Hertha BSC:Purzelbäume und taktische Experimente

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Am liebsten im Zentrum des Spielgeschehens: Hertha-Profi Suat Serdar (vorne). (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Für Kreativspieler Suat Serdar sah es bei der Hertha gut aus, inzwischen stagniert seine Entwicklung erneut. Das liegt an den chaotischen Verhältnissen im Klub - und an den Aufgaben, die er erfüllen soll.

Von Philipp Selldorf, Berlin/Köln

Am Montag hatte Suat Serdar Geburtstag, der Mittelfeldspieler von Hertha BSC wurde 25 Jahre alt. Berichten zufolge, unter anderem laut der Nachrichtenagentur dpa, ergab sich zu diesem Anlass am Berliner Trainingsplatz ein Dialog mit Felix Magath. Was er sich denn zum Geburtstag wünsche, fragte der Hertha-Trainer. "Lasst uns gut trainieren und den Sieg holen, die wichtigen drei Punkte", antwortete Serdar. "Das machen wir für dich", erwiderte Magath.

Dieser frühlingssonnenhaften, oberflächlich heiter wirkenden Szene haftet, man kann sich da nicht helfen, auch etwas verborgen Unheimliches an. "Das machen wir für dich" - das ist ja kein typischer Felix-Magath-Satz. Erfahrene Magath-Schüler wissen: Tritt der strenge Trainer solchermaßen väterlich auf, dann ist erst recht Vorsicht geboten. Schon bald könnte sich ein Abgrund auftun.

Am vergangenen Samstag, beim klar verlorenen Stadtderby gegen den 1.FC Union, kam der viermalige DFB-Nationalspieler Serdar erst eine Viertelstunde vor Schluss ins Spiel. Magath, der Rätselhafte, beließ seinen kreativsten Mitarbeiter bis dahin in der Reserve. Für das heftige 1:4 konnte man Serdar demnach kaum haftbar machen, dennoch gehörte er zu den unglücklichen Hertha-Profis, die sich nach der Partie vor die Fan-Kurve stellten und von den Leuten beschimpfen ließen.

Was er dabei empfunden hat, das hat er nicht öffentlich erzählt, aber dass er sich nicht wohlfühlte, darf man wohl voraussetzen. Und sicherlich dürften ihm auch ein paar Erinnerungen an die vorige Saison durch den Kopf gegangen sein. Denn der Abstieg mit Schalke 04 war nicht nur ein sportlicher Tiefpunkt in Serdars Karriere.

Zwiespältiges Dejavu: Den berüchtigten Konditionstrainer Werner Leuthard durfte Serdar schon auf Schalke erleben

An jenem Dienstagabend im Frühjahr 2021, an dem nach einer Niederlage in Bielefeld Klarheit über Schalkes Schicksal herrschte, wurde die Mannschaft in Gelsenkirchen von Fans empfangen, denen es nicht genügte, ein paar Beleidigungen gegen die Spieler loszuwerden. Es gab Übergriffe und Jagdszenen. Serdar traf bei der Heimkehr vor seinem Haus ungebetene Gäste an - Mitglieder einer Fraktion der Schalker Fanszene, die einen beunruhigenden Ruf hat. Klugerweise verzichtete der Hausherr auf ein Zwiegespräch, drehte bei und übernachtete im Hotel auf dem Klubgelände. Die damaligen Erlebnisse, so heißt es in seiner Umgebung, beschäftigen Serdar immer noch.

Mit dem Wechsel zu Hertha BSC sollte die stagnierende Karriere des anerkannt vielseitig talentierten Mittelfeldspielers wieder in Gang kommen. In Berlin erwartete er stabilere Verhältnisse. Zuerst habe er sich "überzeugt, dass ich in ein gutes Umfeld komme", hatte Serdar im Sommer erzählt. Er brauche "eine richtig gute und eine ruhige Umgebung, um meine fußballerischen Fähigkeiten abzurufen". Man merkte: Ein extrovertierter Mensch ist er nicht unbedingt. Anfangs sah es gar nicht schlecht aus am Fluchtpunkt Berlin, doch inzwischen steckt die sportliche Entwicklung erneut fest. Zur Erklärung auf die chaotischen Verhältnisse im Klub hinzuweisen, dürfte kein falsches Alibi ausstellen.

Schillers Glocke lässt sich ja leichter auswendig lernen als die Namen aller Trainer, auf deren Kommando Serdar in den vergangenen knapp zwei Jahren hat hören müssen: David Wagner, Manuel Baum, Huub Stevens, Christian Groß und Dimitrios Grammozis in Gelsenkirchen; Pal Dardai, Tayfun Korkut sowie Mark Fotheringham & Felix Magath in Berlin. Zugabe: Das Wiedersehen mit Werner Leuthard, 60, den Serdar schon auf Schalke erleben durfte - noch so ein zwiespältiges Dejavu. Der berüchtigte Konditionstrainer leitete die Kraft- und Ausdauerzirkel im Hertha-Trainingslager während der Länderspielpause. Beobachter meldeten, beim Programm mit Seilklettern, Purzelbäumen und Medizinbällen habe "Turnvater Jahn gegrüßt".

Mit Dardai hatte sich Serdar noch ordentlich verständigen können. Mit Korkut wurde es deutlich schwieriger, der Trainer hatte Ideen, die der Spieler nicht teilte. Darin liegen sowohl Fluch als auch Segen eines wandlungsfähigen Fußballers, wie Serdar es ist: Seine Gabe verführt die Einsatzleiter zu seltsamen Experimenten. Domenico Tedesco holte den technisch versierten und zweikampfstarken Serdar 2019 als sogenannten Box-to-Box-Spieler und als Nachfolger von Leon Goretzka nach Schalke, für ebenjene Rolle, in der sich der Betroffene selbst am besten aufgehoben fühlt. In Berlin hat Serdar seit August schon alle möglichen Positionen besetzt - nur nicht die gewünschten in der Zentrale. Er war schon Links- und Rechtsaußen und zuletzt sogar Halbstürmer, weil Magath meinte, er sei doch der Einzige, der für Tore sorgen könne.

Als falsche Neun hat sich Suat Serdar bisher noch nicht gesehen, aber wenn er dafür mehr als 16 Einsatzminuten bekäme, würde er vermutlich sogar diesen Job übernehmen. Magaths Pläne kennt jedoch niemand, womöglich nicht mal er selbst.

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