Leipzig-Erfolg in Berlin:RB multipliziert die Hertha-Nöte

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Umstrittene und entscheidende Szene: Leipzigs Amadou Haidara (in Rot) trifft im Gewusel gegen die Hertha. (Foto: O. Behrendt/Imago)

Die Berliner ärgern sich beim 0:1 mächtig über die Szene, die zum entscheidenden Treffer für Leipzig führt. Trainer Schwarz wird gegenüber den Schiedsrichtern emotional - doch zur Niederlage tragen auch eigene Fehler bei.

Von Javier Cáceres, Berlin

Durch die Macht der Gewohnheit hat RB Leipzig im Kampf um die Champions-League-Plätze Boden gutgemacht - und die Abstiegssorgen von Hertha BSC multipliziert. Am Samstag siegten die Leipziger wie bei ihren sechs vorangegangenen Visiten bei der Hertha im Olympiastadion - und schoben sich durch ein 1:0 am SC Freiburg vorbei auf den vierten Tabellenplatz.

Die Berliner haderten über das Tor zum 0:1-Rückstand aus der 40. Minute. Es fand erst nach einer gut zweiminütigen, multilateralen Konferenz Anerkennung - und wurde offiziell Amadou Haidara zugeschrieben. Insbesondere Trainer Sandro Schwarz protestierte heftig. Die Außenmikrofone fingen ein, wie Schwarz einem Beteiligten gegenüber den vierten Offiziellen wiederholt und emotional als "völlig überfordert" titulierte. Doch an der Legalität des Treffers gab es keinen hinreichenden Zweifel.

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Auch beim mühsamen 1:0 im Breisgau fehlt es den Münchnern an Leichtigkeit. Nach dem Spiel provoziert Joshua Kimmich die gegnerischen Fans - eine Szene, die tief blicken lässt.

Von Sebastian Leisgang

Er fiel nach einem Eckstoß, den Dominik Szoboszlai, mit reichlich Paprikapulver aus seiner ungarischen Heimat versehen, in den Fünfmeterraum getreten hatte. Dass Schwarz seinen eigenen Tormann, den Dänen Oliver Christensen, für völlig überfordert hielt, liegt zwar jenseits menschlicher Vorstellungskraft: Es hätte aber gar nicht so schlecht gepasst. Er stand suboptimal, sprang zu spät hoch und schaffte es nur noch, den Leipziger Verteidiger Mohamed Simakan zu bedrängen, der den Ball mit dem Kopf erwischte und Richtung Tor bugsierte.

Christensen schaffte es offenkundig, den Ball auf der Linie wieder ins Spielfeld zu wischen - doch Haidara drückte ihn aus wenigen Zentimetern Entfernung ins Netz. Die VAR-Prüfung ergab, dass Haidara dabei auch nicht im Abseits gestanden hatte. Und das bedeutete, dass Hertha um die Früchte einer aufopferungsvollen Arbeit gebracht wurde.

Nach der Partie übte zunächst - anstelle von Schwarz - Schiedsrichter Aytekin in der Mixed Zone Kritik am Hertha-Torwart: "Das war schlecht verteidigt." Er habe "sofort" gesehen, dass es kein Foul gewesen sei, Simakan habe vor Christensen gestanden, mithin habe er kein Foul begehen können. Die Überprüfung durch den VAR habe gedauert, weil drei mögliche Vergehen geprüft wurden: Foul, Handspiel und Abseits. Alles sei negativ beschieden worden. Zuspruch bekam Aytekin von Herthas Oldie Kevin Prince Boateng. Aytekin habe nicht alles richtig gepfiffen, aber beim Tor richtig gelegen. "Geil!", antwortete Aytekin, "so sind Charakterspieler!"

Hertha-Coach Schwarz wiederum zeigte sich nicht so freundschaftlich. Er hielt seine Kritik an Aytekin aufrecht. Er warf dem Referee vor, die Spielsituation "nicht erfasst" zu haben. Er habe das Tor nicht sofort angezeigt. "Dabei bleibe ich", sagte Schwarz. Er konzedierte aber auch, dass seine Mannschaft die Standardsituation tatsächlich hätte besser verteidigen können. Warum Aytekin sich dazu geäußert habe, "muss er beantworten."

Cheftrainer Sandro Schwarz von Hertha BSC regte sich auf, das Gegentor hätte aus seiner Sicht nicht zählen dürfen. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Die Partie in Berlin hatte anfangs einige Parallelen zum Leipziger Pokalduell vom Mittwoch gegen Dortmund aufgewiesen. Die Leipziger packten die Trompeten aus, die Dortmund eingeschüchtert hatten, und bliesen zum Angriff. Aber: Sie vergaßen, die Schalldämpfer abzuziehen. Forsberg bediente Timo Werner, der im Strafraum verzog (4. Minute), wenige Sekunden später hielt Forsberg aus 17 Metern selbst drauf. Da wirkte Christensen gehörig unsicher: Er hatte das Glück, dass der Ball von seiner Brust ins Toraus sprang.

Hertha kühlt die Partie herunter, doch Chancen springen gegen Leipzig kaum heraus

In der Folge aber begab es sich, dass Hertha etwas machte, was die Dortmunder am Mittwoch unterlassen hatten. Sie kühlten, ohne zu zwingenden Chancen zu kommen, die Temperatur der Partie herunter, indem sie tief, dicht und clever verteidigten, ohne dabei gänzlich auf Ausflüge in die gegnerische Hälfte zu verzichten. Das Rezept ging auf. Bis das Tor fiel, hatte Hertha im Grunde nur noch eine gefährliche Situation zu überstehen: Als der Videoschiedsrichter sich auch nach Ansicht von Standbildern und Videobildern dazu entschied, eine Attacke von Hertha-Verteidiger Marc-Oliver Kempf auf Benjamin Henrichs für passabel zu deklarieren.

Nach der Pause versuchte Hertha den Druck zu erhöhen. Doch zu zwingenden Torchancen führte das nicht, so dass nach gut 60 Minuten die Stunde der Trainer schlug. Schwarz wechselte Marco Richter, Suat Serdar und Jessic Ngankam für Boateng, Cigerci und Kenny ein, um die Offensive zu beleben; sein Freund und Kollege Marco Rose antwortete mit der Hereinnahme des Portugiesen André Silva und Dani Olmo, um die größer werdenden Räume besser zu nutzen. Es entwickelte sich ein leidenschaftlicher Kampf, den Leipzig strukturierter und auch mit größerer individueller Klasse zu führen wusste.

Aber: Hier wie da hielten die Abwehrreihen den Angriffsversuchen ihrer jeweiligen Gegner stand. Erst in der Schlussphase kam es wieder zu größeren Chancen. Erst durch Berlins Serdar - doch seinen Schuss aus spitzem Winkel parierte Janis Blaswich mit einer guten Fußabwehr im Stile eines Handballtorwarts. Auf der anderen Seite leitete Szoboszlai einen Konter ein, den er selbst abschloss: Seinen Schuss parierte Christensen; Klostermann traf im Nachschuss nur das Außennetz. Die Partie blieb ohne weitere Treffer, die die Macht der Gewohnheit noch hätten infrage stellen können.

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