Hertha BSC:Der Vorrechner brummt

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Kleiner Wutausbruch: Felix Magath (rechts) äußert unübersehbar seine Unzufriedenheit. (Foto: Jürgen Engler/Nordphoto/Imago)

Hertha BSC vergibt durch ein 1:2 gegen den FSV Mainz 05 fahrlässig einen Matchball - und muss nun fürchten, doch in die Relegation zu rutschen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Presseräume sind mitunter auch Schützengräben in Psychokriegen. Wer wüsste das besser als Felix Magath. Am Samstagabend saß Magath, 68, Trainer des Bundesligisten Hertha BSC, in den Katakomben des Berliner Olympiastadions und sortierte sowohl das, was gerade geschehen war, als auch das, was da noch kommen sollte - oder müsste.

Hertha hatte gerade 1:2 gegen den FSV Mainz 05 verloren und damit einen Matchball vergeben. Das hieß: Magaths Team hatte die Chance liegenlassen, sich aus eigener Kraft aus dem Abstiegskampf zu befreien und eine große Abschlussparty vor nahezu vollen Rängen zu feiern. Andererseits bedeutete das Ergebnis nicht, dass die Möglichkeit des Klassenverbleibs entscheidend geringer geworden wäre. Doch Magath brummte, wohl auch, um sein Team in Spannung zu halten.

Am Freitag musste sich Arminia Bielefeld dem VfL Bochum 1:2 geschlagen geben: Herthas direkter Abstieg war damit schon einmal vermieden. Den Relegationsplatz, der nach Saisonende zwei Entscheidungsspiele gegen den Dritten der 2. Bundesliga mit sich bringt, belegten die Stuttgarter. Vor der sonntäglichen Visite beim Meister FC Bayern München lagen die Schwaben vier Punkte hinter den Berlinern zurück. Und das wiederum ließ vermuten, dass nach menschlichem Ermessen die Chancen auf eine Rettung der Hertha weit besser lagen als die der Stuttgarter. "Als Profi, für den ich mich halte, bereite ich mich auf den schlechtesten Fall vor", knurrte Magath. "Es hat nur zu einer Niederlage gereicht, deswegen gilt es für uns, ab heute uns auf die Relegation vorzubereiten." Er strich der Mannschaft auch die drei freien Tage, die er ihr für den Fall der Rettung in Aussicht gestellt hatte. Am Sonntag erwies sich der als Magier verschriene Magath als Prophet: Stuttgart holte in München einen Punkt (2:2). Die Hertha muss weiter zittern.

Mit der Möglichkeit eines Dreipunkteerfolgs der Hertha am letzten Spieltag in Dortmund dürfe niemand ernsthaft rechnen, der die Tabelle liest, sagte Magath: "Ich habe ja keine Ahnung, wie Sie jetzt Fußball beurteilen", zischte er einen Fragesteller an, der wissen wollte, ob der Coach seiner Mannschaft in Dortmund nichts zutraue, "aber ich glaube, wir spielen am nächsten Samstag gegen den Tabellenzweiten, wir sind Tabellenfünfzehnter; und unbesehen der Namen glaube ich, dass der Tabellenzweite gegen den Tabellenfünfzehnten mehr Spiele gewinnt als verliert."

Für den direkten Klassenverbleib braucht die Hertha einen Punkt

Magath hat die Hertha im März vor dem 27. Spieltag übernommen. Er kann nun darauf verweisen, dass er seither zehn von 21 möglichen Punkten gesichert hat. Das ist nicht überragend. Aber es steht für knapp ein Drittel jener 33 Punkte, die Hertha in der jetzigen Saison insgesamt addieren durfte. Hertha stand bei Magaths Amtsantritt auf Tabellenplatz 17, jetzt ist Hertha 15. Und unabhängig vom Ausgang: Was Magath bewerkstelligt hat, geht über die Statistik hinaus. Denn als ihm die Mannschaft seines Vorgängers Tayfun Korkut überantwortet wurde, lag sie, bildlich gesprochen, apathisch darnieder. Magath selbst erwähnte wiederholt, dass von allen Rettungsaktionen, die er über die Jahre angenommen hat, die Berliner Mission als die schwierigste zu klassifizieren sei. Und das war mehr als Koketterie. Zu Beginn seiner Aufgabe war jedenfalls nicht damit zu rechnen, dass die Hertha am 33. Spieltag vor der Chance stehen würde, den Klassenverbleib vorzeitig zu sichern. Oder zumindest die Relegation sicher wäre. Nach dem Stuttgarter Achtungserfolg in München braucht die Hertha für den direkten Ligaverbleib einen Punkt. Eine Niederlage in Dortmund würde bei gleichzeitigem Stuttgarter Sieg gegen Köln hingegen die Relegation bedeuten, womöglich gegen Magaths Ex-Klub Hamburger SV. Hertha hat das schlechtere Torverhältnis (minus 33) als die Schwaben (minus 19).

So oder so: Wie Hertha dem Krebsgang treu bleibt, ist natürlich ein Witz eingedenk der 374 Millionen Euro, die der Finanzinvestor Lars Windhorst vor drei Jahren in den Bundesligisten pumpte. Die Probleme sind im Übrigen nicht ausgestanden. Auch am Samstag prangte in der Ostkurve ein Banner, auf der Abtritt von Windhorst und Werner Gegenbauer gefordert wurde. Hertha-Präsident Gegenbauer muss befürchten, bei der Mitgliederversammlung am 29. Mai abgewählt zu werden; ein erster potenzieller Kandidat auf seine Nachfolge hat sich bereits in Stellung gebracht.

Dafür war an anderer Stelle Entspannung zu beobachten. Vier Wochen nach dem von Herthas radikalsten Ultras heraufbeschworenen Eklat haben die Berliner Profis nun ihre Fans begnadigt. Als Reaktion auf die Aufforderung der Ultras an die Hertha-Mannschaft, das Trikot nach der 1:4-Derby-Pleite gegen den 1. FC Union auszuziehen, hatten sie ihre Anhänger mit demonstrativer Missachtung gestraft. Am Wochenende gingen sie vor dem Spiel in die Ostkurve, um ebenso demonstrativ den Schulterschluss zu üben.

Partykiller im Anflug: Stefan Bells (3. von rechts) Siegtreffer zum 2:1 durchkreuzt die Pläne der Berliner, im eigenen Stadion vorzeitig den Klassenverbleib zu sichern. (Foto: Andreas Gora/Imago)

Aber die erhoffte Party blieb aus, Mainz 05 durchkreuzte die Pläne. Silvan Widmer brachte die Gäste in Führung (25.), weil Hertha- Torwart Marcel Lotka am ersten Pfosten den Ball durchrutschen ließ. In der 81. Minute traf Stefan Bell (81.) zum 2:1-Siegtreffer der Mainzer, der zwischenzeitliche Ausgleich durch Davie Selke (45.+5, Foulelfmeter) war damit bedeutungslos geworden, zum Ärger von Magath, dessen Vertrag bis Saisonende läuft.

Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Zusammenarbeit verlängert wird, Manager Fredi Bobic umschiffte jedoch eindeutige Aussagen. "Wenn wir durch sind, werden wir uns zusammensetzen", formulierte Bobic vage. In den Medien werden bereits erste Nachfolgekandidaten gehandelt, etwa Sandro Schwarz, derzeit noch bei Dynamo Moskau angestellt, oder André Breitenreiter, der gerade in der Schweiz den FC Zürich zum Meistertitel geführt hat. Doch auch etwaige Kandidaten wird interessieren, ob die Hertha erstklassig bleibt.

Und Magath? Der hätte nach eigenen Angaben keine Probleme damit, bis März 2023 zu warten, um sich an einer neuen Rettungsmission zu versuchen.

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