Hertha BSC:"Trainingsgruppe 2" statt Alpen-Idylle

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Gutverdiener zu verkaufen: Lucas Tousart (links) und Dodi Lukebakio sind beim klammen Absteiger Hertha nicht mehr gefragt. (Foto: Sebastian Räppold/Matthias Koch/Imago)

Der Bundesliga-Absteiger reist nur mit einem Teil der Belegschaft ins Trainingslager nach Österreich. Die Gutverdiener Lukebakio, Tousart und Piatek dürfen nicht mit - sie sollen Transfererlöse bringen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Mittwoch reist Hertha BSC ins Trainingslager nach Österreich, abweichend von früheren Reisen ins Ausland per Linie, nicht im Charterflieger. Der Bundesliga-Absteiger muss dem Umstand Rechnung tragen, dass er selbsterklärtermaßen "ein Sanierungsfall" ist - und jeden Cent zwei Mal umdrehen. Vor allem aber muss Hertha auch Einnahmen generieren, insbesondere auf dem Transfermarkt. Und diese finanziellen Erfordernisse tragen zum Teil dazu bei, dass bisherige Leistungs- und Sympathieträger der Berliner nun ihre Übungen auf dem Schenckendorffplatz des Olympiageländes absolvieren müssen, statt mit den bisherigen Spielkameraden die alpengesäumte Trainingsidylle in Zell am See zu genießen.

Betroffen sind die Spieler mit den höchsten Marktwerten im Kader. So wird Medienberichten zufolge dem polnischen Nationalstürmer Krzysztof Piatek (Anschaffungspreis: 24 Millionen Euro), dem bisherigen Kapitän Lucas Tousart (25 Millionen) und dem belgischen Stürmer Dodi Lukebakio (20 Millionen) ein Boarding-Pass nach Österreich verweigert werden. Auch Alexander Schwolow, einer von immer noch fünf Torhütern bei Hertha, soll in Berlin bleiben. Mittelfeldspieler Suat Serdar befindet sich nach einer Verletzung im Aufbautraining.

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Herthas Pressestelle teilte am Dienstag auf Anfrage mit, dass man erst am Abflug-Gate "final" sagen könne, wer mitfliegt. Trainer Pal Dardai hatte zuletzt aber angedeutet, dass er eine Art "Trainingsgruppe 2" für zeitweilig ausrangierte Spieler bilden werde. Um die vertraglichen Pflichten zu erfüllen, gehe es darum, die Spieler, die später aus dem Urlaub zurückgekehrt sind, erst mal fit zu bekommen - unabhängig davon, ob sie bleiben oder gehen. Sie sollen unter Anleitung eines Trainers mit Pro-Lizenz auch am Ball trainieren dürfen. Aber auch andere Spieler sind erst nach dem Trainingsstart zurückgekommen - und kommen dennoch in den Genuss des Österreich-Ausflugs.

Das illustriert, dass mindestens faktisch Druck auf das Sextett ausgeübt werden soll, den Verein rasch zu verlassen. Hier und da tauchen immer wieder mal Gerüchte über mögliche Transfers ins Ausland auf (Lukebakio und Tousart nach Italien? Serdar in die Türkei? Piatek nach Spanien?), doch konkret wurde bislang nichts. Einerseits, weil der Transfermarkt nur schleppend in Gang kommt, andererseits wohl auch, weil die Spieler bei Hertha gut verdienen, allen voran Piatek.

Kündigungen wären kontraproduktiv, weil sie Transfererlöse für Hertha verhindern würden

Für Hertha wäre es allein aus praktischen Gründen wichtig, möglichst bald Spieler loszuwerden. Laut Arbeitsrechtlern lässt sich eine Teilung der Belegschaft temporär rechtfertigen - nicht aber, wenn die Mannschaft auf dem eigenen Gelände dem normalen Betrieb nachgeht. Dann muss schon die ganze Kapelle auf den Trainingsplatz; und zurzeit beschäftigt Hertha fast 40 Profis. Theoretisch könnte der Klub außerordentliche Kündigungen aussprechen, aber das wäre kontraproduktiv, weil sich der Zweitligist damit um mögliche Transfereinnahmen brächte.

Und wer weiß, wozu die noch gut sind. Die Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg meldete am Dienstag, dass der Hertha-Investor 777 Partners frisches Geld suche. Die US-Firma habe die Sportberatungs- und Finanzagentur "Tifosy Capital & Advisory" beauftragt, 200 Millionen Euro aufzutreiben. 777 Partners hat in den vergangenen Jahren mindestens 900 Millionen Euro in den Kauf von sieben Profiklubs investiert, die ausschließlich defizitär wirtschaften.

Zugang Toni Leistner wird per Transparent mitgeteilt, er möge sich wieder "verpissen"

Abgesehen davon bringen Kündigungen, wie zuletzt bei mehreren Mitarbeitern geschehen, eine Reihe von Scherereien und peinliche "Personalchaos"-Schlagzeilen mit sich, wie zuletzt in der Bild. Obwohl sich Hertha im einen oder anderen Entlassungsfall außergerichtlich einigen konnte, waren am Dienstag vier Kündigungsschutzklagen von früheren Klubangestellten gegen den Zweitligisten anhängig. Wie das Berliner Landesarbeitsgericht bestätigte, sind der frühere Nachwuchsakademieleiter Pablo Thiam, der vormalige Mediendirektor Marcus Jung und Ex-Torwart Rune Jarstein gegen ihren Rausschmiss vorgegangen. Im Falle Jarsteins gibt es sogar schon einen Kammertermin (17. August). Die Absetzung des vormaligen Geschäftsführers Fredi Bobic beschäftigt wiederum das Berliner Landgericht.

Doch nicht nur mit der von Präsident Kay Bernstein seit Amtsantritt beschworenen "neuen Verabschiedungskultur" hapert es gerade. Auch die Willkommenskultur wirft Fragen auf. Abwehrspieler Toni Leistner wurde - offenbar von Hertha-Fans - auf dem Trainingsgelände mit einem Transparent empfangen, auf dem zu lesen war, er möge sich wieder "verpissen". Der Grund: Leistner ist bekennender Sympathisant seines früheren Vereins 1. FC Union Berlin.

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