es allein in den letzten paar Wochen. Von den Fadenkreuz-Bildern gegen Hopp in Gladbach und Berlin, die in aufgeladenen Zeiten wirre Nachahmer reizen könnten, bis zu einer Dimension tief unter jeder Hurensohn-Parole: Rassistische Anfeindungen wie jüngst gegen den Berliner Profi Jordan Torunarigha. Die Hopp-Debatte ist in der Ausführung übel entgleist, am Anfang stand aber zumindest ein Anliegen, etwas, das greifbar war. Rassismus greift Menschen an, nur weil es sie gibt.
Warum war Torunarigha kein Wendepunkt? Oder die gruselige Neonazi-Debatte bei Drittligist FC Chemnitz im letzten Sommer? Rassisten, Rechtsradikale im Stadion - dagegen gibt's nur Spielerkreise, Stadiondurchsagen. Den Ballbetrieb haben kriminelle Strukturen seit so langer Zeit durchdrungen, dass er seine Lieblingsfloskel getrost vergessen kann: Er sei nur das Opfer gesellschaftlicher Fehlentwicklungen. Just für diese bieten die Stadien seit jeher eine Bühne. Der Fußball ist überfordert. Als Milliardenbranche, die zur gewaltigsten Gesellschaftsbewegung unserer Zeit wurde, beherrscht er noch in Zeiten von Coronavirus und Flüchtlingskrisen die Debatte. Er bräuchte also dringend angemessenes Führungspersonal, Leute, die den Anforderungen jenseits der Stadionschüssel gewachsen sind. Was er nicht braucht in dieser gesellschaftlichen Dimension, sind politische Naivlinge, die stur an Bilanzen denken und Kritiker nur brauchen, um Offenheit zu simulieren. Fußballfunktionäre erneuern sich aber aus der eigenen Ursuppe, das macht die Akteure auf wie abseits des Rasens immer substanzloser.
Wie schwach das Sensorium für gesellschaftliche Themen ist, führte am Samstag der neue DFB-Chef vor. Hoffenheim? Chaoten, die nur "das Spiel zerstören" wollten. Rassismus in der Kurve? Wenn erst einmal die Profis deshalb vom Feld gingen, sagte Fritz Keller im ZDF-Sportstudio, "dann müssen die Leute eben diese Zivilcourage zeigen und sagen, wir sind hier zum Fußballspielen und nicht für anderes". Rätselhaft. Wer soll Courage zeigen? Offenbar das Stadionpublikum. Was aber heißen würde: Löst eure Probleme auf der Tribüne selbst.
Wer so fabuliert, hat auch den Betroffenen wenig mitzuteilen. Dem Nationalspieler Antonio Rüdiger, der festhielt, dass vorgedruckte, von Spielführern verlesene Fensterreden nicht mehr ausreichten, hielt Keller den Dreistufen-Plan des DFB entgegen, den er für ausreichend hält. Die Gesellschaftsbewegung Fußball hat genug Strukturprobleme, aber seine Sachwalter sind vielleicht das größte. In Hoffenheim war der DFB das Ziel der Störer, die Hopp-Schmähung war ihr Mittel. Wenn die Branche all ihre Botschaften nicht mal lesen will, ist zu befürchten, dass sie aus der anschwellenden Flut aus Feindbildern und Hassparolen bald ein eigenes Panini-Album bestücken kann.