Hertha BSC:Demütigung vor der Kurve

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Nach der dritten Derby-Niederlage der Saison war der Zorn mancher Hertha-Ultras immens - und mancher Hertha-Profi folgte ihrer Aufforderung, das Trikot auszuziehen. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Nach dem 1:4 gegen Union beschwören die radikalsten Hertha-Fans einen neuerlichen Eklat herauf: Sie sprechen den Spielern die Ehre ab - und zwingen sie dazu, ihre Trikots auszuziehen. Die Mission Abstiegskampf wird in Berlin um den Faktor Angst erschwert.

Von Javier Cáceres, Berlin

Wie es um den Zusammenhalt der Hertha bestellt ist, konnte man auch eingangs des Spielertunnels sehen. Als der argentinische Mittelfeldspieler Santi Ascacíbar nach dem 1:4 im Berliner Derby gegen den 1. FC Union mit nacktem Oberkörper den Weg in die Kabine antrat. Und sich die Luft im erstmals seit mehr als zwei Jahren vollbesetzten Olympiastadion mit Beleidigungen füllte. Irgendein erzürnter Hertha-Fan rief von der Tribüne einen Begriff herunter, der Ascacíbars Mutter eine Betätigung in einem Milieu von zweifelhaftem Ruf unterstellte. Ascacíbar rastete aus.

"Komm du doch runter! Komm du doch runter und spiel du!!!", gellte er auf Spanisch - und glitt dann ebenfalls ins Reich der Verwünschungen ab, das in seiner argentinischen Heimat besonders schöne und einfallsreiche Blüten aufweist. Als Ascacíbar an den Reportern vorbei defiliert war, rumpelte es. Denn ehe er die Umkleide erreicht hatte, trat er unter lauten Flüchen einen Abgrenzungspfosten um. Klong!

Eins zu vier hatte auf der Anzeigetafel gestanden, als die Partie vom übrigens bemerkenswert guten Schiedsrichter Sven Jablonski abgepfiffen worden war. Und dass die Niederlage für die Hertha die Hoffnung auf den Verbleib in der Bundesliga ein wenig schmaler werden ließ - die Mannschaft ist Tabellenvorletzter -, geriet zur Nebensächlichkeit. Vor allem in den Kreisen der radikalsten Hertha-Fans, die vorgaben, sich entehrt zu fühlen. Zum dritten Mal in der laufenden Saison hatte "ihre" Hertha gegen den Stadtrivalen verloren, und das wurde zu einer nicht zu tilgenden Schmach hochgejazzt. Wieder einmal. Nur dass diesmal eine neue Grenze überschritten wurde.

Maximilian Mittelstädt zog das Trikot aus, um "eine Konfrontation zu vermeiden"

Schon nach der zweiten Derbypleite der Spielzeit, dem 1:3 im Achtelfinale des DFB-Pokals im Januar, hatten die härtesten unter den Ultras den Profis offen gedroht. Sie marschierten im Stile eine paramilitärischen Gruppe auf dem Trainingsplatz auf.

Der Vorsänger der Ultras-Gruppierung "Harlekins" rief den Profis seinerzeit zu, dass sie sich "am Riemen" reißen sollten, "sonst zünden wir die nächste Stufe". Diese folgte am Samstag: Als die Hertha-Profis vor die Kurve traten, bekamen sie nicht nur die handelsüblichen Injurien an den Kopf geworfen. Es flogen nicht nur Becher mit Resten an Bier. Es wurden nicht nur beleidigende Gesten gesehen. Die Spieler wurden zudem rüde aufgefordert, das Hertha-Trikot auszuziehen. Die Botschaft: Sie seien nicht würdig, das blau-weiße Jersey zu tragen. Sie hätten es entehrt.

Eine Reihe von Hertha-Spielern ließ das über sich ergehen, offenkundig eingeschüchtert von den schwarz gekleideten Ultras. Maximilian Mittelstädt zum Beispiel, der hinterher bekannte, das Trikot ausgezogen zu haben, weil er "eine Konfrontation vermeiden" wollte. Torwart Marcel Lotka, der in der ersten Hälfte mit einer ganzen Palette an Glanzparaden fast allein dazu beigetragen hatte, dass sich der Pausenrückstand auf das Tor des Ex-Herthaners Genki Haraguchi (31.) beschränkte, tat es Mittelstädt nach.

"Das macht was mit den Spielern, aber auf jeden Fall nichts Positives", sagte Manager Bobic

Herthas Manager Fredi Bobic war über den Vorgang entrüstet. Und auch wenn er sagte, dass er das Trikot nicht ausgezogen hätte, so galt sein Unmut nicht dem jungen Mittelstädt oder jenen Profis, die es doch taten. Sondern jenen Fans, die sich am Gedanken versündigt hatten, der den Sport ausmacht. "Ich verstehe den Unmut darüber, dass wir das Derby verlieren und nun dreimal in Serie verloren haben. Das macht uns allen kein Spaß", sagte Bobic. "Aber wir sind auch Sportler. Das hat nichts mit Konfrontation zu tun", sagte der Geschäftsführer.

Dass nun das Tischtuch zu den radikalsten Fans zerschnitten ist, macht die Aufgabe der Hertha im Abstiegskampf nicht einfacher. Im Gegenteil, denn mit Angst spielt es sich gemeinhin schlechter. "Das macht was mit den Spielern, aber auf jeden Fall nichts Positives", sagte Bobic am Sonntag in der TV-Sendung "Doppelpass". Dazu kommt: Der Klub ist zerrissen genug. Über der Ostkurve prangte ein Banner, auf dem Investor und Präsident gleichermaßen zum Teufel gejagt wurden: "Windhorst und Gegenbauer raus".

Trainer Felix Magath attestierte dem Team zwar, Willen gezeigt zu haben. Aber dem 1. FC Union war die Hertha am Samstag derart unterlegen, dass Magath in der Nacht auf Sonntag eingestandenermaßen von trüben Gedanken geplagt wurde, wie er der Bild-Zeitung gestand: "Wie kriege ich die Spieler dazu, dass sie auf dem Platz zusammenarbeiten, zusammen sich wehren, zusammen kämpfen? Denn, und da sind wir uns alle einig: So wie der Auftritt gestern war, wird es für uns natürlich schwer", sagte der Coach, der selbst nicht seinen besten Tag hatte, spät auf die Überlegenheit der Unioner reagierte - und vorerst auf den talentiertesten Spieler der Mannschaft verzichten muss: Stevan Jovetic musste wegen einer Muskelverletzung ausgewechselt werden.

Gegen die Köpenicker trat zum wiederholten Male offen zutage, was die Hertha im Grunde schon seit Jahren plagt: "Was sich entwickelt hat, ist ein Team, das leider keine Mannschaft ist", erkannte Magath. Er beobachte fast ausschließlich "Einzelaktionen, nichts passiert richtig koordiniert".

Am Sonntagmorgen rief er die Mannschaft zu einer mehr als zweieinhalb Stunden langen Sitzung zusammen, mutmaßlich mussten sie sich das Spiel in voller Länge anschauen. Dann liefen die Spieler nach altbewährter Magath-Manier in Gruppen, 50 Minuten lang. Augenzeugen berichteten, Magath habe sich prächtig amüsiert. An den fünf verbleibenden Spieltagen spielt die Hertha unter anderem noch gegen den VfB Stuttgart, der einen Punkt Vorsprung hat, und gegen die punktgleiche Arminia aus Bielefeld. Man habe es in der eigenen Hand, betonte Manager Bobic. Aber er weiß auch: "Das wird ein Ritt werden."

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