Hertha BSC:Die Tragik abonniert

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Abgezockt: Dani Olmo überwindet Berlins Torwart Alexander Schwolow. (Foto: John Macdougall/AFP)

Dani Olmo, den Jürgen Klinsmann einst nach Berlin lotsen wollte, leitet einen am Ende überdeutlichen Leipziger Sieg ein. RB scheint damit nach einer bisher zähen Saison auf Kurs zu sein. Und Hertha? Tja ...

Von Javier Cáceres, Berlin

Im Januar 2020 bekam Dani Olmo einen Anruf. Von Jürgen Klinsmann, der damals noch von der Aura lebte, einst deutscher Nationalcoach gewesen zu sein und gerade Trainer war bei der Berliner Hertha, dem spannendsten Fußballprojekt Europas, wie er zu sagen pflegte.

Wo er gerade sei, wollte Klinsmann von Olmo wissen, und der Spanier antwortete, dass er gerade in Leipzig sitze und bei RB den Medizincheck absolviert habe. "Hast du schon unterschrieben?", hakte Klinsmann nach. Nein, sagte Olmo. Noch nicht. "Unterschreib nicht!!!", habe Klinsmann in den Hörer gerufen, so sagt es einer, der dabei war, "tu's nicht!!" Er hole ihn stattdessen nach Berlin, das war Klinsmanns Botschaft. Doch Olmo erklärte, dass ihm sein Wort heilig sei, und dieses habe er eben schon den Leipzigern gegeben.

Olmo ist noch immer bei RB angestellt, und er war deshalb am Sonntagabend für ein Bundesligaspiel zu Gast in Berlin. Eine Stunde saß er im Olympiastadion auf der Bank. Dann wechselte ihn der Leipziger Trainer Domenico Tedesco ein. Aus einem 1:1, das auf wackligen Füßen stand, wurde nach Olmos Hereinnahme ein 6:1 für die Leipziger, die nach einer lange Zeit zähen Saison nun ihre Reiseflughöhe erreicht haben. Aus neun Bundesligaspielen holte RB zuletzt sechs Siege, man steht wieder auf dem anvisierten vierten Tabellenplatz - und hat in Berlin Selbstvertrauen aufgebaut für die Europa-League-Aufgabe am Donnerstag im baskischen San Sebastián (Hinspiel: 2:2).

Und die Hertha? Tja ...

Hertha im Jahr 2022 ist wie ein Zirkus mit Trapezkünstlern, die Höhenangst entwickeln

Wie man es auch dreht und wendet, irgendwann kommt immer ein Punkt, an dem man in der vorpandemischen Zeit landet. Das heißt: In jenen Tagen, als die Berliner vergleichsweise in Geld schwammen, weil Investor Lars Windhorst anfing, zig Millionen in die Hertha zu pumpen. Dieses Geld darf - durch ein rein fußballerisches Prisma betrachtet - bereits als verjubelt angesehen werden. Es ist, als wäre die Hertha wie ein Zirkus, der Trapezkünstler mit Höhenangst holt.

Reichlich müßig ist, darüber zu spekulieren, was wohl aus dem begnadeten Fußballer Dani Olmo geworden wäre, hätte ihn der Anruf Klinsmanns im Namen der Hertha zu einem Zeitpunkt erreicht, da er sich noch nicht für Leipzig entschieden hatte. Vielleicht wäre Olmo längst wieder weg aus Berlin, wie die junge Sturmhoffnung Matheus Cunha, die ebenfalls in jenem Januar 2020 von der Hertha verpflichtet wurde und sich bei der brasilianischen Nationalmannschaft festgespielt hat - nach dem Weggang zu Atlético Madrid. Vielleicht wäre Olmo auch verliehen worden wie Krzysztof Piatek, dem sie in der italienischen Serie A genau das Milieu gebaut haben, das ein sogenannter Knipser braucht (und ihm die Hertha nie bereitstellte). Piateks jüngste Bilanz: fünf Spiele für Florenz, sechs Tore.

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Vielleicht wäre Olmo aber immer noch in Berlin, wie Santi Ascacíbar, der damals aus Stuttgart kam und Pi mal Daumen nur halb so teuer war wie Lucas Tousart, für den die Hertha eine Klub-Rekordablösesumme von rund 24 Millionen Euro zahlte. Am Sonntagabend indes wäre Olmo, sofern er in Diensten der Hertha gewesen wäre, mit einiger Wahrscheinlichkeit Corona-infiziert gewesen. Denn der Klub musste über Nacht auf acht Spieler und sieben Staff-Mitglieder verzichten, die allesamt positiv getestet worden waren. Irgendwas ist ja immer in diesem Klub - mal aus eigenem Verschulden, mal aus purer Tragik, auf die die Hertha mit dem Windhorst-Geld abonniert zu sein scheint.

Eine Stunde lang hielten die Berliner gegen Leipzig mit. Sie hätten nach dem 1:1 (47.), mit dem Stevan Jovetic kurz nach der Pause das 0:1 (20.) durch Benjamin Henrichs ausglich, sogar 2:1 in Führung gehen können. In dieser kurzen Hoffnungsphase der Hertha jedoch parierte RB-Torwart Peter Gulacsi eine von zwei Jovetic-Chancen glänzend: "Pete hat uns im Spiel gehalten", lobte RB-Coach Domenico Tedesco. Und dann brach die Partie erneut, diesmal endgültig zu Herthas Ungunsten.

Dani Olmo, 23, kam aufs Feld, spielte einen intelligenten Vertikalpass auf den bis dahin eher unauffälligen Christopher Nkunku, weil er sah, dass Hertha-Verteidiger Marc Kempf falsch stand. Damit beschwor Olmo das Berliner Drama herauf: Nkunku sprintete mit dem Ball in den Strafraum, sein Bewacher Kempf setzte irgendwo an der früheren Zonenrandgrenze zu einem Foul an, das sich bis in den Strafraum zog - und schwerste Folgen hatte: Kempf sah wegen Notbremse die rote Karte, Nkunku verwandelte den Elfmeter selbst zum 2:1 (64.). Und noch schlimmer für die Hertha: Jovetic ging direkt nach dem Tor an die Seitenlinie und sagte seinem Trainer Tayfun Korkut, dass ein Muskel zwicke.

Die Sorgen der Berliner für das kommende Spiel in Freiburg (Samstag) werden dadurch noch größer werden, zumindest Kempf fehlt gesperrt. Gegen Leipzig fielen in der letzten halben Stunde dann die Gegentore in Unterzahl mit bedenklicher Zwangsläufigkeit. Neuerlich Nkunku (67.), Olmo (74.), Amadou Haidara (82.) und Yussuf Poulsen (88.) machten das halbe Dutzend Leipziger Treffer perfekt. Herausragend in Szene setzte sich Olmo, der an insgesamt vier Treffern entscheidend beteiligt war.

Die einzige Fahne, die die Herthaner noch in den Wind hielten, war blütenweiß und bedeutete Kapitulation. Dennoch mühte sich Trainer Korkut am Montag nach Kräften, dem der Hertha zugeneigten Teil der Hauptstadt einen Teufel namens Defätismus auszutreiben.

Die Berliner stehen in der Rückrundentabelle auf dem letzten Platz - punktgleich mit Stuttgart

"Das Ergebnis kann und will ich nicht kleinreden", sagte er, "aber ich werde auch die Leistung nicht kleinreden lassen, vor allem die ersten 62 Minuten nicht." Nur: Sechs Gegentore sehen nicht nur schlecht aus, sondern die können angesichts der engen Lage im Tabellenkeller noch eine diabolische Dynamik entwickeln. Hertha hat ein miserables Torverhältnis (minus 26), nur die abgeschlagenen Fürther stehen noch schlechter da (minus 40), die nächstbesseren Abstiegsmitbewerber (Stuttgart und Mönchengladbach) haben 16 Tore weniger geschossen als kassiert. Im laufenden Kalenderjahr steht die Hertha noch ohne Sieg da, in der Rückrundentabelle werden sie gar an letzter Stelle geführt, punktgleich mit Stuttgart. "Wir jammern nicht, wir gehen positiv nach vorne", sagte Hertha-Manager Fredi Bobic und sorgte damit für einen Moment unfreiwilliger Komik. Denn die Hertha muss am Abgrund verortet werden.

Tatsache ist: Bobic möchte unter allen Umständen jede falsche Bewegung vermeiden. Am Sonntag bekannte er sich unmissverständlich zu Korkut, dem ersten Trainer, den er nach seinem Wechsel aus Frankfurt nach Berlin im Sommer selbst zur Hertha geholt hat - der aber nach Bruno Labbadia und Pal Dardai schon der dritte klassische Feuerwehrmann auf der Trainerbank ist. "Er macht das so, wie man sich das in der Situation vorstellt. Null Aktionismus, ein ganz klarer Plan", sagte Bobic über Korkut. Einiges davon hatte man am Sonntag wirklich so gewesen - bis zur Einwechslung von Olmo.

Jetzt seien Nehmer-Qualitäten gefragt, sagte Korkut am Montag. Und er schickte ein Versprechen hinterher: "Wir stehen wieder auf."

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